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Europawahlen
Europaweite Kandidaten anstelle britischer Sitze

Die EU will die frei werdenden britischen Sitze im EU-Parlament künftig über transnationale Liste vergeben, die bei Europawahlen durch eine Zweitstimme gewählt würden. Das würde zu mehr Identifikation führen, glauben Befürworter. Gegner meinen dagegen, europaweite Kandidaten wären zu weit weg vom Wähler.

Von Peter Kapern | 07.02.2018
    Martin Schulz und Jean-Claude Juncker im Gespräch
    Sie traten bei den Europawahlen 2014 als Spitzenkandidaten an, standen aber nur in ihren Heimatländern auf den Wahlzetteln: Martin Schulz (l.) und Jean-Claude Juncker (Bild: EP)
    Nächstes Jahr im Mai werden die Bürger Europas ein neues Europaparlament wählen. Wirklich europäische Wahlen, sagt Jo Leinen, seien das aber strenggenommen nicht:
    "Sie sind eigentlich keine Europawahlen, sondern wir haben 28 nationale Wahlgesetze, Wahlkämpfe, Wahllisten."
    Und das will der SPD-Europaabgeordnete ändern. Damit künftig die Wähler bei Europawahlen nicht nur für Kandidaten aus ihrem Heimatland abstimmen, sondern zusätzlich für eine europäische Kandidatenliste votieren können.
    Der Brexit schafft die Möglichkeit dafür. Britische Abgeordnete räumen 73 Sitze im Straßburger Parlament. Ein Teil davon, nämlich 27, so die Idee, soll Abgeordneten sogenannter transnationaler Listen offenstehen.
    In der Praxis hieße das: Die europäischen Parteienfamilien würden Listen mit Kandidaten aus verschiedenen EU-Ländern aufstellen, für die die Wähler dann eine ihrer beiden Stimmen abgeben können. Mit der Zweiten würden sie wie bisher einen Politiker aus ihrem Heimatland wählen.
    Dieses Wahlsystem erinnert also stark an die Bundestagswahlen, wo der Wähler ja auch zwei Stimmen hat. Heute Mittag stimmt das Europaparlament über das neue Wahlrecht ab.
    EVP ist dagegen: Zu weit weg vom Bürger
    Ob es eine Mehrheit gibt, ist unklar, denn die größte Fraktion, die EVP, ist gegen so eine Neuregelung. Der CDU-Abgeordnete Elmar Brok erklärt, warum:
    "Wegen der geringen Zahl der Abgeordneten ist es sehr schwierig, engen Kontakt zum Bürger zu haben. Das ist einer der Hauptvorwürfe gegen das Europaparlament, dass wir zu weit weg sind vom Bürger. Ein Bürger muss wissen, wer sein Abgeordneter ist, damit er, wenn er mit Entscheidungen nicht einverstanden ist, ihm schreiben kann, ihn anrufen kann und ihm notfalls auch in den Hintern treten kann."
    Und diese Möglichkeit, so Brok, hätte der Wähler nicht mehr, wenn im Europaparament auch Abgeordnete von transnationalen Listen säßen.
    Die Befürworter eines neuen Wahlrechts sehen das ganz anders. Für Sie wären solche Listen ein demokratischer Jungbrunnen für die EU. Sie versprechen sich davon, dass sich die Europawahlkämpe endlich um europäische Themen drehen, nicht mehr um nationale Befindlichkeiten.
    Außerdem wären die Spitzenkandidaten der europäischen Parteienfamilien für die Europawahlen dann auch endlich in ganz Europa wählbar. 2014 gab es ja erstmals solche Spitzenkandidaten, Martin Schulz und Jean Claude Juncker. Sie führten in der ganzen EU Wahlkampf, standen aber nur in ihren Heimatländern auf den Wahlzetteln.
    Liberale wollen transnationale Wahllisten
    Den Bürgern müsse aber überall in der EU die Möglichkeit gegeben werden, direkt für einen Spitzenkandidaten zu stimmen, so Guy Verhofstadt, der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament:
    "You need to give them the possibility to vote directly for a spitzenkandidat. And therefore it is necessary to embed the spitzenkandidat in a transnational list. The first on a transnational list is the spitzenkandidat!"
    Sein Vorschlag: Man müsse die Spitzenkandidaten in transnationale Listen einbetten. Der Erste auf der transnationalen Liste sei dann eben der Spitzenkandidat.
    Doch ob es 2019 überhaupt wieder Spitzenkandidaten geben wird, scheint derzeit völlig offen. Etliche Regierungen sind dagegen, fürchten den Machtzuwachs auf der Seite der europäischen Institutionen. Die Visegrad-Staaten haben sich bereits gegen Spitzenkandidaten und transnationale Listen ausgesprochen.
    Und der Versuch der SPD, die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag auf eine Unterstützung des neuen EU-Wahlrechts festzulegen, ist am Widerstand von Angela Merkel gescheitert.
    Damit könnte das Schicksal der Wahlrechtsreform bereits besiegelt sein. Denn sie braucht nicht nur heute eine Mehrheit im Straßburger Parlament, sondern muss anschließend auch noch einstimmig von den Mitgliedstaaten angenommen werden.