Mittwoch, 24. April 2024

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Europaweiter Flüchtlingssoli
"Ein Beitrag zu mehr europäischer Integration"

Der Chef der CDU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul, hält die Diskussion um einen Flüchtlings-Soli für verfrüht. "Warum muss ich heute darüber nachdenken, wo ich noch gar nicht weiß, ob ich diese zusätzliche Quelle brauche", sagte er im DLF. Allerdings hätte ein solcher Beitrag auch seine Vorteile.

Herbert Reul im Gespräch mit Doris Simon | 10.10.2015
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament.
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. (picture alliance/dpa/Michael Kappeler)
    Doris Simon: Ein europäischer Flüchtlingssoli, mit dem alle 28 EU-Länder direkt Maßnahmen finanzieren, um den Zuzug von Flüchtlingen in die EU zu begrenzen – wie gehört, gibt es solche Überlegungen angeblich in Brüssel und Berlin. Wie gehört aber auch, hat Regierungssprecher Seibert dies inzwischen dementiert. Am Telefon ist jetzt Herbert Reul, der Chef der CDU-Gruppe im Europaparlament. Guten Tag!
    Herbert Reul: Schönen guten Tag!
    Simon: Herr Reul, was halten Sie denn grundsätzlich von einer solchen Idee?
    Reul: Ich glaube, wir müssen im Moment nicht jeden Tag eine neue Idee durchs Land jagen, um Durcheinander zu stiften, sondern wir müssen klug nachdenken, wie man die Probleme löst. Insofern helfen da laute Sprüche nicht und auch nicht spontane Ideen. Und man braucht Instrumente dafür.
    Und richtig an dieser Idee oder interessant an dieser Idee ist, dass wir einige Elemente, die im Bereich der Flüchtlingspolitik jetzt anliegen, europäisch finanzieren müssen. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die Grenzsicherung, die Frage von Küstenwachen, von Verstärkung von Küstenwachen. Die Frage von Hilfe in den sicheren Herkunftsländern oder auch die Hilfe in den Flüchtlingsländern selber. Und das ist eine europäische Aufgabe, die muss europäisch finanziert werden. Und wenn man das mit einer eigenen europäischen Einnahmequelle machen könnte, ist das sehr plausibel und vernünftig. Aber ob man das erstens so kurzfristig und ohne zusätzliche Belastungen hinbekommt, da habe ich meine Zweifel im Moment.
    "Natürlich brauchen wir mehr Geld"
    Simon: Sie sagen, so kurzfristig. Wir brauchen das Geld kurzfristig, das ist klar, aber jetzt auch noch mal nachgefragt: Brauchen wir denn eben nicht mehr Geld, um all diese Aufgaben, die Sie angesprochen haben, ordentlich zu machen?
    Reul: Doch, natürlich brauchen wir mehr Geld, das bestreitet, glaube ich, auch keiner, dass wir zusätzliches Geld brauchen. Die Frage ist nur, ob nicht auch aus den Bereichen im europäischen Haushalt noch Mittel zur Verfügung zu stellen sind, das wäre eine Möglichkeit, also Umschichtung. Die zweite Möglichkeit wäre, dass die Mitgliedsstaaten ihren Beitrag erhöhen. Darüber wird, glaube ich, auch nachgedacht. Und die dritte wäre, den Schritt zu gehen, der in anderen Themen ja auch immer wieder schon mal diskutiert worden ist, ob man nicht eine Einnahme-, eine eigene europäische Einnahmequelle schaffen muss.
    "Das Allerwichtigste ist, dass die Mittel zur Verfügung stehen, nicht woher sie kommen"
    Simon: Die gibt es ja inzwischen, die gibt es ja längst, das muss man vielleicht sagen, weil viele Leute ja meinen, jetzt will die EU auch noch direkt an unser Geld. Es gibt ja eine direkte Finanzierung, zum Beispiel durch einen kleinen Aufschlag auf die Umsatzsteuer in allen Mitgliedsländern. In Deutschland sind das, glaube ich, 0,15 Prozent.
    Die Frage noch mal: Das Geld muss schnell kommen, und Sie sagten, man kann ja drüber reden, dass alle Staaten einfach mehr in ihren Beitrag geben. Aber Sie wissen doch am allerbesten, wie lange so was dauert.
    Reul: Ja, das ist das Ganze Problem bei diesen Finanzierungen, und insofern vermute ich, dass man sich erst mal verständigen wird darüber, was man machen will, wie viele Mittel man dafür haben muss – das muss ja auch mal berechnet werden – und parallel darüber nachzudenken, welche Finanzquellen erschlossen werden. Die können natürlich nur aus den Mitgliedsstaaten – also die größeren Summen werden wahrscheinlich nur durch zusätzliche Einnahmen aus den Mitgliedsstaaten kommen. Ob das jetzt ein Beitrag ist oder das eine eigene neue Einnahmequelle, europäische Einnahmequelle ist, ist eine zweitrangige Frage.
    Es spricht was dafür, das will ich gar nicht bestreiten, es wäre auch ein Beitrag zu mehr europäischer Integration. Darüber ist ja an anderer Stelle immer schon wieder diskutiert worden, aber, unter uns, für mich ist das im Moment nicht das Allerwichtigste. Das Allerwichtigste ist, dass die Mittel zur Verfügung stehen, nicht woher sie kommen.
    Simon: Herr Reul, dass jetzt schon wieder dementiert wird vonseiten der Bundesregierung, hat das vielleicht auch damit zu tun, dass man Angst hat, dass das Wort Steuererhöhung in diesem Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise etwas ist, was gar nicht gut ankommt?
    Reul: Ich kann verstehen, dass man in der jetzigen Lage, in der, durch Herrn Seehofer verursacht, ja eine öffentliche Aufregung entstanden ist, die gar nicht, finde ich, die so nicht hätte sein müssen, und damit nicht mehr sachgerecht über die Fragen redet und versucht, sie zu lösen, dass man da nicht weiter Öl ins Feuer oder Unruhe schaffen will, öffentliche, kann ich sehr verstehen. Das ist auch nicht klug.
    Simon: Aber geht das denn ohne?
    Reul: Ohne was? Ohne Aufruhr?
    Simon: Nein, ohne eine Steuererhöhung. Egal, ob das jetzt über Europa kommt oder über die nationalen Länder – kriegen wir das hin?
    Reul: Also, ich bin immer so verblüfft, wie alle Leute schon genau wissen, wie viel Mittel gebraucht werden.
    Simon: Ich frage ja einfach nur mal.
    Reul: Ich kann es nicht sagen, ob ja oder nein. Ich glaube, dass es natürlich noch möglich – wir haben noch Reserven, da bin ich ganz sicher, auch in nationalen Haushalten, indem man darüber nachdenkt zum Beispiel, ob die eine oder die andere Aufgabe wichtiger ist. Und so war es doch immer: Wenn neue Zusatzaufgaben kamen, dann hat man andere Aufgaben zurückgestellt.
    Das ist der erste Schritt. Und der zweite, wenn man dann merkt, das reicht nicht aus, dann muss man auch darüber nachdenken, ob man neue Quellen erschließt, ja. Aber warum muss ich heute darüber nachdenken, wo ich noch gar nicht weiß, ob ich diese zusätzliche Quelle brauche?
    "Eigentlich muss man erst mal wissen, was kostet die Veranstaltung"
    Simon: Aber ist es dann klug, es auszuschließen?
    Reul: Wenn man es nicht ausschließt, würden wahrscheinlich die, sage ich mal, sehr geschätzten Vertreter der öffentlichen Medien sofort berichten, es wäre ein Beschluss da, es gäbe jetzt eine neue Steuer. Und insofern kann ich jeden Politiker verstehen, der nicht sofort sagt, wir machen das jetzt oder wir überlegen es. Sondern das muss man – eigentlich muss man erst mal wissen, was kostet die Veranstaltung, um die Frage zwei zu beantworten, wie finanziere ich sie.
    Simon: Herbert Reul, der Chef der CDU-Gruppe im Europaparlament. Herr Reul, erst mal vielen Dank!
    Reul: Danke auch. Tschüs!
    Simon: Tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.