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Eurozone
"Griechenland hätte vor fünf Jahren gehen sollen"

Europas Politiker sind größtenteils Feiglinge. Das meint der slowakische Europa-Abgeordnete Richard Sulik im Interview mit dem DLF. Was den Mann so erregt, ist die Schuldenkrise in Griechenland. Das Land hat seiner Meinung nach nichts in der Eurozone verloren. Und wenn Europas Politiker mehr Sachverstand hätten, wäre der Austritt aus der Währungsunion schon lange erfolgt.

Richard Sulik im Gespräch mit Dirk Müller | 16.06.2015
    Richard Sulik, Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer.
    Richard Sulik, Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer. (imago/Metodi Popow)
    Sulik ist Mitglied der EU-kritischen Fraktion "Europäischen Konservative und Reformer" - und damit Kollege von Abgeordneten der deutschen AfD, der britischen "Conservative Party" oder der finnischen Partei "Die Finnen". Im Interview mit dem Deutschlandfunk erwies er sich als Mann der klaren Worte: "Griechenland hätte schon vor fünf Jahren die Eurozone verlassen sollen." Dann wäre das Land heute längst aus dem Schlimmsten heraus. Ein Austritt sei die einzige vernünftige ökonomische Lösung. Schon 2010 sei klar gewesen, dass all die Rettungspakete keinen Sinn hätten.
    Sulik zufolge lässt sich die Lage in Griechenland nicht mit der in Portugal oder Irland, wo in der Vergangenheit ebenfalls finanzielle Hilfen der EU geflossen seien, vergleichen. In Griechenland kämen mehrere Probleme zusammen: Abgesehen von Verschuldung habe das Land zum Beispiel eine falsche Wirtschaftsstruktur. Hinzu komme eine schlechte Außenhandelsbilanz. Die Werte seien schon damals katastrophal gewesen.
    Sulik griff seine politischen Kollegen in der EU scharf an. Die Meisten seien Feiglinge. Sie hätten Angst vor den richtigen Lösungen und probierten erst einmal alle anderen aus. Zudem sprach er ihnen den nötigen Sachverstand ab: "Die meisten könnten nicht mal einen Kiosk führen." Deshalb seien sie ja in der Politik. Sulik, selbst studierter Volkswirt, verwies darauf, dass etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel studierte Physikerin oder Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Jurist sei. Sulik verglich die Situation mit einer medizinischen Operation, bei der sämtliche Leute um den OP-Tisch ständen nur keine Ärzte.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Gefühlt ist das schon eine Ewigkeit, eine halbe Ewigkeit zumindest, das Warten auf passende Vorschläge aus Athen. Die Euroländer stehen als Garant für die Stabilität der Währung, für das Vertrauen in diese Währung und auch für die Zahlungsfähigkeit dieser Währung. Und dann Griechenland: Alles wird infrage gestellt. Jahrzehntelang hat es keine Reformen dort gegeben, keine soliden Finanzen, keine solide Verwaltung, kein solides Steuersystem, keine soliden Abmachungen, die eingehalten wurden. Wie lange lässt sich Europa das noch gefallen? Kommt der Austritt aus dem Euro möglicherweise noch in dieser Woche? Athen jedenfalls hat nach neuesten Medienberichten wohl signalisiert, keine neuen Reformvorschläge zu machen.
    Griechenland blockiert, weigert sich offenbar, ein Reformkonzept vorzulegen. Kann und will sich Europa das noch leisten? Viele schäumen schon vor Wut. Das ewige Hin und Her. - Der slowakische Europapolitiker Richard Sulik ist nun bei uns am Telefon. Als Vertreter eines kleinen, nicht allzu reichen Landes steht er der Regierung in Athen äußerst skeptisch gegenüber. Guten Morgen!
    Richard Sulik: Schönen guten Morgen.
    Müller: Herr Sulik, wenn Sie Regierungschef wären, würden Sie Griechenland jetzt entlassen?
    Sulik: Ja längst! Die hätten vor fünf Jahren die Eurozone verlassen sollen. Das ist die einzige, ökonomisch vernünftige Lösung für Griechenland, weil Griechenland hat keine Chance, in einer Währungsunion zusammen mit Deutschland oder den Niederlanden zu überleben.
    Müller: Seit wann wissen Sie das?
    Sulik: Seit fünf Jahren. Ich habe ja bereits Anfang 2010, als die ersten Gespräche aufkamen über diese Rechnerei - ich glaube, das waren zuerst 30 Milliarden, dann 50, dann 110, und schon damals war klar absehbar, dass das keinen Sinn hat, dass das so enden wird, wie heute es auch endet. Und ich war ja nicht der Einzige. Zum Beispiel der Hans-Werner Sinn hat ja genau dasselbe erzählt in Deutschland.
    "Griechenland hätte vor fünf Jahren die Eurozone verlassen sollen"
    Müller: Aber, Herr Sulik, haben nicht alle Länder, die ins Straucheln geraten - wir denken auch an Irland, wir denken auch an Portugal, wir denken auch an Spanien -, eine zweite, dritte Chance verdient?
    Sulik: Griechenland ist ein anderer Fall. Ich habe ja auch die Rettung, die kurzfristige Rettung von Irland und auch von Portugal unterstützt. Aber Griechenland ist ein anderer Fall, und zwar deswegen, weil da haben sich fünf, sechs große Probleme zusammengebraut. Das war ja nicht nur die Verschuldung; das war auch die falsche Struktur der Wirtschaft, das waren zum Beispiel die hohen Defizite. Die Verschuldung ist eine Sache, die Defizite sind etwas anderes und so weiter.
    Oder zum Beispiel die Außenhandelsbilanz. Das waren alles Werte, die waren in Griechenland katastrophal, und da hätte vor fünf Jahren Griechenland die Eurozone verlassen sollen und sie wären heute längst aus dem Schlimmsten heraus.
    Müller: Sind Sie auch so pointiert jetzt in dieser Haltung - in Deutschland würde man das ja ganz, ganz selten hören von ganz wenigen Politikern -, weil Sie aus der Slowakei, einem kleinen Land kommen, was noch nicht so einflussreich ist innerhalb der Europäischen Union, und vielleicht auch, das ist jetzt meine Frage, weil Sie nicht so Gehör finden, wie Sie das für richtig halten?
    Sulik: Ja, wie ich gesagt habe. Wir waren ja nicht die Einzigen. Es ging damals um das zweite Griechenland-Paket. Das war im Oktober 2011. Ich war zu der Zeit der Parlamentspräsident des slowakischen Parlaments.
    Ja, zugegeben: Die Slowakei ist ein kleines Land mit recht wenig Einfluss. Aber für das zweite Paket waren nötig alle Stimmen von allen damals 17 Ländern der Eurozone, und da haben wir Nein gesagt. Leider wurde auf uns so großer Druck ausgeübt, dass unsere Regierung damals gefallen ist, und das ist natürlich sehr schade, weil hätte man damals schon Griechenland entlassen, wie ich eben gesagt habe, wären diese heutigen Probleme nicht mehr da.
    Müller: Da muss ich jetzt noch einmal nachfragen. Das habe ich falsch verstanden oder auch falsch in Erinnerung. Als es damals um die Slowakei ging - es kam ja an auf die Zustimmung der Slowakei -, dann hat das letztendlich doch geklappt. Warum haben Sie Nein gesagt?
    Sulik: Ja das war so. Unsere Regierung hat angefangen im Juli 2010 und gleich danach, im August 2010, kam die Abstimmung über die erste Griechenland-Hilfe, über das erste Griechenland-Paket, und da haben wir Nein gesagt.
    Die Slowakei war auch das einzige Land, das nicht teilgenommen hat am ersten Paket. Das waren bilaterale Kredite gegenüber Griechenland. Nur dann ein Jahr und drei Monate später haben unsere Koalitionspartner leider umgedreht, unter sehr großem Druck aus Brüssel, aus Deutschland und so weiter. Die sind da eingeknickt. Wir waren die Einzigen, die gesagt haben, nein, wir unterstützen diese unverantwortliche Politik nicht, und dann hat leider die damalige Premierministerin Iveta Radicová die Vertrauensfrage gestellt. Ich habe gesagt, ich kann da nicht zustimmen, und so ist dann die Regierung zu Ende gegangen. Das war im Oktober 2011. - Wegen Griechenland!
    "Die meisten Politiker sind Feiglinge"
    Müller: Herr Sulik, wenn wir jetzt auf die zurückliegenden Monate, Wochen, vielleicht ja auch Tage blicken. Sie sind da in Ihrer Position, wie einige andere auch im Europäischen Parlament ja ganz klar und sagen, endlich Schluss mit Griechenland.
    Warum glauben Sie, welche Erklärung haben Sie dafür, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs, die meisten jedenfalls, so lange jetzt gewartet haben, jeden Versuch immer wieder versuchen, auch umzusetzen und zu nutzen und zu greifen, um Griechenland zu halten? Warum?
    Sulik: Weil die meisten Politiker Feiglinge sind. Die haben Angst vor richtigen vernünftigen Lösungen. Und man sagt ja nicht umsonst, dass die Politiker zuerst alle anderen möglichen Lösungen ausprobieren, bevor sie zu den richtigen kommen und zu den funktionierenden. Wir sind einfach Feiglinge, die meisten sind unfähig, die würden nicht einmal einen Kiosk leiten können, und deswegen sind die oft in der Politik, weil die ansonsten nichts machen können oder nirgendwo Geld verdienen würden, und so sieht es dann auch mit der Politik aus. Das ist das Erste.
    Das Zweite: Das Fachwissen, das fehlt einfach. Frau Merkel, die hat Physik studiert, Herr Schäuble Jura, Herr Juncker Jura, Herr Schulz ist auch kein Volkswirt. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie wären am Darm erkrankt, liegen im Krankenhaus, und steht da ein Konsilium, da sind Biologen dabei, da sind Physiker, ein Pförtner ist dabei, nur keine Ärzte, und ungefähr so sieht es in der Politik aus.
    Müller: Bevor wir weiterreden, Herr Sulik, muss ich Sie fragen, weil ich das nicht weiß. Was haben Sie studiert?
    Sulik: Ich bin Volkswirt.
    Müller: Also optimal vorbereitet jetzt für diese Analyse?
    Sulik: Ja, für diese sicherlich. Wenn es um andere Themen geht wie zum Beispiel die Flüchtlingshilfe oder die gemeinsame Verteidigungspolitik, da äußere ich mich nicht so oft zur Sache, weil mir das nötige Grundwissen fehlt. Aber hier das liegt so klar auf der Hand, nur die Leute sehen das nicht, weil sie einfach keine Ahnung davon haben.
    Müller: Wenn Sie sagen, Herr Sulik, feige Politiker, das sind starke Worte, wird ja selten so explizit und deutlich formuliert, wie Sie es jetzt getan haben. Um das noch mal klarzumachen: Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, auch Mario Draghi und Martin Schulz, die gehören ganz klar für Sie dazu?
    Sulik: Und der damalige Kommissionspräsident Barroso. Die haben alle ganz genau gewusst beziehungsweise wissen können, haben ja auch Berater, wenn sie das schon selbst nicht wissen, und die waren zu feige, die eigenen Regeln einzuhalten. Das war ja das große Drama.
    "Falsche Rettungspolitik ist verantwortlich für Zerfall der Eurozone"
    Müller: Herr Sulik, wenn wir jetzt mal auf den anderen Punkt gucken. Ich hatte Sie eben gefragt, warum machen die das. Sie sagen, feige. Gibt es noch eine andere Erklärung, dass viele, gerade auch Angela Merkel, Wolfgang Schäuble Interesse daran haben, dass Europa, dass die Eurozone und insgesamt die Europäische Union nicht zerfällt, dass sie nicht am Rande zerfleddert und dass das gesamte europäische Projekt damit in Verruf gerät beziehungsweise in Existenznot? Ist das kein Argument für Sie?
    Sulik: Nein, nein. Das ist kein Argument. Das sind nur schöne Sonntagsreden. Weil am Rande des Zerfalls befindet sich die Eurozone heute, und zwar deswegen, weil fünf Jahre hier die falsche Rettungspolitik betrieben wird.
    Es hat ja in der Zwischenzeit 240 Milliarden an Steuergeldern gekostet und die Eurozone an den Rand des Zerfalls gebracht. Wenn vor fünf Jahren die Damen und Herren die eigenen Regeln befolgt hätten - das ist hauptsächlich der Artikel 125 der europäischen Verfassung, der sagt, jedes Land haftet für seine Schulden selbst -, wenn die diesen Artikel nicht gebrochen hätten, sondern befolgt hätten, wäre heute die Eurozone in einer viel besseren Verfassung und natürlich Griechenland wäre längst aus der Eurozone draußen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der slowakische Politiker Richard Sulik von der Fraktion der europäischen Konservativen und Reformer. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch. Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Sulik.
    Sulik: Ihnen auch! Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.