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Eurpäische Union
"Wir sollten Macron folgen"

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat an die Bundesregierung appelliert, sich den Reformideen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron anzuschließen - und sie finanziell zu unterstützen. "Wenn der Deutsche Bundestag sich Dinge zutraut, werden andere folgen. Wenn nicht, nicht", sagte Oettinger im Dlf.

Günther Oettinger im Gespräch mit Mario Dobovisek | 18.04.2018
    Oettinger steht vor einer blauen Wand mit den EU-Sternen.
    Günther Oettinger unterstützt die Reformideen von Emmanuel Macron (AFP/JOHN THYS)
    Mario Dobovisek: Eine Wiedergeburt Europas fordert Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und wirbt in seiner Rede vor dem EU-Parlament erneut für seine Reformideen, bevor er morgen auch die Bundeskanzlerin überzeugen will bei seinem Besuch in Berlin. Denn aus Berlin kommt Gegenwind und auch, wenn auf dem Deckblatt des Koalitionsvertrages die starken Worte prangen "Aufbruch für Europa", Gegenwind vor allem aus den Reihen der Union. Am Telefon begrüße ich Günther Oettinger, CDU-Politiker und EU-Haushaltskommissar in Brüssel. Guten Morgen, Herr Oettinger!
    Günther Oettinger: Guten Morgen.
    Dobovisek: Mit Rückhalt der Unions-Fraktion geht die Bundeskanzlerin in die Gespräche mit Emmanuel Macron. Und dennoch: Die Skepsis bleibt groß. Unser Korrespondent hat ja mehrfach gerade über tiefes Misstrauen in der Union gesprochen. Ist es da wieder, das deutsche Zaudern, das deutsche Nein zu mehr Europa?
    Oettinger: Wir warten ab. Wir haben ja zwei Probleme im europäischen Haushaltswesen. Wir haben eine Brexit-Lücke. Die Briten gehen und die sind Nettozahler gewesen. Da fehlen jetzt 13 Milliarden pro Jahr, im nächsten Jahrzehnt jedes Jahr. Und zweitens gibt es neue Aufgaben, die wir dringend europäisch angehen müssen: Grenzschutz oder Migration generell oder Verteidigungsaufgaben, Terrorismusbekämpfung, innere Sicherheit, Forschungsaufgaben. Deswegen wollen wir die Mitgliedsstaaten bitten, uns etwas mehr Geld zu geben, um europäisch sinnvoller als national diese Aufgaben anzugehen und eigentlich im Interesse der Steuerzahler sie auch effizienter zu lösen.
    Dobovisek: Das hat ja Frankreich zugesagt. Das hat auch Deutschland zugesagt, das EU-Budget zu erhöhen.
    Oettinger: Ja.
    Dobovisek: Dennoch werden da gerade von Ihren Parteifreunden in Berlin dicke rote Linien in den Sand gemalt. Was sagen Sie dazu?
    Oettinger: Warten wir es ab. Ich glaube, dass auch Olaf Scholz nicht so ohne Weiteres bereit ist, Geld zu geben. Es geht um die Frage, wo kann man effizienter investieren, und meine Bitte an Deutschland ist, an alle Parteien, CDU, CSU, SPD: Dort wo wir europäisch investieren könnten, Grenzschutz, Verteidigung, Forschung, sollten wir die Gelder aus Berlin nach Brüssel geben, um von dort aus gemeinsam mit unseren Partnern aus ganz Europa effizienter zu investieren. Das heißt aber, wir brauchen etwas mehr Geld. Wir brauchen etwas mehr Geld und die Erwartung haben wir aus Brüssel an alle Mitgliedsstaaten. Die meisten wollen dies tun, einige sind noch zaudernd, und Deutschland muss sich entscheiden, was es will.
    Dobovisek: Ist denn Deutschland zaudernd aus Ihrer Sicht?
    Oettinger: Ja, eindeutig. Das Kapitel eins sagt zwar, wir geben mehr Geld, aber ob es prozentual mehr Geld wird, oder ob nur der Inflationsausgleich beglichen wird, das ist völlig offen. Die Koalitionsvereinbarung ist lesenswert. Man liest sie gerne und leicht. Aber in konkreten Zahlen gegossen ist dort noch nichts einklagbar.
    Oettinger: Töne aus Bayern nicht wirklich hilfreich
    Dobovisek: Da kann ich mal an dieser Stelle den CSU-Landesgruppenchef im Bundestag Alexander Dobrindt zitieren. Er sagt: "Der Knackpunkt bei Macrons Vorschlägen sind für uns die Fragen, die eine direkte finanzielle Auswirkung haben." Mehr Europa also, wenn ich das mal interpretieren darf, solange es nichts kostet, Herr Oettinger. Damit kann Macron doch seine Ideen gleich wieder einpacken?
    Oettinger: Wir sollten dort mehr Europa haben, wo wir mehr Europa brauchen: in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik, in der Grenzschutzarbeit, in der Forschungspolitik. Deswegen muss völlig klar sein: Die Töne, die von einigen Freunden aus Bayern kommen, sind nicht wirklich hilfreich.
    Dobovisek: Sind das dann noch Freunde?
    Oettinger: Ja, sicherlich! – Keine Frage.
    Dobovisek: Aber mit Misstönen?
    Oettinger: Mit einem Streit, den wir jetzt lösen müssen. Die Industrie aus Bayern erwartet den Binnenmarkt, erwartet mehr europäische Forschung. Wenn wir diese regionalen Grenzschutzaktivitäten beenden wollen, wenn wir zwischen Salzburg und Bayern frei fahren wollen, dann brauchen wir gemeinsame Anstrengungen, um die Außengrenzen zu schützen – gemeinsame!
    "Sollten uns von der AfD nicht in die Ecke drängen lassen"
    Dobovisek: Schauen wir uns doch mal einen konkreten Punkt gemeinsam an. Angela Merkel ist ja nicht ganz bedingungslos aus der Fraktionssitzung gegangen. Wir haben es erwähnt. Den Euro-Rettungsfonds ESM will sie nun erst dann zu einem Europäischen Währungsfonds ausbauen, wenn die EU-Verträge dafür geändert werden – soll heißen, wenn der Bundestag mitentscheiden darf. Das ist eine ziemlich dicke rote Linie, mit der die EU-Kommission so auch nicht einverstanden ist. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?
    Oettinger: Wir können den ESM heute stärken auf der Grundlage unserer europäischen Verträge. Aber zweitens: Die wirklichen Schritte müssen gemacht werden durch Vertragsänderung. Nur: Die Kanzlerin kann mit uns allen gemeinsam die Bundestagsfraktion von CDU und CSU überzeugen, einer Vertragsänderung zuzustimmen. Insofern sind wir alle Teil dieser Veranstaltung. Ich finde, wir sollten uns von der AfD nicht völlig in die Ecke drängen lassen. Manche sagen ja, oh, wir haben jetzt rechtskonservative Gruppen, wir haben Populisten im Parlament, wir können das nicht machen. Im Gegenteil! Wir sollten Macron folgen, mutig vorangehen und die Dinge ankündigen, die wir brauchen für Europa. In einem Umfeld zwischen Trump und China muss Europa gestärkt werden.
    Dobovisek: Nun ist aber der Deutsche Bundestag nicht das einzige Parlament, was Vertragsveränderungen entscheiden müsste, und wir beobachten ja alle gemeinsam in den letzten Jahren eine Stimmung, die nicht gerade dafür spricht, dass es viel Mut für mehr Europa gibt. Haben Sie Angst, dass es für Macrons Vorschläge keine Mehrheiten geben kann?
    Oettinger: Ich glaube, dass Macron hilfreich ist, wichtig ist. Er hat auch gestern im Parlament in Straßburg eine richtungsweisende Rede gehalten. Und wenn der Deutsche Bundestag sich Dinge zutraut, werden andere folgen. Wenn nicht, nicht.
    Dobovisek: Das heißt, was sagen Sie dem Deutschen Bundestag an dieser Stelle?
    Oettinger: Mutig voran! Und: Deutschland sollte Europa als seine Umgebung sehen, die man stärken muss, und nicht als einen Gegensatz zur nationalen Politik.
    Dobovisek: Unions-Fraktionschef Volker Kauder fand gestern klare Worte. Er warf der EU-Kommission bei der Einlagensicherung – das ist noch ein finanzielles Thema – Tricksereien vor und schickte einen, so wörtlich, strengen Hinweis nach Brüssel. Ist der bei Ihnen angekommen, Herr Oettinger?
    Oettinger: Ich bin gerade in Straßburg. Ich bin morgen in Brüssel. Ich werde in mein Postfach schauen.
    "Dieses gegenseitige Bashing hilft nicht weiter"
    Dobovisek: Aber auch da wird er sicherlich angekommen sein.
    Oettinger: Mag ja sein. Aber ich finde, dieses gegenseitige Bashing hilft nicht weiter. Wir in Brüssel müssen genau hinhören, was die Mitgliedsstaaten wollen, und umgekehrt: Am Ende einer Währungsunion wird eine gemeinsame Massierung der Einlagen notwendig sein. Das heißt erstens: Minimierung der Risiken in den Banken. Das dauert noch sechs Jahre. Und dann die Einlagensicherung.
    Dobovisek: Aber können Sie nachvollziehen, Herr Oettinger, dass in Deutschland viele sagen, auch gerade nach den Hilfen für Griechenland, nein, wir wollen nicht mehr für alles verantwortlich sein, wir wollen nicht mithelfen, wenn Banken in anderen Ländern kollabieren?
    Oettinger: Dafür habe ich Verständnis. Deswegen müssen wir die Risiken in allen Mitgliedsstaaten reduzieren. Aber ich bin Baden-Württemberger. Ich habe jahrzehntelang im Länderfinanzausgleich in Richtung aller deutschen Regionen mitgeholfen. Für mich ist Europa ein Teil dessen, was ich als Verantwortung sehe. Man kann nicht nur S-Klasse Produzieren und S-Klasse exportieren, ansonsten sagen, mich geht Europa nichts an. Europa ist eine Schicksalsveranstaltung und wir sollten alles tun, dass in allen europäischen Regionen die Grundlagen für Wirtschaften, für Fortschritt, für Zukunft gegeben sind. Deswegen: Mir ist Europa wichtig und nicht nur Mecklenburg und nicht nur das Saarland.
    Dobovisek: Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt, das Zeitfenster für Reformen in der EU beginne, sich zu schließen. Wie groß ist der Zeitdruck tatsächlich, Herr Oettinger?
    Oettinger: Nach der Krise ist immer vor der Krise. Wir haben gesehen, dass unsere Europäische Währungsunion 2009, 2010 und 2011 nicht wetterfest gewesen war. Jetzt haben wir seit sechs, sieben Jahren eine Konjunktur, ein Wachstum der Wirtschaft, einen guten Arbeitsmarkt in fast ganz Europa. Das heißt, wir haben eine gute Lage. Jetzt müssen wir die Europäische Union und die Währungszone wetterfest machen. Da haben wir noch ein bis fünf Jahre Zeit. Das weiß keiner. Aber in fünf Jahren werden unsere Nachfolger fragen, warum habt ihr nicht gehandelt. Deswegen jetzt zu handeln und die Währungsunion und die EU generell festzumachen, ist eine gemeinsame Aufgabe, auch im deutschen Interesse.
    "Es geht nicht nur um Geld"
    Dobovisek: Im Juni schon sollen ja die Reformpläne auf dem EU-Gipfel debattiert werden. Was wird am Ende bleiben von Macrons Vision für Europa?
    Oettinger: Ich hoffe, es kommt einiges. Es geht nicht nur um Geld; es geht um Asyl und es geht um die Außengrenzen, es geht um wichtige Fragen der inneren und äußeren Sicherheit. Und es geht natürlich um die Bankenunion. Ich möchte hoffen, dass von dem, was Macron vorschlägt, vieles mit Deutschland vor Jahresende verabschiedet wird. Im nächsten Jahr haben wir europäische Wahlen und es wäre gut, wenn wir davor unsere Hausaufgaben machen.
    Dobovisek: Wieviel Wahlkampf steckt denn schon jetzt in Macrons Reden und Aussagen?
    Oettinger: Wahlkampf ist immer. Übrigens Macron hat die Wahl erst jetzt gewonnen. Also er ist weit weg von französischen Wahlen. Aber klar ist: Er will in Europa mitreden. Und deswegen: Die Europawahl im Mai nächsten Jahres ist auch seine Wahl und unsere Wahl, eine Wahl aller Europäer. Ich hoffe nur, dass die Europawahl endlich in Deutschland so wichtig genommen wird wie eine Bundestagswahl oder eine Landtagswahl.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.