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Evangelische Kirche
Abkehr von der Missionierung?

Ein evangelisches Positionspapier sorgt für Streit. Es hat den harmlosen Titel: "Für die Begegnung mit Muslimen". Doch dann kommt der eine Satz: Der Dialog mit Muslimen ziele auf das gegenseitige Kennenlernen, "nicht aber auf eine Konversion zur jeweils anderen Religion."

Von Rainer Brandes | 09.02.2018
    Der Pastor Gottfried Martens segnet am 08.02.2015 in der Evangelisch-Lutherischen Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz Meliza vor ihrer Taufe. Mehrere hundert Iraner und Afghanen haben sich dort in der vergangenen Jahren taufen lassen, um in das Christentum überzutreten.
    Taufe eines muslimischen Mädchens in der Evangelisch-Lutherischen Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz. (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    "Für die Begegnung mit Muslimen. Theologische Positionsbestimmung." Der Titel klingt unspektakulär – genauso wie der Inhalt des gerade einmal zwei Seiten langen Textes. Allerdings nur auf den ersten Blick. Da ist die Rede von vierzigjährigem Engagement im christlich-muslimischen Dialog, von der Wertschätzung der Muslime für Jesus und vom Willen, auch in schwierigen Zeiten am Dialog festzuhalten. So weit, so bekannt. Dann aber steht in Ziffer Drei dieser eine Satz: Der Dialog ziele auf das gegenseitige Kennenlernen, das Aushalten von Differenzen, und dann wörtlich: "nicht aber auf eine Konversion zur jeweils anderen Religion."
    "Man kann Mission nur dialogisch betreiben"
    Diese Formulierung wirft Fragen auf: Verabschiedet sich hier die zweitgrößte evangelische Landeskirche in Deutschland durch einen Halbsatz vom Missionsauftrag gegenüber Muslimen? Diese Frage hat sich jedenfalls Wolfgang Harnisch gestellt. Der Theologe ist seit mehr als 30 Jahren Gemeindepfarrer in Bonn-Duisdorf. Er will nicht falsch verstanden werden.
    "Also, ich bin ganz entschieden für den Dialog und zudem auch interreligiösen Dialog und politischen Dialog. Da gibt es überhaupt keine Alternative. Wir müssen im Gespräch sein."
    Vor dem Interview führt Wolfgang Harnisch durch seine Kirche und das top-moderne Gemeindezentrum mit der – wie er betont – einzigen öffentlichen Bücherei seines Kirchenkreises. Hier steht arabische Literatur für Kinder und Erwachsene. Es gibt einen interreligiösen Nachbarschaftstreff. Und doch konnte der Pfarrer auf der Landessynode dem Positionspapier nicht zustimmen.
    "Mich hat gewundert, dass man es vermeiden wollte, den Begriff Mission zu erwähnen. Das hat mich deshalb gewundert, weil wir unser Selbstverständnis als Evangelische Kirche und auch in vielen Gemeinden so beschreiben, dass wir sagen, wir wollen missionarisch Volkskirche sein, und zwar in einem positiven Missionsverständnis, was durchaus Dialog mit einschließt. Man kann Mission nur dialogisch betreiben."
    Dass sich Wolfgang Harnisch öffentlich zu dem Positionspapier äußert, das ist durchaus bemerkenswert. Andere Kritiker haben Interviews abgesagt – aus Sorge, sie könnten damit den Dialog mit muslimischen Partnern in ihren Gemeinden gefährden. Das zeigt, wie angespannt das christlich-muslimische Verhältnis zurzeit ist.
    Paradigmenwechsel im Missionsverständnis?
    Maßgeblich mitverfasst hat den umstrittenen Text die Theologin und Solinger Superintendentin Ilka Werner. Sie ist die Vorsitzende des Theologischen Ausschusses der Rheinischen Landessynode. Gerade weil das Verhältnis zum Islam im Moment so schwierig ist, war es ihr wichtig, die muslimischen Gesprächspartner nicht zu verschrecken.
    "Das war einfach wichtig in dieser Situation, wo Stimmen in unserer Gesellschaft dem Islam das Religion-Sein absprechen. So fanden wir es angemessen, jetzt zu sagen, was wir in der Begegnung mit Muslimen sagen. Wir sagen ja nicht, dass es keine Glaubensgespräche geben kann, wo jemand schwärmt von seinem Glauben und den anderen auch verlockt, sich zu ändern. Nur, Konversion entsteht ja nicht durch das Wirken eines Menschen und die Suggestivkraft, die wir im Gespräch haben, sondern das ist Gottes Wirken."
    Eine romanische Porphyr-Taufe in Kelchform aus dem 12. Jahrhundert in der evangelischen Kilianskirche in Bad Lausick in Sachsen. Die Kirche wurde als dreischiffige romanische Pfeilerbasilika nach 1105 errichtet.
    Taufbecken in einer evangelischen Kirche. (dpa-Zentralbild / Rainer Oettel)
    Hinter dieser Auseinandersetzung steht die Frage, was Mission überhaupt ist. Wolfgang Harnisch wirft den Autoren des Textes vor, etwas zu bekämpfen, was es längst nicht mehr gebe.
    "Mich stört, dass man meint, sich von einem veralteten Missionsbegriff abgrenzen zu müssen, den wir faktisch ja nicht mehr haben. Wir wollen auf Sendung sein. Wir wollen überzeugend von unserem Glauben sprechen, sodass es auch Menschen, die den Glauben verabschiedet haben oder sich atheistisch verstehen und ihr Leben deuten, dass die zum Nachdenken kommen. Das ist ein dialogisches Missionsverständnis. Und daran, würde ich sagen, müssen wir anknüpfen und dann auch vielleicht ein Missionsverständnis, das überholt ist, kritisieren und sagen, das ist nicht mehr unseres, dass wir da in aggressiver Weise vielleicht Bekehrungspredigten bringen, sondern Mission geht nur im Dialog."
    "Die sind das, was sie sind"
    Tatsächlich ist es in der Missionswissenschaft schon lange Konsens, dass Mission nicht bedeutet, den anderen bekehren zu wollen. Ilka Werner widerspricht dem Vorwurf, der Theologische Ausschuss ihrer Landessynode habe diesen Paradigmenwechsel nicht mitbekommen. Aber: Sie befürchtet, dass innerhalb und außerhalb der Kirche Mission immer noch mit aggressiver Bekehrung in Verbindung gebracht werde. Deshalb war es ihr wichtig, den Begriff aus dem Text herauszuhalten. Sie habe die Erfahrung gemacht:
    "Dass zumindest ich es immer wieder erlebe, dass von den muslimischen Gesprächspartnern die Sorge geäußert wird, wir wollten sie verändern und zu Christen machen. Wir arbeiten als christliche Gemeinden viel in der Flüchtlingshilfe, wir haben muslimische Kinder in unseren evangelischen Kitas, kümmern uns um Menschen. Also wir haben relativ viele Begegnungssituationen, die auch Unterstützungssituationen sind, und in diesem Zusammenhang scheint es uns sehr wichtig, auch nochmal deutlich zu machen, die sind das, was sie sind, und wir versuchen nicht, die zu verzwecken."
    Ilka Werner, Superintendentin der Evangelischen Kirche in Solingen.
    Ilka Werner, Superintendentin der Evangelischen Kirche in Solingen. (Ev. Kirche Solingen)
    Wolfgang Harnisch – der Pfarrer aus Bonn – kann diese Sorge zwar verstehen, hält sie aber für unbegründet. Auf die Frage, ob er jemals bei muslimischen Gesprächspartnern diese Sorge erlebt habe, antwortet er:
    "Nein. Das kann ich nicht sagen. Mir ist diese Angst nicht begegnet."
    Ganz im Gegenteil. Nach seiner Erfahrung hätten die meisten Muslime überhaupt kein Problem damit, wenn Christen sie zu ihrem Glauben einlüden. Schließlich machten sie es umgekehrt ja auch so.
    "Im Islam ist das auch verankert: Wir laden zum Glauben ein und sind damit offen, dass Menschen den rechten Weg, wie wir ihn im Islam meinen gefunden zu haben, dass die auch auf diesen Weg gehen."
    Die Auseinandersetzung in der Rheinischen Kirche zeigt, dass in der evangelischen Theologie insgesamt eine Debatte aufbricht, inwieweit eine christliche Mission gegenüber Muslimen gerechtfertigt ist. Mit Blick auf das Judentum ist es seit mindestens 40 Jahren weitgehend Konsens, dass es keine Judenmission geben kann. Sollte das nun auch für den Islam als dritte abrahamitische Religion gelten? Ilka Werner ist sich bewusst, dass die christlich-jüdische Geschichte eine ganz besondere ist, zeigt sich aber dennoch für diese Diskussion grundsätzlich offen:
    "So eine Veränderung im Verhältnis zu den Muslimen deutet sich an, wobei, das hat eine ganz andere Geschichte gehabt. Aber auch eben, dass man die Muslime ernst nimmt in ihrer Art, an Gott zu glauben. Es ist aber trotzdem sehr verschieden, weil die Verwandtschaft von Christentum und Judentum nochmal eine ganz andere ist als die zwischen Christentum und Islam. Die Art und Weise, wie sich Christentum auf die hebräische Bibel bezieht, ist sehr viel verbindlicher und sehr viel verbindender als wie sich Koran auf das Neue Testament und die rabbinischen Geschichten bezieht."
    Für Ilka Werner ist es offen, wohin diese Debatte führt. Wolfgang Harnisch hat da eine eindeutigere Position:
    "Ich denke, da deutet sich sowas an. Und das würde ich so nicht sehen. Das ist ein Unterschied, ob wir als Christen ein Selbstverständnis gewinnen nach einer ganz schwierigen Geschichte ja gerade im vergangenen Jahrhundert, dass wir entdeckt haben und deutlich gemacht haben: ja, wir wurzeln im Glauben Israels. Und das ist ein fundamentaler Unterschied zu allen anderen Religionen."