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Evangelische Kirche will Papst "auf Augenhöhe" begegnen

Als er noch Kardinal Josef Ratzinger war, billigte der heutige Papst Benedikt XVI. der Evangelischen Kirche nur den Status einer kirchlichen Gemeinschaft zu. Deren Präses Nikolaus Schneider erwartet vom heutigen Treffen dennoch Impulse - die Katholische Kirche habe sich verändert.

Nikolaus Schneider im Gespräch mit Christoph Heinemann | 23.09.2011
    Christoph Heinemann: Was im fernen Thüringen vor rund 500 Jahren so vor sich ging, das fanden die Herrschaften im Vatikan überhaupt nicht komisch. Die Bulle, die Erklärung, mit der Papst Leo X. einem Mönchlein namens Martin Luther den Bann androhte, zeugt von viel Schaum vor dem Mund.

    O-Ton Papst Leo X.: ”Erhebe Dich, Herr, und richte Deine Sache. Gedenke deiner Schmäungen, die den ganzen Tag von den Unweisen ausgehen. Neige dein Ohr zu unserer Bitte, denn Füchse haben sich erhoben, die danach trachten, den Weinberg zu vernichten, dessen Kelter du allein getreten hast. Und als Du zum Vater im Himmel auffahren wolltest, hast du die Sorge, die Leitung und die Verwaltung deines Weinberges dem Petrus gleichsam als Haupt und Deinem Stellvertreter und seinen Nachfolgern als triumphierende Kirche anvertraut. Ein Wildschwein trachtet danach, ihn zu zerwühlen, und ein wildes Tier frisst ihn ab."

    Heinemann: Papst Leo X. im Jahre des Herrn 1520. Und wenn man das gehört hat, ist es sicherlich keine Notiz aus der Provinz, wenn der Papst heute nach Thüringen reist, in das Augustinerkloster, dort wo Martin Luther lebte und arbeitete. Der Papst wird dort unter anderem den Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland treffen, Präses Nikolaus Schneider. Guten Morgen!

    Nikolaus Schneider: Schönen guten Morgen.

    Heinemann: Herr Schneider, was bedeutet dieser Besuch, um im Bilde zu bleiben, in der Höhle des Wildschweins für die protestantischen Christen in Deutschland?

    Schneider: Er bedeutet, dass die Tonlage eine völlig andere geworden ist und dass wir es gelernt haben, einander völlig anders wahrzunehmen, auch dass wir anders miteinander umgehen. Es macht deutlich, dass im Verlauf der Geschichte die Reformbemühungen von Martin Luther nicht nur dazu geführt haben, dass sich evangelische Kirchen herausgebildet haben, sondern auch, dass auch die Katholische Kirche sich verändert hat.

    Heinemann: Inwiefern?

    Schneider: Sie hat manche der Grundeinsichten der Reformation auch für sich ganz stark gemacht, etwa die Zentrierung des Glaubens auf Jesus Christus, etwa die große Bedeutung der Heiligen Schrift. Das sind Dinge, die uns heute verbinden und nicht trennen.

    Heinemann: Sola scriptura, wie Luther das ausgedrückt hat. – Erwarten Sie, Herr Schneider, Impulse für die Ökumene, eine Annäherung auf dem Wege zur Überwindung der Kirchenspaltung?

    Schneider: Diese Impulse erwarte ich in der Tat. Man muss bei den Erwartungen an einen solchen Besuch so das richtige Maß finden. Die Ökumene wird nicht morgen oder heute Nachmittag neu sein. So ein Besuch kann ja nicht dazu führen, dass man jetzt neue konkrete Vereinbarungen gleich auf dem Tisch hat. Es ist aber auch nicht so, dass wir uns einfach nur freundlich begegnen können, so nach dem Motto "schön, dass wir uns mal gesehen haben", sondern ich hoffe doch, dass es Impulse geben wird.

    Heinemann: Sind Sie nervös vor diesem Gespräch?

    Schneider: Noch nicht. Aber das ist bei mir immer so. Zwei Minuten vorher werde ich nervös, und wenn ich drin bin, bin ich wieder ganz ruhig.

    Heinemann: Das war eine ehrliche Antwort. – Glauben Sie, dass Benedikt XVI. die Annäherung an die Protestanten überhaupt am Herzen liegt? Sind ihm die Orthodoxen nicht viel näher oder viel wichtiger?

    Schneider: Den Eindruck konnte man gewinnen in den letzten Jahren. Aber ich fand es sehr bemerkenswert, dass er die Begegnung mit den Kirchen der Reformation in Erfurt als einen Höhepunkt seiner Reise nach Deutschland bezeichnet hat, und zwar im "Wort am Sonntag". Das war ja ein sehr, sehr deutliches Zeichen und das macht deutlich, wie wichtig ihm auch die Ökumene mit den Kirchen der Reformation ist.

    Heinemann: Gleichwohl ist Benedikt XVI. jener Joseph Ratzinger, der als Chef der Glaubenskongregation die Erklärung Dominus Jesus verfasst oder mitverfasst hat, welche den Reformierten lediglich den Stellenwert einer kirchlichen Gemeinschaft zuerkennt, nicht den einer Kirche. Welches Hindernis bildet diese Sichtweise auf dem Weg zu einer Annäherung?

    Schneider: Wir müssen uns schon auf Augenhöhe begegnen und wir müssen auch einen Weg finden, wie wir mit dieser Einschätzung, die sich ja aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil herleitet, wie wir mit der umgehen. Und ich glaube, der Ansatz ist dann zu fragen, was hat das Zweite Vatikanische Konzil damit wirklich gemeint, und ich bin sehr sicher, dass wir dann auch einen Zugang dazu finden, dass die Kirchen der Reformation Kirchen im vollen Sinn des Wortes sind.

    Heinemann: Herr Stein, Sie haben eben andeutungsweise gesagt, die Katholische Kirche sei evangelischer geworden, wenn ich das so mit meinen Worten wiedergeben kann. Können beide Kirchen voneinander lernen?

    Schneider: Aber selbstverständlich. Im Zuge der Auseinandersetzungen nach der Reformation wurde sicher auf unserer Seite einiges abgestoßen, was wir besser behalten hätten, wenn Sie etwa an den Reichtum der Liturgie in der römischen Kirche denken.

    Heinemann: Sie haben gesagt, es gebe Inhalte, bei denen sich der Papst bereits jetzt schon für uns alle äußere, also auch für die Protestanten. Wann ist der Papst Pontifex omnibus, ein Brückenbauer für alle?

    Schneider: Nicht aus seiner Amtsautorität heraus, da niemals. Aber wenn er etwa die Fragen von Armut und Reichtum in der Welt anspricht, wenn er darauf aufmerksam macht, dass wir über den Glauben nicht nur reden dürfen, sondern dass wir den Glauben leben müssen, wenn er deutlich macht, dass Glaube was anderes ist als ein philosophisches System, sondern etwas, was die gesamte Person umgreift, dann spricht er Dinge an, die er wirklich in unser aller Namen so sagen kann und auch so sagen soll.

    Heinemann: In der Evangelischen Kirche wird seit einiger Zeit laut über einen Ehrenprimat des Papstes im Falle einer möglichen Vereinigung von evangelischer und katholischer Kirche nachgedacht. Was muss man sich darunter vorstellen?

    Schneider: Die leitenden Geistlichen, die dies vorschlagen, meinen damit, dass der Papst für uns alle spricht, sozusagen der erste Sprecher ist, ohne dass er eine lehramtliche oder juristische Gewalt über uns ausüben kann. Das meinen sie damit.

    Heinemann: Werden wir das noch zu unserer Lebzeit erleben? Was glauben Sie, wie lange das dauern wird?

    Schneider: Ich bin gespannt, ob wir das erleben, denn sozusagen die Nebenwirkungen des Ganzen müssen auch sehr genau betrachtet werden, denn das Amt des Papstes ist ja ein in sich sehr stark definiertes und gefestigtes Amt und hier darf es keine Missverständnisse geben.

    Heinemann: Welche Nebenwirkungen meinen Sie?

    Schneider: ... dass eben doch das Verständnis der lehramtlichen Gewalt und der juristischen Gewalt immer mitschwingt, und ich weiß nicht, wie weit man das wirklich so deutlich trennen kann.

    Heinemann: Und das wäre für die Protestanten so nicht akzeptabel?

    Schneider: Das wäre so nicht akzeptabel.

    Heinemann: Herr Schneider, ist das vielfach kritisierte Konservative an der Katholischen Kirche nicht auch ein Schutz davor, dass aus der Religionsgemeinschaft eine Wohlfühlkirche wird nach dem Grundsatz "Piep, piep, piep, Jesus hat euch lieb"?

    Schneider: Ja. Das kann man genau so sehen und es ist auch wichtig, das zu bewahren – es heißt ja konservare, das Konservative -, also das zu bewahren, was als wesentliche Erkenntnis des Glaubens zu bewahren ist. Allerdings muss man auf Folgendes aufmerksam machen: Der Garant für die Wahrheit ist niemals die menschliche Erkenntnis, sondern ist immer die vom Geist Gottes geführte menschliche Erkenntnis, also am Ende das Wirken, die Präsenz, das Gegenwärtige des Geistes Gottes selber, und hier darf menschliches Dogma dessen wirksam werden nicht einschränken.

    Heinemann: Aber sich auch nicht im Sinne des Zeitgeistes verbiegen lassen?

    Schneider: Nein, dieses auch nicht. Nur: Der Heilige Geist ist immer der rechte Zeitgeist. Es kommt darauf an, beim Zeitgeist zu unterscheiden, was sozusagen zeitgeistliche Beliebigkeit ist, oder was die Gegenwärtigkeit der Wahrheit Gottes in Jesus Christus ist.

    Heinemann: Die Katholische Kirche geht ja, um beim Zeitgeist zu bleiben, diesem Zeitgeist und auch dem politisch-medialen Establishment, das sich jetzt gerade wieder an dieser Reise abarbeitet, gewaltig auf die Nerven. Ist das nicht großartig?

    Schneider: Also diese Widerständigkeit finde ich wirklich auch einen großen Dienst für uns alle, denn wenn man sieht, wie die Medien im Augenblick voll sind mit Zustimmung und Ablehnung, aber wie sie voll sind und sich sowohl mit der Kirche wie mit den Fragen des Glaubens beschäftigen, das ist ein großer Dienst für uns alle.

    Heinemann: Das heißt, Kirche muss immer auch stören?

    Schneider: Kirche hat immer ein verstörendes Element, das kann gar nicht anders sein, denn wir wollen ja den Geist Gottes hier wirksam werden lassen, und Gottes Geist will die Welt auch gestalten, auch gegen das, was in der Welt eingestiftet ist sozusagen an dem Widerständigen, also an Egoismus, an Brutalität, an Gewalt, an Gier, und das ruft natürlich dann Widerstand hervor.

    Heinemann: Stichwort Egoismus. In der Katholischen Kirche, vielleicht auch in der protestantischen, gibt es unter anderem großartige Priester und Ordensleute und wiederum unter anderem auch herrschsüchtige oder sehr verbitterte Kirchenfürsten, die unendlich viel zerstören. Liegt die Zukunft der Kirche in einer Dezentralisierung, einem Abbau der Hierarchie, vielleicht nach dem Vorbild der urchristlichen Gemeinde?

    Schneider: Die Kirchen der Reformation sind ja einen solchen Weg gegangen, dass sie gesagt haben – ich sage das mal mit den Worten Bonhoeffers -, Kirche ist Christus als Gemeinde existierend. Wir denken die Kirche vom Volk Gottes und der Organisation des Volkes Gottes aus und vertrauen auf das Wort Jesu, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen, und setzen dann darauf, dass durch das Wort Gottes geleitet diese Gemeinde ihre Leitung auch konstituiert, die gleichzeitig aus ihr heraus erwächst, aber auch ihr gegenübersteht, insofern als auch das Wort Gottes der Gemeinde gegenübersteht und nicht nur Teil der Gemeinde ist. Wir meinen, dass dieses ein gutes Prinzip ist, damit Kirche geleitet wird.

    Heinemann: Und wie verhindert man dabei, dass sozusagen in theologischen Hobbykellern lauter Privatreligionen zusammengeschraubt werden?

    Schneider: Das ist die große Schwäche dieses Systems und das passiert ja auch ständig, dass diese Privattheologien zusammengeschraubt werden. Hier hilft nur der offene Diskurs und auch im Zweifelsfall der theologische Streit.

    Heinemann: Nikolaus Schneider, der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Herr Schneider, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schneider: Bitte schön! Sehr gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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