Donnerstag, 28. März 2024

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Evolution
Der Vorteil der Zwerge

Klimawandel oder Naturkatastrophen können für ein Massensterben sorgen. Im Laufe der Erdzeitalter hat es mehrfach solche Großereignisse gegeben, wo fast alle Lebewesen plötzlich ausgestorben sind. Die Überlebenden müssen plötzlich keine Konkurrenz mehr fürchten und können freie ökologische Nische besiedeln. Doch wie schnell sortieren sich die Arten wieder?

Von Michael Stang | 13.11.2015
    Elritze, Elritzenschwarm, Phoxinus phoxinus, Österreich, Oesterreich, Blindsee,
    Ein Schwarm von Elritzen, die in der Regel sechs bis acht Zentimeter lang werden. (imago / OceanPhoto)
    Vor rund 360 Millionen Jahren verschwand plötzlich ein Großteil der Meereslebewesen, manche Forscher sprechen gar von einer Arten-Apokalypse. Die Ursache ist unklar. Jedenfalls verschwanden rund 96 Prozent aller Fisch-Spezies.
    Lauren Sallan von der Universität von Pennsylvania wollte herausfinden, wie sich dieses Massenaussterben langfristig auf die Körperlänge der Wirbeltiere ausgewirkt hat: "Wir haben Daten zur Körpergröße von allen Wirbeltieren gesammelt, die wir aus der Zeit von 420 bis 320 Millionen Jahren bekommen konnten. Das waren Literatur- und Datenbankrecherchen, wir sind aber auch in Museen gefahren, um so viele Körperlängen der Tiere wie möglich aus dieser Zeit zu erhalten."
    Fische so groß wie Schulbusse
    Die Paläontologin konnte die Daten von mehr als 1.100 Wirbeltierarten in ihre Datenbank einpflegen. Bei der Analyse sah sie, dass in den 60 Millionen Jahren vor dem Aussterbeereignis der Großteil der Fische stetig an Körperlänge zunahm. Einige Fische seien so groß wie Schulbusse gewesen. Nach der Katastrophe war aber alles plötzlich anders.
    "Die Wirbeltiere zeigen dann alle eine Abnahme der Körperlänge. Das Schrumpfen wurde aber nicht durch Klimabedingungen verursacht. Dieser Liliput-Effekt war auch nicht, wie bislang vermutet, etwas Kurzfristiges, sondern er hielt 36 Millionen Jahre an. Die Fehlinterpretation war der dürftigen Datenmenge geschuldet."
    Liliput-Effekt
    Der Großteil der Fische kam über eine Körperlänge von 40 Zentimetern nicht mehr hinaus, teilweise verstärkte sich der Liliput-Effekt weiter. Kleiner war also besser. Der Grund: Kleinere Arten haben eine geringere Lebenserwartung, aber auch mehr und häufiger Nachwuchs. Das war offenbar in diesem Fall bei der Neubesiedlung von Lebensräumen nach dem Massenaussterben vorteilhaft, sagt Peter Wagner vom Smithsonian's National Museum in Washington, der den Artikel in Science kommentiert.
    "Im Zeitalter des Devons gab es in vielen Gruppen ja den Trend zur Körperlängenzunahme. Im Karbon später gab es das nicht mehr, sondern das Gegenteil war der Fall."
    Dieser langanhaltende Liliput-Effekt, der alle zuvor geltenden Regeln auf den Kopf stelle, erfordere ein Umdenken für den gesamten Bereich seiner Disziplin, so der amerikanische Paläobiologie.
    "Manche Trends kommen nicht wieder"
    "Zu häufig gehen die Leute davon aus, dass Evolution etwas Absolutes ist, was nur in eine Richtung geht. Das ist aber nicht der Fall. Etwas, was in einem Zeitalter wichtig war, muss im nächsten nicht mehr gelten, sondern es kann plötzlich in die andere Richtung gehen und manche Trends kommen nicht wieder."
    Das zeige deutlich, wie limitiert das Verständnis hinsichtlich der Evolution mitunter noch ist. Auch mahnten die neuen Ergebnisse, dass Prognosen, wie sich Tierarten zukünftig entwickeln werden – auch aktuell hinsichtlich der Klimaerwärmung - schwierig sind, wenn sich Trends vollständig umkehren können.