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Ewiger Sommer

Präsident Dmitrij Medvedev hat entschieden, in Russland möge künftig nur noch die Sommerzeit gelten. Eine Zeitumstellung zweimal pro Jahr belaste den Organismus zu stark. Ähnlich kurios wie die Begründung fällt die Diskussion über die Entscheidung aus.

Von Robert Baag | 25.03.2011
    Sein Lachen so ganz unterdrücken konnte Dmitrij Medvedev dann doch nicht, als er - eigentlich ganz "Staatsmann Nummer 1" - vor kurzem im Fernsehen mitzuteilen wusste:

    "Ich habe die Entscheidung getroffen, den Übergang zur Winterzeit aufzuheben - und zwar mit Beginn des kommenden Herbstes. Die entsprechende Anweisung an die Regierung erteile ich hiermit."

    Was der russische Staatspräsident hier am Ende fast halbernst seinem Volk live über die Bildschirme ankündigt, beendet in der Nacht vom kommenden Samstag auf Sonntag eine immerhin 30-jährige Tradition: 1981, noch zu Sowjetzeiten, hatte die kommunistische Führung beschlossen sich den Zeit-Gepflogenheiten in Europa anzuschließen. Keine absolute Neuerung übrigens, denn noch im letzten Sommer des Zarenreichs, 1917, hatte Russland zum ersten Mal die Sommerzeit bei sich eingeführt.

    Ab 1930 dann, unter Sowjetdiktator Iosif Stalin, galt in der ganzen UdSSR die so genannte Dekretzeit, als die Uhren für alle Zeitzonen im Land um eine Stunde vorgestellt wurden. Offizielle Begründung damals: Das Tageslicht sollte ökonomisch besser ausgenutzt werden. Medvedevs Argument Anfang Februar indes: Er sorge sich um die Gesundheit der russischen Bevölkerung, denn eine Zeitumstellung zweimal pro Jahr belaste nur den Organismus und verursache Stress.

    Sergej Mironov, Vorsitzender des Föderationsrates, der zweiten Kammer des russischen Parlaments, outete sich flugs in einer seltenen Protestaufwallung als Gegner des Medvedevschen Sommerzeit-Projekts. Er zöge es vor künftig nur die Winterzeit beizubehalten:

    "Am ersten Tag, nach dem die Uhren umgestellt werden, steigt die Zahl der Selbstmorde um etwa 50 bis 60 Prozent. Ärzte haben das dokumentiert. Aber darüber wird nicht geredet. Ich habe mir eine Analyse erstellen lassen: Die Anzahl der Ambulanz-Notrufe steigt um das x-fache, Herzinfarkte, Schlaganfälle."

    Als wirtschaftlichen Nachteil einer künftigen russischen "Dauer-Sommerzeit" sehen Ökonomen ab dem kommenden Winterhalbjahr die sich weiter öffnende Zeitschere zu Europa. Sind es bislang konstant zwei Stunden Unterschied zwischen deutschen Städten und Moskau, werden es ab Ende Oktober 2011 dann drei Stunden sein: Ist es also in Köln oder Berlin 13 Uhr, wird es in der russischen Hauptstadt im Winter schon 16 Uhr sein anstatt wie bisher 15 Uhr. Dies sei ein Wettbewerbs-Nachteil in einer wirtschaftlich sich immer enger verflechtenden internationalen Umgebung, bemängeln Kritiker.

    Und auch das Argument, man spare auf diese Weise mehr Energie ein, ist offenbar nicht sehr überzeugend. Um acht Rubel im Monat, umgerechnet etwa zwanzig Eurocent pro Bürger, sinke die Stromrechnung höchstens, hat die Boulevard-Zeitung "Komsomolskaja Pravda" ausgerechnet - und fragt deshalb sarkastisch: "Dafür der ganze Aufwand?"

    Doch auch handfesten Ärger hat sich die Moskauer Führung mit ihrem Ukas eingehandelt. Die Menschen im sibirischen Kuzbass etwa fühlen sich übergangen, entmündigt:

    "Unsere Kinder müssen auf finsteren Straßen laufen und geraten unter die Autos - deren Kindern passiert das nicht!"

    beschwert sich dieser Mann bei einer spontanen Protestkundgebung in Kemerovo. Ähnlich wie eine Kindergärtnerin in Petropavlovsk-Kamtschatskij, in Russisch-Fernost am Pazifik:

    "Wenn's früher dunkel wird, werden wir unsere Kinder selber zu den Eltern tragen müssen, weil viele von ihnen dies beruflich so früh nicht hinkriegen werden!"

    Dort im äußersten Osten Russlands hat man schon im vergangenen Jahr per Federstrich aus Moskau mal so eben zwei Zeitzonen zusammengelegt. Nicht mehr elf, sondern nur noch neun Zeitzonen teilen jetzt den größten Flächenstaat der Erde - das Zentrum soll es einfacher haben, während der Arbeitszeit mit seinen Verwaltungsfilialen in Russlands tiefem Inneren zu kommunizieren.

    "Wenn wir anfangen mit den Zeitzonen herumzumanipulieren",

    gibt dagegen Igor Ganswind von der Russischen Akademie der Wissenschaften im Sender REN-TV zu bedenken,

    "und die Menschen zwingen später aufzustehen, als die liebe Sonne das vorsieht, dann schädigen wir sie einfach in ihrer Gesundheit."

    Insgesamt allerdings, so hat es zumindest den Anschein, zuckt die Mehrheit der russischen Bevölkerung beim Thema Sommer-/Winterzeit eher belustigt bis gleichgültig die Schultern, ganz nach dem Motto: "Haben wir denn keine anderen Probleme?!" Den kürzesten Beitrag zum Stichwort Zeitumstellung in Russland hatte wohl kürzlich im Radio-Sender "Echo Moskvy" Viktor Shenderovitch parat:"Die Zeit in u n s e r e m Land ist wie sie war", so das Wortspiel des bekannten Satirikers, "ganz so wie in der Sowjetunion!"