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Ewiges Leben im Glas

Ethik. - Medizinische Grundlagenforschung kommt nicht ohne Zellspenden aus. Für Spender wie für Forscher ist das ein schwieriges Thema, bei dem die jeweiligen Interessen austariert werden müssen. Immerhin ist heutzutage das Bewusstsein vorhanden, dass auch Zellspender Rechte haben. Bei einer der berühmtesten Zelllinien der Welt war das noch völlig anders. Die Krebszellen der HeLa-Linie stammen von Henrietta Lacks, einer fünffachen Mutter aus Baltimore. Vor 59 Jahren starb die damals 31jährige an aggressivem Gebärmutterhalskrebs. Zuvor hatte man ihr - wohl ohne Erlaubnis - Krebszellen entnommen. Die daraus gewonnene Zelllinie lebt noch heute. Ein Buch, das auch in deutscher Sprache erschienen ist, nimmt sich jetzt der Geschichte von Henrietta Lacks an.

Von Michael Lange | 01.10.2010
    Ganz gleich ob in der Zellbiologie, der Genforschung oder in der Impfstoff- und Medikamentenentwicklung: HeLa-Zellen gehören überall auf der Welt zum Labor-Alltag. Es handelt sich um besonders aggressive menschliche Krebszellen. Sie wachsen extrem schnell und sind deshalb ideal, um Studenten die Methoden der Zellkultur beizubringen und um Experimente durchzuführen, weiß Marian Barsoum von der Universitätsklinik Köln.

    "Wenn man Versuche plant, dann kann man in jedem Fall davon ausgehen, dass man innerhalb einer Woche definitiv genug Material haben wird, um etwas auszutesten oder das Projektziel zu erreichen mit diesen Zellen. Und HeLa-Zellen sind eigentlich sehr stabil und konstant und behalten auch ihr Aussehen, ihre Art, ihren Stoffwechsel."

    Der Name HeLa ist ein Kürzel der Zellspenderin Henrietta Lacks. Eine Afroamerikanerin aus Baltimore, die als fünffache Mutter im Alter von 31 Jahren 1951 an Gebärmutterhalskrebs starb. Ein Chirurg der Johns Hopkins-Klinik entnahm ihr einige Monate vor ihrem Tod etwas Krebsgewebe und gab es an das klinikeigene Labor zur Gewebezüchtung. Seit Jahren versuchten dort Biologen menschliche Zellen dauerhaft am Leben zu erhalten. Bis dahin vergeblich. Die Zellen gingen nach wenigen Tagen oder Wochen zu Grunde. Anders die Krebszellen von Henrietta Lacks. Die Zellen teilten sich immer weiter und wurden bald in alle Welt verschickt. Henriettas Familie erfuhr davon jahrzehntelang nichts, so die Wissenschaftsjournalistin Rebecca Skloot.

    "Die Zellen wurden ohne ihre Zustimmung entnommen. Sie wurden gezüchtet und bis heute vielfach verkauft und gekauft für viel Geld, ohne dass sie oder ihre Familie davon wusste. Die Familie ist sehr arm und kann sich keine Krankenversicherung leisten."

    Rebecca Skloot erzählt die Geschichte der Henrietta Lacks und ihrer Familie in einem Buch. In den USA wurde es zum Bestseller. Die deutsche Übersetzung ist jetzt unter dem Titel "Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks" erschienen. Sie wühlte in Archiven, traf viele Wissenschaftler und vor allem, die Menschen, die ihr mehr über die Person Henrietta Lacks erzählen konnten. Skloot:

    "Hinter jeder Probe, die wir im Labor benutzen, stehen Menschen. Daran denken Wissenschaftler normalerweise nicht. Sie machen sich keine Gedanken, ob die Spender mit der Forschung einverstanden wären. Inzwischen gibt es allerdings überall Diskussionen: Was sollte ein Patient wissen, bevor er seine Zustimmung erteilt? Bei manchen Proben ist die Zustimmung jedoch nach wie vor nicht notwendig. Nämlich dann, wenn die Probe anonymisiert wurde und keiner bestimmten Person zugeordnet werden kann."

    Die Zustimmungserklärungen, die Zellspender heute ausfüllen müssen, sind meist allgemein gehalten. Die Formulierungen müssen möglichst viele Verwendungszwecke einschließen. Genaue Informationen über mögliche Forschungsprojekte fehlen. Rebecca Skloot:

    "Wir wissen ja nicht, was die Wissenschaft bringen wird. Als die Zellen von Henrietta Lacks entnommen wurden, kannte man nicht einmal die Bedeutung der DNA. Heute lassen sich aus den Zellen Informationen lesen, die man sich damals überhaupt nicht vorstellen konnte."

    Für Rebecca Skloot ist wichtig, dass die Kinder, Enkel und Urenkel von Henrietta Lacks die Anerkennung erfahren, die der Zellspenderin damals verwehrt wurde. Denn Henrietta Lacks hat einen wichtigen Beitrag für die Forschung geleistet – und somit indirekt viele Menschenleben gerettet.

    Literaturhinweis: Rebecca Skloot: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks, Irisiana Verlag,512 Seiten, ISBN: 978-3-424-15075-9, 19,99 Euro