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Ex-Botschafter äußert Unverständnis über Gewalt gegen russische Demonstranten

Der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz, hält das gewaltsame Vorgehen der russischen Regierung für eine Folge überzogener Furcht vor Destabilität. Allerdings sei das Land so gefestigt, dass es unverständlich sei, warum gegen "so im Grunde genommen doch marginale Regungen demokratischen Selbstbewusstseins" so hart durchgegriffen wird, sagte der ehemalige Diplomat.

Moderation: Klaus Remme | 17.04.2007
    Klaus Remme: Die Bilder aus Moskau und St. Petersburg sind unmissverständlich. Von demokratischen Verhältnissen ist Russland weit entfernt. Die Opposition hat kaum eine Chance, die Demonstranten wollten am Wochenende auf diese Mängel aufmerksam machen und wurden brutal niedergeknüppelt. Auch Journalisten gerieten zwischen die Fronten. International wurde die Gewaltanwendung vielfach kritisiert.

    Am Telefon ist jetzt Ernst-Jörg von Studnitz, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau, jetzt Vorsitzender des deutsch-russischen Forums. Guten Morgen, Herr von Studnitz!

    Ernst-Jörg von Studnitz: Guten Morgen, Herr Remme!

    Remme: Herr von Studnitz, Putin herrscht doch unangefochten, Macht hat er über Jahre ausgebaut und gefestigt. Zeugen diese Bilder des Niederknüppelns selbst kleiner Menschenmengen von einer neuen Qualität?

    Studnitz: Ich glaube schon, dass man von einer neuen Qualität reden muss, denn das, in dieser Intensität und auch in dieser Brutalität, haben wir bisher nicht gesehen.

    Remme: Warum tut Putin dies?

    Studnitz: Ich bin nicht ganz sicher, ob man so einfach sagen, Putin tut das. Jedenfalls lässt er es zu. Aber es ist der Versuch, auf jeden Fall Ereignisse, wie sie sich 2004 in der Ukraine ereignet haben, auf keinen Fall zuzulassen. Das heißt, die Ereignisse in der Ukraine, in Kiew vor allem, haben ja begonnen mit langen Demonstrationen, die sich gegen Präsident Kutschma gerichtet haben. Und ich bin überzeugt, in Moskau herrscht ein Gefühl, dass, was sich in der Ukraine ereignet hat, darf sich auf keinen Fall in Russland ereignen. Wehret den Anfängen! Und die Anfänge sind eben Demonstrationen, die über die Zeit hinweg immer mehr Gewicht bekommen und dann zu einer wirklichen, in der Ukraine, Bedrohung des Regimes Kutschma geführt haben.

    Remme: Wehret den Anfängen - das mag aus Sicht der russischen Führung möglicherweise gelten, aber sehen Sie die Situation in der Ukraine damals und heute in Moskau vergleichbar?

    Studnitz: Nein. Die sind nicht vergleichbar. Die Ukraine war unvergleichlich viel destabiler, als es Russland heute ist. Eigentlich hätte das Putin-Regime sich dieser Maßnahmen gar nicht bedienen müssen. Das Land ist so gefestigt nach sieben Jahren Putin-Herrschaft innerlich, dass es unverständlich ist, warum gegen so im Grunde genommen doch marginale Regungen demokratischen Selbstbewusstseins in der Bevölkerung so hart durchgegriffen werden muss.

    Remme: Herr von Studnitz, wie gefährlich ist die Tatsache, dass das Kräftespiel zwischen Machthabern und Opposition in Russland nicht funktioniert?

    Studnitz: Ich glaube, dass das kurzfristig für das Regime keine Bedrohung ist. Ich glaube aber, dass langfristig gesehen sich die russische Regierung, die russische Führung damit keinen Gefallen tut. Man kann nicht das Volk draußen vor lassen. Selbst wenn die Russen von einem anderen Staatsbewusstsein geprägt sind, als wir dies im Westen sind, für die Russen kommt es immer drauf an: Der Staat muss stark sein. Und man fühlt sich gut, wenn man Gewissheit hat, einem starken Staat anzugehören. Und dazu gehört natürlich auch eine starke Führung.

    Remme: Ich meinte jetzt auch weniger die Gefahr für das Regime selbst als die Gefahr für das internationale Umfeld, wenn sich in Russland ein autoritäres Regime etabliert hat.

    Studnitz: Ich glaube nicht, dass das für das internationale Umfeld per se gefährlich ist. Militärisch ist Russland so weit gegenüber Amerika zurückgefallen, dass man also nicht von einer Rückkehr in den Kalten Krieg mit all den militärischen Konsequenzen rechnen muss, die wir ja in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt haben, das nicht. Und ich glaube auch nicht, dass letztendlich es für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Westen und Russland von qualitativ verändernder Bedeutung sein wird, wenn der Kurs in Russland stärker autoritär wird.

    Remme: Sie selbst waren deutscher Botschafter in Moskau. Gerhard Schröder pflegte einen freundschaftlichen, und viele sagen allzu kumpelhaften und unkritischen Umgang mit dem russischen Präsidenten. Glauben Sie, diese Haltung hat die Machtkonzentration in Moskau geradezu gefördert?

    Studnitz: Das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass das Verhalten irgendeines westlichen Politikers, auch nicht des deutschen Bundeskanzlers, damals Gerhard Schröder, in irgendeiner Weise dazu beigetragen hat, die Dinge so auf den Punkt zu treiben, wie sie jetzt in Russland auf den Punkt getrieben worden sind.

    Remme: Aber wenn Sie von einer neuen Qualität der politischen Repression sprechen, wie klingt das Wort vom lupenreinen Demokraten angesichts solcher Bilder?

    Studnitz: Dieses Wort habe ich nie nachvollziehen können, und ich glaube, die heutigen Ereignisse zeigen, dass dieses Wort falsch war.

    Remme: Herr von Studnitz, wie viel Unterstützung hat die russische Opposition denn verdient?

    Studnitz: Ich meine, natürlich hat die russische Opposition zunächst mal unsere Sympathie verdient, weil es ein Denken ist, das unsererseits hier im Westen natürlich geteilt wird. Es ist völlig unverständlich, warum letztlich doch marginale Demonstrationen oder Umzüge in Moskau und in St. Petersburg, früher schon in Nischnij Nowgorod und zuvor auch schon mal in St. Petersburg, auf diese brutale Weise niedergeknüppelt werden müssen. Wir wissen alle, dass es eine Pressefreiheit auf jeden Fall in den elektronischen Medien nicht mehr gibt, und selbst die Druckmedien sind ja in einem erheblichen Maße gleichgeschaltet worden. Man fragt sich, wozu das sein muss. Es ist nicht notwendig.

    Remme: Ich habe den Regierungsstil von Gerhard Schröder angesprochen, Angela Merkel pflegt einen anderen Umgang mit dem russischen Präsidenten. Viele sagen, angesichts der Bilder müsse sie jetzt noch deutlichere Worte wählen. Bestehen diese Forderungen zu Recht?

    Studnitz: Ich glaube, die Bundeskanzlerin hat während ihrer Amtszeit in den Beziehungen zu Russland es an Deutlichkeit nicht fehlen lassen, ohne dass sie die wichtigen Beziehungen, die aufgebaut worden sind und die sich entwickelt haben, nicht nur in der Schröder-Zeit, das war ja auch schon in der Zeit der vorherigen Bundesregierung ein durchaus konstruktives Verhältnis, was gerade für unsere Wirtschaft von erheblicher Bedeutung ist. Also ich glaube, Frau Merkel hat mit gutem Beurteilungsvermögen sich auf die Verhältnisse so eingestellt, ohne diese übergroße Nähe, die uns letztendlich nichts gebracht hat, weiter fortzuführen.

    Remme: Was meinen Sie damit, nichts gebracht hat?

    Studnitz: Ich glaube nicht, dass sich die gute wirtschaftliche Entwicklung in irgendeiner Weise davon herleiten lässt, dass so enge persönliche Beziehungen zu dem Kanzler Schröder und dem Präsidenten Putin bestanden haben. Die haben sich auch so entwickelt, weil deutscherseits ein großes Interesse am russischen Markt besteht und weil russischerseits ein großes Interesse an der deutschen wirtschaftlichen Präsenz in Russland besteht.

    Remme: Können Sie aus der Sicht eines ehemaligen Botschafters noch mal sagen, wo Ihrer Ansicht nach die Grenzen deutscher Einflussmöglichkeiten in Russland sind?

    Studnitz: Die Einflussmöglichkeiten sind insgesamt überhaupt begrenzt und eng, wenn man sozusagen an direkte Einflussmöglichkeiten denkt, dass man sagt, wir müssen also jetzt hier den Russen gegenüber auftrumpfen, wir müssen den Russen gegenüber sagen, wo es lang geht. Das wird zu nichts führen. Was sehr viel eindrucksvoller sein kann, ist ein langfristiges Festhalten zum einen an der notwendigen Partnerschaft zu Russland und andererseits das durchaus bewusste Anders-Sein in der politischen Ausrichtung, in dem politischen Gebaren in unserem Lande. Ich glaube, das wird am Ende auf die Russen sehr viel mehr Eindruck haben als eine belehrende Haltung, die da sagt, ihr müsst, ihr müsst.

    Remme: Ernst-Jörg von Studnitz war das, der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums. Herr von Studnitz, vielen Dank fürs Gespräch.

    Studnitz: Bitteschön, Herr Remme.