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Ex-EU-Parlamentspräsident: Lissabon-Vertrag erlaubt verstärkte Zusammenarbeit

Der Lissabon-Vertrag erlaube es den EU-Mitgliedsstaaten, eine "Zusammenarbeit in Währungs- und Steuerfragen" zu vereinbaren, sagt der frühere EU-Parlamentspräsident Klaus Hänsch. Es komme darauf an, ob Deutschland und Frankreich Vorschläge machten, die andere mitgehen könnten.

Klaus Hänsch im Gespräch mit Gerd Breker | 05.12.2011
    Gerd Breker: Europa steht vor einem grundlegenden Umbau. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, sie planen dergleichen, und zwar noch heute. Ziel ist eine sogenannte Fiskalunion. Der Umstand, dass 17 europäische Länder zwar eine gemeinsame Währung haben, es aber keine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt, dieser Umstand gilt als eine der Hauptursachen der gegenwärtigen Krise. Künftig soll gegen Defizitsünder vor Gericht geklagt werden dürfen und oder soll die Europäische Zentralbank nicht nur die Geldmengen und die Stabilität im Blick haben, sondern zu einem Instrument der Krisenbewältigung werden. Deutschland und Frankreich, sie planen Großes heute.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Klaus Hänsch, ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments und auch ehemaliges Mitglied im europäischen Verfassungskonvent und – eigentlich überflüssig zu sagen, ich sage es dennoch – ein überzeugter Europäer. Guten Tag, Herr Hänsch!

    Klaus Hänsch: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Zwei Staats- und Regierungschefs verhandeln über Vertragsänderungen in Europa, Änderungen an der Verfassung sozusagen. Das ist seltsam, ohne dass ein Konvent beteiligt ist?

    Hänsch: Naja, die beiden Staaten verhandeln ja nicht, sondern sie legen ein Konzept vor, das die Regierungschefs beschließen müssen, und dann muss das, wenn es zu Vertragsänderungen kommt, ja in den nationalen Parlamenten oder hier und dort – das weiß man noch nicht -, je nachdem wie weit diese Vertragsänderung geht, durch Volksabstimmungen ratifiziert werden. Ob ein Konvent beteiligt wird oder werden muss, das wird auch davon abhängen, wie groß die Perspektive ist, wie stark die Veränderungen, die vorgesehen sind, am Lissabon-Vertrag eigentlich sein sollen oder sein werden. Es ist möglich, rein rechtlich, den Konvent nicht einzuberufen, wenn es sich um sehr begrenzte Veränderungen handelt. Wenn es sich um größere handelt, dann ganz sicher müsste ein Konvent beteiligt werden.

    Breker: Verhalten sich da Deutschland und Frankreich in dieser Situation nicht ein wenig wie Hegemonialmächte in Europa?

    Hänsch: Entschuldigung, ich habe Sie akustisch nicht verstanden.

    Breker: Verhalten sich da Deutschland und Frankreich nicht wie Hegemonialmächte in Europa?

    Hänsch: Nein, das tun sie wirklich nicht, denn es werden ja jetzt Vorschläge gebraucht. Es ist ja ganz offensichtlich, dass die bisherigen Maßnahmen, aus der Krise herauszukommen, alle nicht ausreichend greifen. Es ist auch klar, dass das jetzt nachgeholt werden muss, was dem Konvent verweigert wurde von einer ganzen Reihe von Regierungen, darunter auch der deutschen, nämlich eine Wirtschaftsregierung oder jedenfalls einen politischen Rahmen zu schaffen für das Funktionieren der Währungsunion. Das ist jetzt ganz offensichtlich geworden, und wenn zwei wichtige Staaten dafür einen Vorschlag machen, auch noch diesen Vorschlag gemeinsam vorlegen, dann ist das eine gute Sache für Europa. Die Frage ist jetzt, ob die beiden Regierungen, die französische und die deutsche, einen Weg vorschlagen, den andere Mitgliedsstaaten aus ihrer Sicht mitgehen können, und darüber wird sicherlich in dieser Woche, am Ende dieser Woche intensiv geredet werden. Auch da ist noch nicht klar, ob es dann wirklich schon einen Beschluss gibt. Allerdings wäre es zu wünschen, dass es einen Beschluss gibt, denn je schneller jetzt der politische Rahmen für die Währungsunion geschaffen wird, umso eher gelingt es auch, aus der gegenwärtigen Krise herauszukommen.

    Breker: Wenn andere Staaten, Herr Hänsch, nicht mitgehen können, ist das juristisch eigentlich einwandfrei, dass zwei Staaten Verträge abschließen über Bereiche, die eigentlich schon im Lissabon-Vertrag und Ähnlichem geregelt sind?

    Hänsch: Nein. Zwei Staaten reichen nicht für einen Vertrag. Aber es gibt im Lissabon-Vertrag die Möglichkeit, dass sich eine Gruppe von Staaten - wenn ich das jetzt richtig im Kopf habe, sind es acht – zusammentun zu einer verstärkten Zusammenarbeit, und das könnte auch entweder gelten für die gesamte Euro-Gruppe, sodass man also die 17 zusammenbringt, zu der Formel "verstärkte Zusammenarbeit in Währungssachen im Rahmen des Lissabon-Vertrages" oder es könnte auch eine größere Gruppe innerhalb der Mitgliedsstaaten der Eurozone sein, die bestimmte Zusammenarbeit in Währungs- und Steuerfragen, Haushaltsfragen auch miteinander vereinbaren. Das ist durchaus die vertragliche Grundlage. Und meine Vorhersage ist, wenn ich die mal riskieren soll, dass es wahrscheinlich auf so etwas hinausläuft – möglicherweise nicht auf eine Gruppe innerhalb der Eurozone, aber jedenfalls eine Nutzung des Lissabon-Vertrags zu verstärkter Zusammenarbeit in Steuer- und Haushaltsfragen.

    Breker: Muss man nicht zum jetzigen Zeitpunkt feststellen, Herr Hänsch, dass diese Euro-Schuldenkrise zu einer Krise der Europäischen Union geworden ist? Das Ansehen bei den Menschen in Europa ist geringer denn je.

    Hänsch: Das ist ja das Gefährliche an der Krise, neben den Währungsfragen, dass die Menschen das Vertrauen in die europäische Einigung und damit auch in die Zukunft Europas verlieren. Das ist ja der Unterschied zu den historischen Krisen, die es ja im Laufe der europäischen Einigung in den letzten Jahren immer wieder gegeben hat, dass diesmal auch die Menschen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anfangen, das Vertrauen zu verlieren. Umso wichtiger ist es, dass die beiden Führungsmächte in der Europäischen Union, Frankreich und Deutschland, klar machen, dass sie in der Lage sind, erstens sich selber zu einigen, zweitens eine ausreichende Zahl von Mitgliedsstaaten mitzunehmen, um die Instrumente, die es zur Bewältigung der Krise gibt, auch wirklich zu nutzen. Und ich habe die Zuversicht, dass die Europäische Union daraus gestärkt hervorgehen kann.

    Breker: Allerdings ist es so, Herr Hänsch, dass die Euro-Krise ja geradezu den Nachweis liefert, dass nationale Egoismen immer noch Vorrang haben vor europäischer Solidarität, und konterkariert das nicht den Grundgedanken?

    Hänsch: Nein! Also wenn ich mir die Beschlüsse ansehe, die ja getroffen worden sind in den vergangenen sechs Monaten, auch wenn sie immer wieder revidiert werden, werden mussten, dann stelle ich doch fest, dass es einen erstaunlichen Willen zu mehr Solidarität gibt. Was die Europäische Union braucht jetzt ist, dass erstens dieser Wille sich manifestiert in Handlungen, und dass zweitens es gelingt, den politischen Rahmen dafür zu schaffen, dass die Instrumente, die vorgesehen sind und die möglich sind zur Lösung der Euro-Krise und der Schuldenkrise vor allen Dingen, auch greifen können.

    Breker: Werfen wir einen Blick auf das Management dieser Krise, wie damit umgegangen wurde. Die Finanzmärkte, so haben wir immer wieder gehört, sie wollen überzeugende Schritte, und stattdessen spricht Angela Merkel von einem langen Weg, um verlorenes Vertrauen wieder herzustellen, also um Geduld und nicht entscheidende Fortschritte nach vorne. Ist das Management nicht auch ein Problem?

    Hänsch: Natürlich ist das Management ein Problem. Aber gerade weil das Management ein Problem ist, kommt es darauf an, dass man mit dem Beginn des Managements jetzt auch Vertrauen versucht, zurückzugewinnen. Dass das nicht von heute auf morgen, auch nicht in sechs Monaten geschehen wird, ist völlig klar. Aber es geht ja immer um die Perspektiven, in die hineingehandelt wird, und wenn es jetzt einen Ansatz einer Lösung gibt, dann ist es selbstverständlich nur der Ansatz, aber es zeigt auch, wo es hingehen könnte, und schon das wird ein Beitrag zur Vertrauensbildung sein.

    Breker: Ist nicht der entscheidende Punkt auch, welche Rechte das Europäische Parlament bekommt?

    Hänsch: Das Europäische Parlament hat im Rahmen der Lösung der Krise einige Befugnisse. Es ist ja untergegangen, dass es im Frühjahr dieses Jahres eine ganze Reihe von Finanzmarktregelungen für die Europäische Union beschlossen hat. Also da hat das Parlament leider nicht deutlich genug gemacht, dass es beteiligt ist in bestimmten Fragen. Aber natürlich ist es nicht beteiligt, wenn es um die Haushaltsmittel der Mitgliedsstaaten geht. Das ist auch ganz normal und richtig so. Das Europäische Parlament kann nicht darüber beschließen, wie die Ausgabengestaltung in dem einen oder anderen Mitgliedsland sein sollte oder ist. Insofern bleibt das, was jetzt zu tun ist, zunächst einmal eine Sache der Regierungen, kontrolliert durch ihre eigenen nationalen Parlamente.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Klaus Hänsch, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, zur Euro-Schuldenkrise. Herr Hänsch, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Hänsch: Herzlichen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.