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Kunsttherapie
Museumsbesuch auf Rezept

Kunst statt Pillen: Ärzte in Montreal verschreiben ihren Patienten nicht nur Medikamente, sondern seit neuestem auch Museumsbesuche. Die Ergebnisse einiger Studien belegen: Kunst hat Einfluss auf bestimmte Hormone und verstärkt die Heilung.

Von Dennis Kastrup | 26.11.2018
    Thomas Bastien: "Wir haben uns von Japan inspirieren lassen. Spaziergänge im Wald gelten dort als gut für die Gesundheit. Dann haben wir uns gefragt, warum wir nicht etwas Ähnliches in Montréal machen sollen, aber eben mit dem Museum."
    "Waldbaden" nennt man diese in Japan weit verbreitete Aktivität von der Thomas Bastien spricht. Er ist Leiter der Abteilung "Erziehung und Wohlbefinden" im Musée des beaux-arts de Montréal. Voller Stolz berichtet er von dem großen Bereich des Museums, in dem Besucher kostenlos in therapeutischer Begleitung selbst kleine Kunstwerke erstellen können. Die jahrelangen Erfahrungen in Kunstpädagogik führten nun zur Idee, Museumsbesuche als Therapie anzubieten.
    Untersuchungen lieferten positive Ergebnisse
    Thomas Bastien: "Wenn Ärzte sich bei der Vereinigung Médicins francophones du Canada für dieses Programm einschreiben, bekommen sie 50 Eintrittskarten für das Museum. Diese speziellen Rezepte gewähren jeweils zwei Erwachsenen und zwei Kindern den kostenlosen Eintritt. Sie können sich also die Sammlungen und Ausstellungen anschauen. Die Karten gelten für ein Jahr."
    Nicole Parent ist die Leiterin dieser Ärztevereinigung. 2017 hat ihre Organisation die Direktorin des Museums, Nathalie Bondil, eingeladen, um über die Auswirkungen von Kunst auf Patienten zu referieren. Denn Untersuchungen lieferten positive Ergebnisse:
    "Ein paar Studien haben gezeigt, dass durch Kunst bestimmte Hormonspiegel beeinflusst werden können, zum Beispiel Kortisol oder Serotonin. Das sind Hormone, die beim Schmerzempfinden involviert sind. Wir wissen, dass diese Hormone sich über einen Zeitraum hinweg regulieren lassen, wenn man eine Aktivität unternimmt. Das gilt eben auch, wenn man Kunstwerke betrachtet."
    Kunst als besondere Therapieform
    Seit November 2018 können die Mediziner nun ihre Patienten in das Musée des beaux-arts de Montréal schicken. Der Eintritt gilt für eine Person mit Begleitung und zwei Kindern. Dem Patienten soll es ermöglicht werden, sich die Kunst mit seiner Familie, also in vertrauter Umgebung, anzuschauen. Wem genau die Ärzte den Museumsbesuch empfehlen, liegt ganz alleine in ihrem Ermessen. Die Patienten müssen sich natürlich auf diese besondere Theapieform einlassen.
    Nathalie Bondil: "Für so ein Rezept sind eigentlich alle Arten von Symptomen relevant, also sowohl körperliche als auch mentale Probleme. Von chronischen Schmerzen, chronischen Krankheiten, über Bluthochdruck, Diabetes, Depression bis hin zu kognitiven Störungen oder Alzheimer - eigentlich alles."
    Einige Ärzte verschreiben den Besuch auch, wenn sie den Patienten eine schlimme Diagnose machen müssen. Kunst helfe dann bei der Verarbeitung der schlimmen Nachricht und sei in solchen Momenten die beste Ablenkung. Schon Picasso wusste: "Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele". Die Frage ist nur, ob das auch für Patienten funktioniert, die noch nie in ihrem Leben etwas mit Gemälden oder Kunstobjekten anfangen konnten?
    Nathalie Bondil: "Es gibt natürlich Menschen, die nicht so auf Kunst reagieren. Aber sie müssen es wenigstens einmal ausprobieren. Dann finden sie vielleicht beim zweiten Museumsbesuch Gefallen daran und entwickeln ein Interesse. Sie spüren dann den Frieden an so einem Ort. Es geht auch darum, auszuprobieren, ob es interessant ist."
    Kunst kann auch schmerzen
    Nach den ersten Wochen ziehen die Beteiligten ein positives Fazit. Patienten berichten von erfüllenden Momenten. Online gibt es ein Video, in dem eine Frau vor Freude weint. So mancher ist sogar länger im Museum geblieben und hat sich in den Raum gesetzt, in dem Kunsttherapeut Stephen Legari die Besucher dabei unterstützt, selber künstlerisch tätig zu werden.
    Stephen Legari: "Kunst kann helfen – sie kann aber auch wehtun. In der Kunsttherapie schließen wir das Risiko mit ein, dass ein Teilnehmer etwas Negatives fühlt. Man fühlt sich vielleicht unwohl. Man erinnert sich vielleicht an schmerzhafte Dinge. Man spürt seine Emotionen viel stärker als man das erwartet oder gewollt hat. Das kann ein positives Therapieelement sein. Es ist aber nicht unbedingt angenehm."
    Dass dies ebenso für die Auseinandersetzung mit den Kunstwerken im Museum gilt, weiß auch Thomas Bastien: "Ich glaube nicht, dass es in einem Museum sozusagen ein adäquates oder nicht-adäquates Kunstwerk gibt. So etwas hängt von der Kultur ab und von dem, was man im Leben erfahren hat. Das kommt also auf das Individuum an."
    Die Stille wirkt auf den Körper
    Natürlich: Ablenkung versprechen auch Konzertbesuche, Abende mit Freunden oder sportliche Aktivitäten. Doch all das ist eben mit Krach und Unruhe verbunden. Im Museum herrscht meistens eine Stille, die auf den gesamten Körper wirkt. Doch der Museumsbesuch auf Rezept wird bisher von den Krankenkassen nicht als Therapieform anerkannt. Das Projekt wird bisher von einem privaten Kunstliebhaber finanziell unterstützt, der Geld für die Tickets gespendet hat.
    Thomas Bastien: "Der nächste Schritt wird wohl auch der schönste sein: Was wird passieren, wenn die Versicherungen dafür bezahlen werden, dass die Menschen ins Museum gehen? Wenn sie also sagen, dass Museumsbesuche gut für die Gesundheit sind und einen guten Einfluss auf das Wohlbefinden haben können?"