Donnerstag, 28. März 2024

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Ex-Generalinspekteur Kujat
"Was wir aufwenden für die Verteidigung, ist beschämend"

Nach Einschätzung des ehemaligen Generalinspekteurs Harald Kujat ist die aktuelle Bundeswehr die kleinste, die am schlechtesten ausgerüstete und die mit der niedrigsten Moral. Der Zustand der Bundeswehr schreie nach Erhöhung der Verteidigungsausgaben, sagte Kujat im Dlf.

Harald Kujat im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.07.2017
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, am 17. Juli 2016 in Berlin
    Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, appelliert an die Politik: Verbessert die Bundeswehr in jeder Hinsicht! (imago stock&people)
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Absturz eines deutschen Tiger-Hubschraubers in Mali hat nicht nur bei den betreffenden Familien und in der Bundeswehr Trauer ausgelöst, er hat einmal mehr vor Augen geführt, dass kein Militäreinsatz ungefährlich ist – im Gegenteil. Der Friedenseinsatz der Vereinten Nationen in Mali gilt als einer der gefährlichsten weltweit. Noch ist der Grund für den Absturz nicht geklärt, Hinweise auf einen Abschuss gibt es derzeit nicht, nach Informationen des "Spiegel" geht die Bundeswehr aber von einem massiven technischen Defekt aus. Ein Pilot, der den Vorfall beobachtete, gab an, der Hubschrauber sei plötzlich nach vorne gekippt und dann in die Tiefe gestürzt. Der Pilot und ein Schütze kamen ums Leben. Darüber können wir jetzt sprechen mit Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr. Guten Morgen, Herr Kujat!
    Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr Kujat, wir wollen nicht über die Absturzursache spekulieren, aber der Tiger ist eigentlich für Einsätze in Mitteleuropa gedacht und nicht für Gegenden mit extrem hohen Temperaturen. In Mali darf er ja bekanntlich nur auf Grundlage einer Sondergenehmigung eingesetzt werden. War das verantwortbar aus Ihrer Sicht?
    Kujat: Nun, ich denke, der Einsatz in Mali ist sehr wichtig. Es ist wichtig, dass wir die Vereinten Nationen unterstützen. Dieser Einsatz ist aber auch in unserem eigenen Interesse. Mali liegt in einer Schlüsselregion auch für unsere Sicherheit. Insofern muss man eine Abwägung treffen: Was ist erforderlich und was können wir leisten? Und diese Abwägung ist getroffen worden und es ist so entschieden worden.
    Heckmann: Und es ist aus Ihrer Sicht eine richtige Abwägung. Ist es verantwortbar, dann ein Fluggerät einzusetzen, das für diese Region, für diese Temperaturen eigentlich gar nicht gedacht ist?
    Kujat: Ich will nicht spekulieren über die technischen Möglichkeiten dieses Fluggerätes. Dieser Hubschrauber ist ja seit einiger Zeit, seit längerer Zeit in der Diskussion. Grundsätzlich würde ich sagen: Es ist wichtig, dass wir uns alle darüber klarwerden, dass die Bundeswehr einen schwierigen, einen gefährlichen Auftrag hat. Sie haben es ja selbst in Ihrer Anmoderation gesagt: Auch dieser Einsatz ist ein gefährlicher Einsatz. Die Bundeswehr ist die kleinste, die wir je hatten, ist die insgesamt am schlechtesten ausgerüstete Bundeswehr und ist die Bundeswehr mit der tiefsten Moral. Und das gilt es grundsätzlich zu verbessern. Die Bundeswehr muss in der Lage sein, alle möglichen Aufträge, auch Aufträge, von denen wir uns heute vielleicht gar nicht vorstellen können, wie sie in fünf oder zehn Jahren aussehen, mit dem bestmöglichen Material und mit den höchst motiviertesten Soldaten ausführen zu können. Daran müssen wir arbeiten.
    Hubschrauber-Absturz: "Um die Gefährlichkeit einer solchen Mission wissen"
    Heckmann: Herr Kujat, Sie sagen, die Bundeswehr ist die kleinste Armee, mit der niedrigsten Moral derzeit. Dazu passt ja vielleicht auch, dass, habe ich gelesen, nur 18 Piloten diesen Tiger fliegen können in Mali, und die seien am Anschlag. Und Ursache sei der Sparkurs des ehemaligen Verteidigungsministers de Maizière. Also, kann man einen solchen Einsatz guten Gewissens so einer kleinen Zahl von Piloten zumuten?
    Kujat: Ich sagte ja bereits, es ist immer eine Abwägungsfrage. Die Politiker müssen letztlich entscheiden, das Parlament muss entscheiden, wie wichtig ein solcher Einsatz ist. Wir muten unseren Soldaten mit jedem Einsatz viel zu. Aber diese Abwägung, diese Entscheidung kann man auch dem Parlament nicht abnehmen. Sie müssen wissen, worum es geht, und sie müssen auch um die Gefährlichkeit einer solchen Mission wissen. Aber vor allen Dingen müssen sie von einer Situation ausgehen, die ja auch gar nicht in ihren Auswirkungen, vollen Auswirkungen – das sehen wir ja auch an diesem Fall – bis zum Ende durchdacht werden kann. Also, mein Appell gilt der Politik: Verbessert die Bundeswehr in jeder Hinsicht, personell, materiell, und verbessert ihre Moral! Das ist wichtig.
    Heckmann: Die Interessengemeinschaft der Piloten in der der Bundeswehr hat sich zu Wort gemeldet über die "Bild"-Zeitung und hat beklagt, dass die Tiger-Piloten nicht genug Erfahrung hätten auf den vor Ort eingesetzten Maschinen. Die NATO habe Vorgaben, wonach mindestens 140 Flugstunden vorgewiesen werden müssen, und die würde keiner auch nur annähernd erreichen. Denken Sie, könnten Sie sich vorstellen, dass an diesem Vorwurf was dran ist?
    Kujat: Sie stellen mir eine Frage, bei der ich spekulieren müsste. Und spekulieren tu ich nicht, ich äußere mich nicht über Sachverhalte, zu denen ich nichts sagen kann, sondern ich spreche Dinge, die ich beurteilen kann. Ich weiß es nicht, ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich kann nur sagen, dass die NATO in der Tat bestimmte Mindestforderungen, Mindeststandards setzt. Ob die in diesem Fall erfüllt sind oder nicht erfüllt sind, das kann ich Ihnen nicht sagen.
    "Wir sind ja auch kein armes Land"
    Heckmann: Das ist zumindest die Auskunft dieser Interessengemeinschaft, das lassen wir jetzt mal so stehen. Das ist, denke ich, dann noch zu klären im Verlauf der nächsten Tage und Wochen. Wie ist es denn insgesamt aus Ihrer Sicht bestellt um die Ausrüstung der Bundeswehr im Ausland? Sie haben ja gerade gesagt, sehr schlecht ausgestattet. Trotzdem wird ja vonseiten der Politik immer wieder gesagt, da wird alles getan. Sind das nur Sprüche der Verantwortlichen und vor Ort sieht es anders aus?
    Kujat: Sehen Sie, Deutschland ist ein Hochtechnologieland und man kann erwarten … Und wir sind ja auch kein armes Land. Wir sind in der NATO das zweitgrößte Mitgliedsland. Und was wir aufwenden für die Verteidigung, das ist beschämend, das muss man wirklich so sagen. Es müsste unser Interesse sein, unser aller Interesse sein, der gesamten Bevölkerung, der Bundeswehr das Beste zu geben, was auf dem Markt verfügbar ist, was technologisch machbar ist. Das müsste das Interesse sein. Und das wäre auch eine Frage, die für das Personal wichtig wäre im Hinblick auf die personelle Ausstattung. Nur eine Bundeswehr, die hochleistungsfähig ist, ist ja auch attraktiv für junge Menschen. Daran müssen wir wirklich arbeiten. Die Politik ist aufgefordert, das zu tun. Aber ich sage das nicht im Hinblick auf diesen tragischen Unglücksfall. Sondern das ist etwas, was ich seit Jahren sage, und seit Jahren verfehlen wir diesen Anspruch, den unsere Soldaten stellen, und diesen Anspruch, den auch die Politik im Grunde an unsere Soldaten stellt mit den Aufgaben, die sie ihnen zumutet.
    Heckmann: Woran liegt da aus Ihrer Sicht?
    Kujat: Das ist eine schwierige Frage. Auch da will ich nicht spekulieren. Offensichtlich fehlt der politische Wille dazu, denn die Möglichkeiten sind ja vorhanden, die finanziellen Möglichkeiten sind vorhanden. Die Politik weiß auch, dass die Streitkräfte ein wichtiges Mittel unserer Außen- und Sicherheitspolitik sind, entscheidend sind eigentlich für unsere Sicherheit und Stabilität auch in Regionen, die für unsere Sicherheit wichtig werden könnten. Also, daran sollte es eigentlich nicht mangeln. Ich kann nur meinen Appell wiederholen und ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir die Gelegenheit dafür geben.
    "Wir brauchen dieses Geld für die Bundeswehr"
    Heckmann: Das heißt, Sie sind ganz klar der Ansatz, dieses Zwei-Prozent-Ziel der Wirtschaftsleistung, worauf sich die NATO-Staaten ja vereinbart hatten, dieses zu erreichen in Zukunft – zwei Prozent des Bruttosozialproduktes sollen investiert werden in die Verteidigung –, Sie sagen, dieses Ziel muss umgesetzt werden. Auch wenn die SPD jetzt zum Beispiel sagt, das würden wir auf gar keinen Fall machen wollen, denn andere wichtige Investitionen sind genauso wichtig, nämlich Investitionen in Bildung beispielsweise oder in die Infrastruktur?
    Kujat: Natürlich sind das auch ganz wichtige Ziele, aber hier sind zwei Dinge zu beachten: Das eine ist, die Bundeskanzlerin hat sich persönlich zweimal dazu verpflichtet, 2014 und 2016. Sie wird das nicht getan haben, ohne sich genau zu überlegen, ob diese Verpflichtung wichtig ist und ob sie erreichbar ist oder nicht. Das Zweite ist: Der Zustand der Bundeswehr schreit nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Das heißt also, das ist Geld, das gut investiert werden kann. Wir brauchen dieses Geld für die Bundeswehr, wenn die Bundeswehr weiterhin die Aufgaben erfüllen soll, die die Politik ihr stellt. Ob diese zwei Prozent nun in kürzester Zeit erfüllt werden müssen oder ob man einen vernünftigen Prozess entwickelt, in dem stetig Jahr für Jahr dieser Anteil erhöht wird, sodass das Geld auch sinnvoll ausgegeben wird, sinnvoll geplant wird für die Zukunft, das ist eine ganz andere Frage. Aber notwendig ist das auf jeden Fall.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.