Donnerstag, 18. April 2024

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Ex-Radprofi Wüst gegen Freigabe von Doping

Der frühere Radprofi Marcel Wüst hat sich dagegen ausgesprochen, Doping unter ärztlicher Kontrolle freizugeben. Die Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Dopingmitteln im Radsport erfordere einen offenen Umgang. Damit der Radsport wieder Ansehen genieße können, müsse man Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Moderation: Christiane Kaess | 23.05.2007
    Kaess: Es scheint als ob der Stein ins Rollen gebracht ist. Nach dem Eingeständnis des Radprofis Bert Dietz, gedopt zu haben, zogen nun Christian Henn und Dietrich Thurau nach. Die lapidare Aussage des 52jährigen Thurau: wir haben doch früher alle gedopt.
    Im Studio ist jetzt der frühere Radprofi Marcel Wüst. Guten Tag Herr Wüst!

    Wüst: Ja, hallo! Schönen guten Tag!

    Kaess: Herr Wüst, die Aussage von Herrn Thurau, wir haben damals - und da bezieht er sich auf die 70er Jahre - alle gedopt, gilt das auch für die 80er und 90er Jahre?

    Wüst: Es ist sicherlich so, dass es bei Didi in seiner Zeit in den 70ern, als ich gerade in der Schülerklasse anfing und er auch eines meiner Idole war, so gewesen sein könnte. Über die 80er hinaus, wo ich halt auch noch Schüler und Jugendfahrer war, kann ich recht wenig sagen. Es ist natürlich so: ich bin auch Radrennen gefahren, auch erfolgreich gefahren und bin dann Ende 1988 mein allererstes Profirennen gefahren und war dann in den 90ern Profi.

    Kaess: Und wie war es zu der Zeit?

    Wüst: Zu der Zeit war es so, dass wie man jetzt hört natürlich sehr viele Radrennfahrer wohl zu Mitteln gegriffen haben, die verboten waren, aber damals nicht nachweisbar. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass es flächendeckend, das heißt jeder hat immer und überall etwas gemacht was verboten war, dass es so nicht war. Ich kenne auch sicherlich Beispiele oder zumindest Indizien dafür, dass es Fahrer gibt und gab, die komplett sauber gefahren sind.

    Kaess: Geschah dieses Doping denn, wenn es stattgefunden hat, immer mit ärztlicher Aufsicht?

    Wüst: Na ja, das was Bert Dietz jetzt bei Reinhold Beckmann offenbart hat, das ist in vielen Teams sicherlich so gewesen. Grundsätzlich muss man sagen, so verwerflich Doping auch ist, so verboten und so ethisch unrichtig es ist, ich glaube es ist trotz allem besser, wenn sowieso gedopt wird, dass es dann mit ärztlicher Aufsicht geschieht. dass die Ärzte jetzt natürlich in einer Riesen Bredouille sind, das ist natürlich auch ganz klar, aber es gab gerade Ende der 80er Jahre einige Todesfälle von Radrennfahrern, die wahrscheinlich auf eigene Faust gedopt haben und gesagt haben, viel hilft viel, und die auf einmal gestorben sind. Das ist natürlich auf jeden Fall falsch zu dopen, aber wenn, dann sollte man doch die gesundheitlichen Risiken im Auge behalten und das kann wirklich nur ein Mediziner.

    Kaess: Es gibt ja in diesem Zusammenhang die verschiedensten leistungssteigernden Mittel. Mal abgesehen vom Blutdoping: ist denn die Grenze überhaupt immer so einfach zu ziehen?

    Wüst: Es ist sicherlich so, dass es Mittel gibt, die nicht nachweisbar sind, vielleicht immer noch nicht nachweisbar sind und trotzdem auf der Liste stehen. Da ist es natürlich arg problematisch. Das ist ungefähr so, wie bei rot über eine Fußgängerampel zu gehen, wenn da eben nicht gerade die Polizei steht. Grundsätzlich muss ich sagen, dass die Linie eigentlich ganz klar ist: Was auf der Liste steht, ist verboten und das gehört nicht in einen Sportlerkörper hinein, nicht in Radsportler, nicht in Leichtathleten, nicht in Schwimmer. Da ist auch meines Erachtens der Sportler gefragt, der letzten Endes immer das letzte Glied in dieser Kette ist. Es gibt ja diese Hintermänner, die Zulieferer. Es gibt die Apotheker, die daran verdienen. Es gibt die Ärzte, die es verabreichen, die Betreuer, die es vielleicht auch irgendwo mit ins Spiel bringen. Aber das letzte Glied in der Kette ist immer der Sportler.

    Kaess: Aber wie hoch ist der Druck dort? Wie haben Sie zum Beispiel selber diesen Druck erfahren?

    Wüst: Ich habe Druck erfahren in dem Sinne, dass ich mir sportliche Ziele vorgenommen habe und diese auch erreicht habe. Bert Dietz hat es auch sehr gut auf den Punkt gebracht, dass es wahrscheinlich so gewesen wäre. Er hat es nicht ausprobiert. Er ist dann, was ich auch gar nicht verurteilen kann und will, schwach geworden und hat gesagt na gut, ich versuch's, denn der Druck ist zumindest dementsprechend hoch. Wenn man Ergebnisse nicht bringt, dann ist man am Ende des Jahres seinen Vertrag los, und wenn man den los ist, dann ist auch die Existenzgrundlage entzogen.

    Kaess: Das heißt man kann sich dem Doping im Radsport momentan überhaupt nicht entziehen?

    Wüst: Das heißt das nicht im Umkehrschluss. Das heißt, wenn man eine gewisse genetische Voraussetzung hat, Leistungen zu erbringen, ein gewisser Fahrertyp ist, und dann in einem Umfeld Radrennen fährt, in dem fast alle etwas nehmen, dann muss man, um vielleicht auf der gleichen Höhe, auf Augenhöhe zu sein und im Spiel zu bleiben, auch etwas nehmen. Es gibt aber sicherlich spezielle Fälle, in denen ganz besonders talentierte Radrennfahrer oder halt spezielle Gruppen von Radrennfahrern oder auch in anderen Disziplinen, in anderen Sportarten nichts nehmen müssen, weil sie halt nicht oben auf dem Berg gewinnen müssen oder als Zeitfahrspezialist eine hohe Wattzahl über einen langen Zeitraum fahren müssen.

    Kaess: Sie haben vom Doping mit ärztlicher Kontrolle gesprochen. Es gibt den Vorschlag, Doping ganz legal zuzulassen. Was halten Sie davon?

    Wüst: Ich glaube das ist der größte Schwachsinn, den die Welt je gehört hat. Um das Beispiel mal aufzugreifen: mein Sohn ist acht Jahre alt. Der fährt gerade auch ein bisschen Radrennen. Er spielt auch Tennis, er spielt auch ein bisschen Golf, aber er fährt auch Radrennen. Wenn das Doping freigegeben würde, wäre dies das allerletzte, was ich als Vater irgendwo forcieren würde. Mir hat der Radsport in jungen Jahren sehr viel gebracht. Er hat mir gezeigt, dass es vor dem Erfolg immer darum geht, hart zu arbeiten, sich gut vorzubereiten. Das schon in jungen Jahren mit auf den Weg zu bekommen, das ist glaube ich ganz wichtig auch für die spätere Arbeitswelt. Deshalb das Doping freizugeben, das geht gar nicht.

    Kaess: Was ist jetzt die Konsequenz aus diesen Enthüllungen? Ist eine Amnestie angebracht, wie sie auch im Moment vorgeschlagen wird?

    Wüst: Man redet immer von Amnestie. Es ist ja so: es sind jetzt auch Vorfälle betroffen, die jetzt im Augenblick vor gut zehn Jahren passiert sind. Wenn jetzt jemand die existenzielle Grundlage eben wegbricht, wie beispielsweise auch von Hans-Michael Holczer angesprochen, wenn man Christian Henn jetzt feuert, dann wird jeder, der sonst im Radsport irgendwie was zu tun hat und damit sein Geld verdient, den Teufel tun, irgendetwas zu sagen, irgendetwas zuzugeben. Es ist schon so, dass die existenzielle Grundlage, die ja auch irgendwo der Grund gewesen ist für diese Rennfahrer, etwas zu nehmen, jetzt nicht entzogen werden darf.

    Kaess: Also das heißt auch dieses so genannte Schweige-Kartell lässt sich ohne eine Amnestie nicht brechen?

    Wüst: Wahrscheinlich nicht, mit größter Wahrscheinlichkeit nicht, aber eine Amnestie erfordert natürlich auch einen extrem offenen Umgang, einen extrem ehrlichen Umgang damit. Ob dazu wirklich alle Beteiligten bereit sind, das ist halt die nächste Frage, die sich stellen muss, die sich auch hoffentlich stellen wird. Aber ich bin eigentlich davon überzeugt, dass alle, die im Radsport im Augenblick tätig sind, die dort ihr Geld verdienen, begriffen haben, dass es eben nicht fünf vor zwölf ist, sondern schon fast halb eins und dass wir die Uhr nicht zurückdrehen können, aber zumindest die Schraube der Glaubwürdigkeit wieder so weit hinkriegen, dass die Leute, die den Radsport auch mit am Leben erhalten - zum einen natürlich die Fans, dann aber auch die Medienvertreter und vor allen Dingen die Sponsoren -, den Radsport gut finden, wieder gut finden, einen sauberen Radsport zu propagieren. Das ist glaube ich das, was alle Beteiligten in dieser großen Radsportwelt jetzt auf der Agenda ganz oben haben müssten.

    Kaess: Der frühere Radprofi Marcel Wüst war das. Vielen Dank für das Gespräch.