Freitag, 19. April 2024

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Rücktritt Seehofers als Parteichef
"Er hat in der Regierung eigentlich keine Unterstützung mehr"

Horst Seehofer sei als Innenminister ohne Parteivorsitz deutlich geschwächt, sagte der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im Dlf. Ohne Mandat im Bundestag sei er in der Regierung auf sich allein gestellt. Er bezweifele, ob Seehofer sich als Innenminister halten könne.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Christoph Heinemann | 12.11.2018
    Heinrich Oberreuter
    Heinrich Oberreuter gibt der GroKo nicht mehr allzu viel Zeit (imago/Jürgen Heinrich)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter. Er hat an der Universität Passau gelehrt und leitet dort das Institut für Journalistenausbildung. Guten Tag.
    Heinrich Oberreuter: Ja, guten Tag!
    Heinemann: Seehofer möchte als Bundesinnenminister im Amt bleiben. Ist er dort noch tragbar?
    Oberreuter: Das ist letztendlich eine Entscheidung, die er gemeinsam mit seiner Partei und letztendlich wahrscheinlich auch im Koalitionsgefüge treffen muss. Aber wir wissen ja, dass über die Minister die Parteien zugewiesen kriegen. Sie selbst entscheiden nicht, der Kanzler wählt die aus, sondern die Parteien machen das souverän. Aber das ist ja auch schon eine Achillesverse einer denkbaren Entscheidung in diese Richtung, die ich noch gar nicht für ganz wahrscheinlich halte. Denn als Mensch ohne Mandat im Bundestag, als Mensch ohne Parteivorsitz im Kreuz hat er eigentlich in der Regierung keine Unterstützung und ist sehr auf sich alleine gestellt. Ich glaube, dass man über die Frage Seehofer als Innenminister, auch wenn er das heute dementiert hat, im Laufe der nächsten Wochen weiter reden wird.
    "Natürlich ist Seehofer geschwächt"
    Heinemann: Das heißt, er ist als Innenminister geschwächt?
    Oberreuter: Natürlich ist er geschwächt, weil er keine politische Machtposition mehr hat, die ihm eine eigenständig unterfütterte Ausführung dieses Amtes gewährleistet. Er ist abhängig von anderen und von Mehrheitsbildungen und von Unterstützung, die er nicht mehr steuern kann.
    Heinemann: Gilt das nicht auch für die CSU in der Bundesregierung, wenn jetzt der Parteichef nicht mehr im Kabinett sitzt?
    Oberreuter: Das ist eine Erschwernis der Bedingungen der Mitbestimmung. Aber noch gibt es ja eine Landesgruppe und einen Landesgruppen-Vorsitzenden und auf die CSU kommt es ja bei der Schwäche der Volksparteien immer noch an, um die Mehrheit im Bundestag zu verteidigen. Insofern sehe ich dieses Problem nicht sonderlich strukturell. Es bleibt eigentlich die Tatsache erhalten, dass derjenige, der in der Bundesregierung als Stimmführer der CSU die bayerischen Positionen vertritt, eigentlich immer mindestens zur Hälfte seiner politischen Optionen zuerst an den Freistaat denkt und dann an die Kabinettsdisziplin.
    Heinemann: Noch mal zum Auftritt der CSU in Berlin. Kann man sich einen Koalitionsausschuss vorstellen, in dem kein CSU-Bundesminister vertreten ist?
    Oberreuter: Das kann man sich schwer vorstellen. Aber wie soll ich sagen: Die CSU kann ja in diesem Koalitionsausschuss nicht immer nur mit einem, die anderen sind es ja auch nicht, Menschen vertreten sein. Und insofern ist durchaus denkbar, dass der Parteivorsitzende und der nach wie vor prominenteste Bundesminister gemeinsam in diesen Ausschuss gehen. Aber das muss die Praxis erweisen. Nur die Situation ist in jeder Hinsicht nicht normal, aber außergewöhnliche Situationen bedürfen außergewöhnlicher Maßnahmen.
    Heinemann: Herr Oberreuter, kann der Bundesinnenminister zum Beispiel jetzt in der Migrationspolitik noch ein Wörtchen mitreden?
    Oberreuter: Natürlich kann er das. Es ist ja seine Amtsaufgabe. Seehofer hat ja auch darunter gelitten, dass in der Situation, in der sich andere, nämlich Markus Söder, von der gemeinsamen rigiden Flüchtlingspolitik abgewendet haben, kraft seines Amtes dazu verpflichtet gewesen ist, dieses Thema weiter zu behandeln und auf europäischer Ebene tätig zu sein. Er wird das weiterhin tun, pflegen und durchsetzen müssen, aber er wird sich in der Härte der Linie oder auch in der Kompromissbereitschaft der Linie anders als vorher mit anderen beraten müssen, und das ist eine Erschwernis seiner Position.
    Oberreuter: Mit Söder tritt innerparteiliche Befriedung ein
    Heinemann: Welchen Mehrwert böte ein CSU-Chef Söder?
    Oberreuter: Ein CSU-Chef Söder bietet zunächst mal den Mehrwert, dass innerparteiliche Befriedung eintritt, dass auch eine Befriedung der öffentlichen Diskussion eintritt. Insgesamt hat man ja nicht ganz objektiv die Schuld an den gegenwärtigen Verwicklungen Horst Seehofer zugewiesen, und Söder hat sich ja rechtzeitig im Sommer von der vorher gemeinsamen Linie abgesetzt und hat gemäßigte Töne eingeschlagen. Er hat verkündet, wir werden jetzt anständig und wir werden überlegter argumentieren. Insofern ist eine gewisse Schärfe der Diskussion und auch eine Schärfe der Urteilsbildung über die CSU im Grunde jetzt mal aus dem Verkehr gezogen. Ob das langfristig hält, kann im Augenblick auch niemand prognostizieren.
    Heinemann: Auf einen Teil der Wählerwanderung will die CSU ja unter anderem mit einem ökologischeren Profil antworten. Wieviel Grün verträgt das klassische Weiß-Blau?
    Oberreuter: Wenn man sich die Geschichte des Freistaats Bayern anguckt, dann muss man auch konzertieren, dass das allererste Umweltministerium, das in Europa je geschaffen worden ist, von der CSU eingerichtet worden ist und dass natürlich viele Wähler der CSU dem Naturschutz stark verbunden sind, dass es in Bayern mit der ÖDP ja sogar eine Partei katholischer Grüner gibt, die sehr die Bewahrung der Schöpfung ins Zentrum rücken.
    Die CSU wird natürlich immer nicht eine eindeutig nur ökologisch orientierte Partei sein, weil ihr das wirtschaftliche Wachstum und die wirtschaftliche Stabilität, die ja in gewisser Weise in Konflikt zum Ökologischen immer steht, das wird bei ihr immer auch eine prominente, wenn nicht die prominentere Rolle haben. Aber sie hat mit Sicherheit gelernt, dass die Wähler-Abwanderungsbewegung in diese Bereiche ihr langfristig schädlich ist, wobei diese Wähler-Abwanderungsbewegung natürlich nicht nur auf ökologischen Defiziten beruhte, sondern auch auf verschärften rigiden und von vielen als geschmacklos empfundenen Tönen in der Flüchtlingspolitik.
    Heinemann: Schauen wir uns die CSU als Gesamtkunstwerk noch mal an. Taugt eigentlich das Geschäftsmodell der Partei noch einer bundespolitischen Regionalpartei? Ist das zukunftsweisend?
    Oberreuter: Es ist das einzige Modell, was die CSU in ihrer Eigenartigkeit und Einzigartigkeit am Leben hält. Ihre prominenten Wahlergebnisse beruhen ja nicht auf Konservatismus, denke ich, auch nicht auf besonderer Tüchtigkeit oder gar Katholizität. Das sind ja alles gesellschaftliche Milieus, die ausrennen.
    Die besonderen Wahlergebnisse beruhen auf der Tatsache, dass großen Mengen von Wählern in Bayern eine Partei sympathisch ist, die ihr vermittelt, dass ihre Interessen, ihre Gefühle, ihre Positionen unmittelbar in Berlin, in der Bundesregierung zur Geltung gebracht werden und dass nicht erst innerparteiliche Kompromisse mit fünf oder zehn oder zwölf anderen Landesverbänden zu treffen sind. Dieses Alleinstellungsmerkmal bleibt. Das ist für die CSU sinnvoll. Es ist aber für die CDU auch sinnvoll, weil die überproportionalen, nach wie vor überproportionalen Wahlergebnisse der CSU auch der CDU bundesweit nützen. Die machen sie eigentlich erst regierungsführungsfähig.
    "Unwahrscheinlich, dass dieses Kabinett das Ende der Wahlperiode erreicht"
    Heinemann: Überproportionale Wahlergebnisse. Trauen Sie Markus Söder zu, dass er den straußschen Idealzustand wiederherstellen kann, nachdem es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben darf?
    Oberreuter: Schwierig! Das hängt auch nicht nur allein von Söder ab; das hängt auch davon ab, ob es der AfD gelingt, ihre innerparteilichen Querelen und ihren, jetzt sage ich mal, neonazistischen Flügel kaltzustellen. Wenn ihr das nicht gelingt, dann wird sie in eine schwierige Position geraten.
    Auf der anderen Seite muss nicht nur Söder, sondern muss auch die Politik insgesamt Antworten finden auf Interessen und Befürchtungen von starken Gruppen in der Bevölkerung, die meinen, dass sie nicht mehr vertreten sind, und die ihren Protest bei der AfD abladen. Das ist ein Wechselspiel, ein komplexes Wechselspiel, wo es nicht allein auf Söder ankommt. Aber ich denke, wenn man den großen Parteien zuhört und auch der CSU, dann sind sie mittlerweile sensibel dafür geworden, dass man auf diese, sich abgehängt fühlenden Wählergruppen zugehen muss. Ob es ihnen erfolgreich gelingt, das wird die Zukunft weisen.
    Heinemann: Herr Oberreuter, welche Lebensdauer geben Sie dem Kabinett Merkel noch?
    Oberreuter: Bin ich Hellseher?
    Heinemann: Heute Mittag ja.
    Oberreuter: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass dieses Kabinett das Ende der Wahlperiode erreicht, und ich denke, die Bruchstelle – das hat man ja schon öfter mal gesagt – ist diese Zwischenbilanz, die Mitte der Wahlperiode gezogen wird. Hört man in die Diskussion hinein, würde man auch nicht überrascht sein, wenn im Laufe des ersten Halbjahres 2019 die Koalition auseinanderbricht, und man könnte auch am Festhalten Seehofers am Innenministerium, so wie das heute in Bautzen klang, das Argument heraushören, die Koalition spaltet sich sowieso und dann gehe ich halt, wenn sie insgesamt zu Ende ist. Dieser Prozess ist für alle Überraschungen gut.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.