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Exil in Griechenland
Junge Türken fliehen vor dem Erdogan-Regime

Griechenland ist ein beliebtes Ziel vor allem für jüngere Türken, die wegen politischer Repressionen ihr Land verlassen. Sie ertragen das Erdogan-Regime nicht mehr, wollen aber nah an der Heimat bleiben. Viele berichten nun online über ihre Erfahrungen in der Türkei.

Von Michael Lehmann | 15.11.2018
    Blick auf den Fluss Evros, der die natürliche Grenze zur Türkei bildet.
    Über den Fluss Evros kommen viele Türken nach Griechenland (dpa/picture alliance/Socrates Baltagiannis)
    Kinder spielen im Flur eines kleinen Hotels in Thessaloniki. Es sind die Kinder von zehn türkische Familien, die hier ihre neue Heimat gefunden haben. Auch Sumeyye ist vor einigen Monaten hierher geflohen. Sie ist die Tochter eines 75-jährigen Türken, der ohne erkennbaren Grund unter Terrorverdacht in Ankara ins Gefängnis gesteckt wurde:
    "Acht Monate musste er im Gefängnis bleiben. Sie können sich die Zustände dort nicht vorstellen. Schrecklich, völlig überfüllt – und nicht mal ein Bett für jeden. Und drin saßen Lehrer, Doktoren und auch Professoren."
    Sumeyye wirkt nicht mehr verzweifelt. Sie ist froh, dass sie nicht alleine fliehen musste. Sie und andere Türken im Raum Thessaloniki sprechen von vielen hundert anderen, die in den letzten Monaten wie sie auch über den Fluss Evros nach Griechenland gekommen sind. Tuba Guven zum Beispiel: Sie hatte Angst, dass es ihr zu Hause genauso gehen könnte wie vielen Freunden, die nur wegen ein paar kritischen Mails weggesperrt wurden:
    "Es ist unmöglich geworden, die Regierung zu kritisieren. Wenn Du da was auf Twitter schreibst, kannst Du dafür direkt ins Gefängnis kommen."
    Offizielle Zahlen gibt es nicht
    Offizielle Zahlen, wie viele Türken seit dem Putsch-Versuch gegen Erdogan nach Griechenland geflohen sind, gibt es von den griechischen Behörden keine. Staatsfeinde, Verräter seien sie in den Augen des türkischen Präsidenten, erzählen sie. Aber, so sagt es Tuba Guven, sie fühlt sich den Menschen in der Türkei nach wie vor verbunden – kann aber das Regime nicht länger ertragen:
    "Ich habe nichts gegen meinen Staat, gegen die Türkei. Ich denke anders im Moment – meine Meinung passt dem Regime nicht. Aber deshalb bin ich doch kein Terrorist. Ich tue doch nichts Illegales gegen den Staat, gegen mein Land und meine Landsleute."
    Die Flucht nach Griechenland lassen sich viele Türken bis zu 6.000 Euro kosten. Schleuser verdienen auch hier kräftig mit. Doch Griechenland ist für viele das naheliegendste und attraktivste Ziel nach ihrer Flucht – nah genug an der Heimat, falls sich die Zustände doch mal wieder ändern sollten:
    "Warum ich nach Griechenland gekommen bin? Weil das ähnlich wie in der Türkei hier ist – nur eben demokratisch. Wir haben eben nur eine Grenze zwischen unseren Ländern."
    Im Gepäck: Laptop und Smartphone
    Berivan Aydin ist nicht geflohen aus der Türkei. Aber sie, die Mitarbeiterin der oppositionellen Zeitung "Cumhurriyet", reist oft von Istanbul nach Griechenland. Es ist kein Geheimnis, dass auch ihre Redaktionsarbeit immer schwieriger wird. Das Erdogan-treue Lager innerhalb der Belegschaft ist mächtiger geworden. Deshalb kann sich auch die Journalistin Aydin vorstellen, bald für länger in Griechenland zu leben:
    "Ich lerne Griechisch schon seit sechs, sieben Jahren und es ist verrückt, wie ähnlich sich auch die Sprachen sind. Die Art, wie die Menschen sich unterhalten und wie sie denken – das ist doch schon ziemlich ähnlich. Dann die Musik, das Essen. Und geschichtlich gesehen gibt es auch in der Politik doch vieles, was verbindet. Auch der Kampf für Demokratie. Also wenn wir unsere jetzige türkische Regierung mal außen vorlassen, dann haben unsere Völker keine Schwierigkeiten miteinander – nur die Politik hat sie."
    Wie Berivan Aydin scheinen viele vor allem junge Türken zum Verlassen ihres Landes bereit zu sein. Im Gepäck haben sie die Waffen, die Präsident Erdogan fürchte muss – Laptops und Smartphones. Von Griechenland aus berichten immer mehr türkische Autoren online darüber, was sie in ihrer Heimat – der Türkei – nicht mehr länger ertragen wollen.