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Exil ohne Ende

"Die arabische Welt zwischen Tradition und Moderne" heißt das im Heidelberger Palmyra Verlag von dem Kölner Autor und Verleger Khalid Al-Maaly publizierte Buch. Der Titel "Die arabische Welt" ist jedoch irreführend. Irreführend deshalb, weil sich die arabischen Intellektuellen nicht mit geographischen Fragen auseinandersetzen. Doch nur so wäre der Begriff "arabische Welt" überhaupt verständlich.

Von Christoph Burgmer | 14.04.2005
    Die arabischen Länder zudem noch politisch und geistig als Einheit zu begreifen, wie es der zweite Teil des Titels "zwischen Tradition und Moderne" nahe legt, ist reines Wunschdenken. Denn viel zu unterschiedlich haben sich die verschiedenen arabischen Gesellschaften in den Jahrzehnten seit der staatlichen Unabhängigkeit entwickelt. Ja, sogar das Gegenteil ist richtig. Während Europa administrativ und politisch zusammenwuchs, entstanden in den arabischen Ländern Staats- und Herrschaftssysteme, die unterschiedlicher nicht sein können.

    Irreführend ist dieser Titel also, weil er die Differenz zwischen Marokko, Ägypten, Libyen, Syrien und Irak, um nur einige Beispiele zu nennen, ignoriert. Aber damit ignoriert der Verlag publizistisch genau das, was die Autoren in ihren Texten zu Recht kritisieren. Nämlich die simplifizierte Sicht des Westens auf die arabischen Gesellschaften, oder wie es der in Oxford lehrende syrische Islamwissenschaftler Aziz al-Azmeh in seinem Beitrag ausdrückt, (Zitat): "Die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Situation dreht sich im Kreis, weil es nicht um ein konkretes Thema geht, sondern um das Produzieren von Rhetorik." (Zitat Ende)

    Warum aber gerade der Palmyra Verlag einer solchen Rhetorik erlegen ist verwundert. Schließlich ist der Verlag auf dem Gebiet nicht neu. Er hat sogar eine fundierte Kritik des seit dem 11. September in den Massenmedien wieder hoch im Kurs stehenden Journalisten Peter Scholl-Latour herausgegeben. Also kann die Begründung nicht die sein, dass man den Lesern notwendige Differenzierungen zu machen einfach nicht zu traut.

    Abgesehen von solchen Ungereimtheiten lässt sich jedoch unschwer erkennen, dass alle von Al-Maaly im Buch versammelten Autoren etwas miteinander verbindet. Es ist eine historische Erfahrung und zwar die vom Scheitern der politischen Vision einer gemeinsamen arabischen Nation, also EINER arabischen, DER politisch geeinten arabischen Welt. Geboren in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten viele von ihnen in ihrer Jugend, angestachelt und aufgeputscht von ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nassers, diesen Traum von der einen arabischen Nation geträumt. Und waren nach der Niederlage im Sechs-Tage-Krieg gegen Israel 1967 und dem Tode Nassers in einer anderen Wirklichkeit aufgewacht.

    Damals trugen sie die Idee einer gemeinsamen arabischen Nation endgültig zu Grabe. Denn es war überdeutlich geworden, dass der arabisch-nationalistischen Rhetorik keine militärische, gesellschaftliche und politische Realität entsprach. Eine Einsicht, die für alle Autoren im Buch eine persönliche Veränderung nach sich zog. Hatten sie sich zuvor vielfach auch parteipolitisch engagiert, zogen sie sich nun, beherrscht von dem Gefühl, getäuscht worden zu sein, aus der politischen Arbeit zurück.

    Die gewollte Distanz zu arabischen Machteliten führte sie sogar häufig ins europäische oder amerikanische Ausland. Dies gilt für den tunesischen Schriftsteller Abdelwahab Meddeb, der heute in Frankreich lebt genauso wie für die in den USA lehrende Assia Djebar. Und auch für den Syrer Rafik Schami, der in Deutschland durch seine viel gelesenen orientalisch gewandeten Erzählungen bekannt geworden ist. Nur wenige fanden einen Weg zurück, wie die bekannte Frauenrechtlerin Fatima Mernissi. Sie kehrte nach Studium und Promotion in Paris nach Marokko zurück, wo sie heute Soziologie an der Universität von Rabat lehrt.

    Die Ursachen für das nicht enden wollende Exil der meisten Anderen sind vielfältig. Entscheidend ist jedoch das Fehlen einer kritischen Öffentlichkeit in den arabischen Ländern. Seit den 70er Jahren beherrschen islamistische Intellektuelle in Koalition mit politischen Eliten dort die öffentliche Meinung. Mit fatalen Konsequenzen. Diese sind nirgendwo so deutlich sichtbar wie in Ägypten, dem kulturell einflussreichsten arabischen Land.

    Als der Sprachwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid dort wegen des Vorwurfs der Ketzerei mit Schimpf und Schande ins europäische Ausland vertrieben und die Zwangsscheidung von seiner amerikanischen Ehefrau öffentlich durch ein Gericht bestätigte wurde, erreichte diese Art "islamistischer Inquisition" zwar 1995 ihren Höhepunkt. Bis heute jedoch gilt, wer in den arabischen Staaten kritisch denkt, tut dies in der Regel im Verborgenen. Wer offen Kritik übt, lebt zumeist im Westen. Dabei ist der Westen gerade jener Ort, der seit dem Verschwinden der Sowjetunion mit Begriffen wie "arabische" und "islamische" Welt ein Gegenbild zu sich selbst konstruiert und propagiert.

    Als Ersatz für das verloren gegangene Feindbild und zu seinem eigenen Vorteil, versteht sich. Es kann also niemanden verwundern, dass die arabischen Intellektuellen im Exil besonders die westlich geprägte Moderne und deren Unfähigkeit zur Selbstkritik aufs Korn nehmen. Und dass die Kritik an den Zuständen in ihren Herkunftsländern in ihrer Argumentation kaum eine Rolle spielt, wenn sie sich unisono gegen die Unterwerfung der Gesellschaftskritik unter wirtschaftliche und militärische Effizienzkriterien wenden. Sie reihen sich damit in die Kritik der Globalisierungsgegner an der amerikanischen Kriegsideologie vom "Kampf der Kulturen" ein. Deren globaler Exporterfolg gilt ihnen als eine der zentralen Ursachen für die Rückständigkeit der arabischen Gesellschaften.

    Bedenklich sollte jedoch stimmen, dass ihre differenzierte Kritik in den arabischen Gesellschaften selbst kaum wahrgenommen wird. Dort herrscht ein tumber Antiamerikanismus vor. Ihr Einfluss dort ist sogar noch geringer als im Westen, wie es der Herausgeber Al-Maaly im Vorwort schreibt. So teilen sie das Schicksal aller Exilanten. Als Intellektuelle bleiben sie dem Exilland fremd und als arabische Intellektuelle sind sie heimatlos geworden. Ein Zustand, den der in München lebende iranischstämmige Lyriker und ehemalige PEN Vorsitzende Said einmal "Heimat, die in meiner Fremde liegt", nannte. So bleibt beim Lesen der Beiträge ein unbefriedigendes Gefühl zurück und ein Staunen darüber, wie die Autoren, trotz solch widriger Umstände, pointiert, weltumspannend, informativ und offen Kritik an den imperialen Zuständen einer aus den Fugen geratenen Welt äußern.

    "Die arabische Welt zwischen Tradition und Moderne". Aufsätze arabischer Autoren. Khalid Al-Maaly (Hrsg.), Palmyra Verlag.