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Existenzgründung macht weihnachtsreif

Weihnachten scheint eine Sache des Geschmacks zu sein: Die einen lieben es, die anderen wünschen sich schon am 25. wieder zurück ins Büro. Die beiden Existenzgründer Barbara Lehmann (der Name wurde aus Datenschutzgründen geändert) und Harald Schnitzler, die Campus und Karriere begleitet, gehören in diesem Jahr definitiv zur ersten Gruppe. Sie sehnen die Feiertage herbei: Endlich ein paar Tage frei von Geldsorgen und Existenzgründungskonzepten.

Von Svenja Üing | 22.12.2006
    "Cola 0,2 kostet 50 Cent im Einkauf, ich habe 400 Prozent Aufschlag, kostet also 2,50 Euro im Verkauf. Okay?"

    Wie hoch muss der Preis-Aufschlag auf ein kleines Glas Cola sein, damit ich als Gastwirt ein Plus erwirtschafte? Höher als bei einem großen Glas? Niedriger? Oder gleich hoch? Auf dem Stundenplan der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach stehen heute Preiskalkulation und Kostenrechnung. Mit dabei ist auch Barbara Lehmann. Sie macht sich als Beraterin im Gesundheits- und Sozialwesen selbstständig und gehört als Dienstleisterin zu den Adressaten der Existenzgründungsseminare an der Hochschule Niederrhein, sagt Panagiotis Dimitriadis, Projektleiter an der Hochschule Niederrhein:

    "Die Frau Lehmann, die ist ja klassische Dienstleisterin in einem Bereich, der boomend ist, aber dennoch sehr schwer zu erreichen ist. Die Preiskalkulation grundsätzlich für Dienstleister ist ein ganz wichtiger Punkt, denn wenn ich ein Produkt habe, dann habe ich ein Produkt und Produktionskosten, die kann ich sehr schnell manifestieren. Bei einer Dienstleistung muss derjenige oder diejenige sich überlegen: Wie teuer ist denn eigentlich meine Stunde, meine Beratungsstunde, meine Dienstleistung?"

    Das Seminar ist Teil der "Initiative zur regionalen Unternehmensgründung der Hochschule Niederrhein", kurz: "run". Seit 2001 werden hier vorwiegend Akademikerinnen und Akademiker fitt gemacht für ihre Existenzgründung. Der Vorteil für Barbara Lehmann: Die Seminarteilnahme ist kostenlos. Für die allein erziehende Mutter und Hartz-IV-Empfängerin ist so eine Fortbildung ein seltener Genuss:

    "Weil ich heute hier mal was völlig anderes tun kann und weil ich auch mal was für mich tun kann, das finde ich ganz entscheidend, weil Wissen ist für mich ganz was Wertvolles. Und ich freue mich total, weil ich hier eine Teilnehmerin aus dem GiT-Prozess wiedergetroffen habe. Wir hatten uns damals schon im Team sehr schnell zusammengefunden. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass wir beruflich mal irgendwann in Kooperation was machen werden. Und deswegen gefällt's mir natürlich besonders gut hier."

    Die zurückliegenden Monate hingegen waren bestimmt von finanziellen Sorgen, einem aufwendigen Umzug und der erfolglosen Suche nach einem neuen Job. Für die Existenzgründung, die parallel lief, blieb Barbara Lehmann viel zu wenig Zeit. Sie sei einfach nur froh, das Jahr 2006 endlich hinter sich zu lassen. Doch zuvor will sie die Feiertage genießen. Und damit sie nicht ins Grübeln gerät, fährt sie mit ihrem Sohn für ein paar Tage in die Ferien:

    "Wir sind unterwegs mit dem Ski-Club und sind Heiligabend halt in der großen Runde und feiern. Von daher wird so diese Besinnlichkeit und dieses Nachdenken über die Vergangenheit erstmal nicht aufkommen. Was mich immer wieder motiviert: Ich hab in Zukunft etwas, was mich vor so einer Misere schützen wird, dann eben aus dem Angestelltenverhältnis raus auf der Straße zu stehen und gar nichts zu haben. Dann habe ich halt meine Existenz hoffentlich irgendwann bald und damit auch ein sicheres Standbein."

    Ortswechsel: vom Seminar in Mönchengladbach nach Straelen, nahe der holländischen Grenze. Dort gibt Existenzgründer Harald Schnitzler seinen Weihnachtsanschreiben den letzten Schliff. Mit den weihnachtlichen Grüßen will der Einkaufskostenanalytiker der Automobil-Branche neue Kunden gewinnen. Und das ist notwendig, denn erst kürzlich ist ein erster großer Auftrag geplatzt. Dabei hatte Harald Schnitzler gedacht, das Geschäft mit der Auto-Zuliefererfirma sei relativ sicher:

    "Und dann habe ich zwei Wochen später eine Absage bekommen, weil jemand da ist, der günstiger die gleiche Leistung bringt. Ich sage mal, günstiger kann man nicht sein, und schneller, wie behauptet wurde, kann er nur dann sein, wenn er mit zwei Leuten arbeitet."

    Für ihn eine herbe Enttäuschung. Vor einem halben Jahr hat sich der vierfache Vater mit seiner Firma "HS Cost Consulting" selbständig gemacht und seither zumindest einige kleinere Aufträge an Land gezogen. Doch zum Leben reicht das noch längst nicht. Und deshalb könnte es für ihn und seine Familie finanziell bald eng werden:

    "Es gibt einige Sachen, die wir noch verkaufen können. Wir haben zum Beispiel drei Autos, das muss nicht unbedingt sein. Und da gibt's immer Möglichkeiten, so ein, zwei Monate zu überbrücken. Außerdem, ich sag mal, momentan habe ich noch zwei Hände, mit denen ich arbeiten kann. Dann mache ich halt mal was anderes. Und wenn ich mich irgendwo hinstelle mit Duftkerzen auf irgend einem Markt und verkaufe Duftkerzen."

    Aber jetzt braucht auch er während der Feiertage erst einmal eine Auszeit vom Alltag:

    "Ich freue mich auf meine Kinder, ich freue mich auf meine Familie und ich freue mich mal darauf, nicht ans Geschäft zu denken, nicht an die Selbständigkeit zu denken, sondern nur an Weihnachten, ja, mal Luft schnappen. Nicht mehr selbst und ständig, sondern nur selbst - und miteinander."

    Damit er seine Existenzgründung im kommenden Jahr dann mit neuer Kraft vorantreiben kann. Aber nicht mit ganzer Kraft, denn den Traum von einer Festanstellung will er auch 2007 nicht völlig aufgeben:

    "Ich versuche weiterhin zweigleisig zu fahren, also ich werde mich bewerben und ich werde weiter versuchen, mit meiner Akquise halt Aufträge zu bekommen. Ich sag mal, auf beiden Seiten bringt die Zeit den Erfolg, und mal gucken, was zuerst kommt und wie lukrativ das Ganze wird."


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