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Existenzialismus und Mutterliebe

Elf deutsche Schriftstellerinnen schreiben sich zum Thema Geschenke frei von der Seele - den Anfang macht Liane Dirks: Warum sie von ihrer Tochter ausgerechnet pastellfarbene Espressotassen bekommen hat, fragt sie sich. Und stellt Überlegungen an, worin ein echter Espresso am besten zur Geltung kommt.

Von Liane Dirks | 25.12.2009
    Espressotassen, vier an der Zahl, in himmelblau, altrosé, blassgelb und pistaziengrün. Dazu ein Ständer, an dem sie hängen, das heißt, nur die Tassen hängen, die Untertassen stecken hinten drin. Aber nicht richtig, sie passen nicht genau in die vorgesehene Halterung, einer der kleinen Teller ragt deshalb immer etwas heraus, schaut also, leicht rebellisch, zwischen den pastellfarbenen Schwestern hervor.

    Und wie gesagt, das Ganze steht. Was soll ein Ständer auch sonst machen. Er steht und steht. In der Küche natürlich, wo Espressotassen hingehören, griffbereit, auf der Abstellfläche neben dem Herd, jener Fläche, von der man immer zu wenig hat. Dort finden sich neben den kleinen Holzbrettchen zum Zwiebelschneiden und Kräuterhacken auch noch die Zitronenpresse, die Ingwerreibe, Salz- und Pfeffermühle und natürlich der Mörser, der gehört heute einfach dazu. Und dann wäre da auch noch der Messerblock samt Schleifstein und der Krug, in dem die Kochlöffel, Kellen, Schneebesen und Bratenwender stecken. Daneben stehen dann noch die beiden französischen Kännchen, in unterschiedlicher Größe für 2 bis 3 und für 4 bis 6 Tassen.

    Ja, ich liebe diese einfachen, kleinen Espressokännchen, auch wenn sie keine Crème erzeugen und nicht den allerbesten Kaffee. Für mich symbolisieren diese billigen Kännchen einen Lebensstil und zwar jenen, der heutzutage keiner ist. Existenzialismus. Schwarzer Rolli, schwarzer Kaffee und ein ziemlich nackter Blick auf die Welt.

    Ich hatte natürlich schon Espressotassen und zwar sehr schöne, rein weiß. Dickwandig, dass sie die Hitze halten und etwas höher, dass ein Doppelter Platz hat. Das sind die, aus denen ich immer trinke. Sie stehen im Schrank. Es sind sechs an der Zahl. Sie haben all meine vielen Umzüge mitgemacht, man kann sie in die Spülmaschine tun, man kann sie stapeln, man kann sie in die Mikrowelle stellen, etwas Wasser rein, so wärme ich sie vorher auf. Alles machen diese Tassen mit, aber ist das ein Argument?

    Ich habe übrigens auch sonst nur weißes Geschirr, mag puristisch sein, aber ich finde, es hebt die Speisen am besten hervor, die Farben, die Kontraste.

    Schwarz wie die Nacht, heiß wie die Hölle und süß wie die Liebe, so soll er sein, der Espresso. Und das kann man nur auf Weiß erleben. Selbst die Italiener sündigen mit den kleinen braunen Tässchen. Allerdings sind sie nur außen braun und man vergisst es, weil man sie ja bevorzugt mit der Hand umschließt, wenn man in einer Bar zwischen den wichtigen Dingen des Lebens, der Arbeit und der Liebe, sich das heiße Etwas in den Schlund kippt, das Tässchen mit der Hand umschließt und die Spuren des Café getränkten Zuckers vom weißen Tassenboden kratzt.

    Himmelblau, altrosé, blassgelb und pistaziengrün, was soll ich nur mit ihnen machen?

    Es geht nicht in Pastell, ich hab's versucht. Ich kann es nicht. Ich kann daraus nicht trinken. Doch ach, sie sind von meiner Tochter. Ob sie weiß, was ich darüber denke?
    Du magst doch Farbe, Mama, nicht wahr?

    Aber sicher doch. Und damit sie schön glänzen, wasche ich die ungenutzten Tässchen und Teller, samt Ständer jede Woche einmal ab. Man kann ja nachdenken dabei, zum Beispiel über Existenzialismus, oder über Mutterliebe.

    Liane Dirks, Schriftstellerin, zuletzt erschien von ihr der Roman "Der Koch der Königin", in der Reihe Arche Paradies, 240 Seiten, 18 Euro.