Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Exit"-Gründer: Attentat auf Passauer Polizeichef ist "Tabubruch"

Der ehemalige Polizist und Gründer der Aussteigerorganisation für Neonazis "Exit", Bernd Wagner, sorgt sich um die Vorgehensweise der rechten Szene. Er unterstelle, dass tatsächlich Rechtsextremisten für das Attentat auf den Passauer Polizeichef verantwortlich seien, was "noch zu beweisen ist". Wenn es so wäre, hätte die Attacke eine neue Qualität: die Rechten trauten sich "direkt an den Staat."

Bernd Wagner im Gespräch mit Jochen Fischer | 16.12.2008
    JochenSpengler: Drei Tage nach dem Mordanschlag auf den Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl hat die 50-köpfige Sonderkommission der bayerischen Polizei noch keine heiße Spur. Zwei festgenommene Rechtsradikale wurden gestern wieder freigelassen. Der Streit über ein neues NPD-Verbotsverfahren flammte unterdessen neu auf. CSU und SPD sprachen sich für einen neuen Anlauf aus, CDU und FDP dagegen. Mein Kollege Jochen Fischer hat den ehemaligen Polizisten Bernd Wagner, den Gründer von "Exit", einer Aussteigerorganisation für Neonazis, gestern Abend gefragt, ob Bayerns Ministerpräsident Seehofer Recht hat, wenn er von einer neuen Dimension rechter Gewalt spricht.

    Bernd Wagner: Wenn ich mir die Einschätzung von Horst Seehofer verdeutliche, ist das in der Tat ein Tabubruch, der recht neu ist, zumindest was die letzten 20, 25 Jahre betrifft, und hier muss man sehr genau hinschauen, was sich dort insgesamt in der Szene abspielt.

    Jochen Fischer: Bewaffnete Überfälle oder auch unbewaffnete Überfälle und Angriffe auf Menschen sind in der rechten Szene ja nicht neu, sind ihr nicht fremd. Wieso halten Sie das jetzt für eine besondere Tat?

    Bernd Wagner: Die Angriffe auf Menschen sind in der Tat nicht neu. Es gibt allein in den letzten 20 Jahren etwa 140 Tote. Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen, ob es nun 142, 140 oder irgendwie ein anderer, um diese Zahl herumrankender Wert ist. Fakt ist auf jeden Fall, der Mord gehört zum Geschäft der Rechtsextremisten, der Nazis dazu. Neu ist in dem Fall, wenn es zutrifft, wie der Fall bisher aufgefasst wird, dass Rechtsextremisten den Polizeichef von Passau zu ermorden trachteten, dass man sich direkt an den Staat herantraut, was eigentlich sonst den Linksextremisten zugeschrieben wurde.

    Fischer: Ist es denn für Sie vorstellbar, dass die Tat von Passau, dass es sich dabei um einen Racheakt gehandelt haben könnte?

    Wagner: Das kann man sicherlich nicht ausschließen. Ich unterstelle, das waren Rechtsextremisten, was noch zu beweisen ist. Motive haben diese Rechtsextremisten, die möglicherweise in diesem Falle dann als Täter in Frage kämen, durchaus. Es geht ja immer um die Beerdigung eines der langjährig führenden Mitglieder der Freien Kameradschaftsszene, wie man das dort sagt, ein Mann, der von Anbeginn seiner politischen Laufbahn dem Nationalsozialismus huldigte, unheimlich aktive und auch sehr militante Organisationen anführte, die auch in den 70er, 80er Jahren überaus aktiv waren, Waffenlager angelegt haben, und der wird begraben und nun kommt die Polizei und greift dort ein. Das hat natürlich zur Folge, dass Rechtsextremisten in Wut geraten, dass der Staat diese Feierlichkeit stört nach ihrer Ansicht, und das kann natürlich und das hat auch, das weiß ich, Rachegefühle ausgelöst. Daraus kann natürlich ein Tatimpuls entstanden sein.

    Fischer: Sie sagen, Sie wissen das. Woher wissen Sie das?

    Wagner: Das weiß ich aus Kreisen ehemaliger Nazis, die jetzt sich aktuell bei uns an unserem Aussteigertelefon gemeldet haben, mit denen ich auch persönliche Gespräche geführt habe, nachdem sie sich gemeldet haben, und ich habe auch Informationen, die aus Bedrohungen von unseren Aussteigern kommen, dass beispielsweise Personen angerufen wurden, dass sie auf der Liste lebensunwerter Deutscher verzeichnet sind, natürlich dann daraus sich Gespräche entspinnen, und da taucht natürlich eine Gefühlslage auf, die sich als Hass gegen die Feinde besonders deutlich darstellt, und wir können das auch auf verschiedenen Internet-Seiten der Nazis lesen, dass sich eine Hasseskalation seit einigen Wochen und Monaten ergibt, auch aus dem Umfeld der Ereignisse um den Tod des führenden Neonazi.

    Fischer: Sie haben ja nun die Organisation "Exit" gegründet. Sie sagen, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Nazis. Sie leben auch, wie soll ich sagen, im Untergrund. Das heißt, Sie sind bedroht worden. Wie sahen diese Bedrohungen denn aus?

    Wagner: Es gibt ganz verschiedene Bedrohungen. Es gibt diese verbalen Attacken, die man so kennt, von verschiedenen Sprüchen. Veranstaltungen sind versucht worden zu sprengen, Rempeleien, auf einen zukommen, Telefonate, Bombendrohungen haben wir schon erhalten, auch Päckchen mit dubioser Verpackung hatten wir schon, wo dann der kriminalpolizeiliche Staatsschutz erst einmal prüfen musste, ob das eventuell sich um eine Paket- oder Päckchenbombe handeln könnte. Wir hatten auch mal einen Fall, wo ein Bremsschlauch von einem Fahrzeug durchgeschnitten war. Allerdings ist die Sache so, dass wir deswegen nicht in Panik verfallen, weil wir dieses gesamte Drohgeschehen hinreichend kennen, und wir haben natürlich auch Techniken entwickelt mit ziemlicher Souveränität, auch mit diesen Umständen, mit diesen unliebsamen Umständen umzugehen.

    Fischer: Noch einmal zurück nach Passau. Die Polizei dort hat ja offensichtlich versucht, den Rechten keinen Meter Boden zu überlassen. Hat Polizeidirektor Mannichl damit Ihrer Ansicht nach die richtige Strategie verfolgt?

    Wagner: Polizei ist natürlich kein politisches Instrument, sondern Polizei hat den Rechtsstaat zu jeder Zeit und zu jeder Stunde durchzusetzen. Wenn der Polizeichef oder überhaupt jeder Polizeichef der Ansicht ist, wenn Rechtsextremisten Straftaten begehen, dass man dann diesen Boden von Straftaten ihnen entzieht, dann ist das eine völlig richtige, eine konsequente und notwendige Strategie. Ich denke, in dieser Weise sind natürlich auch die Vorstellungen des Polizeichefs gewesen. Die bayerische Polizei ist eigentlich grundsätzlich dafür bekannt, rechtsstaatlich zu handeln und natürlich auch konsequent zu handeln. Das wird ihnen mehr als anderen Polizeien der Bundesländer nachgesagt.

    Fischer: Das heißt, diese Sprache verstehen die rechten Gewalttäter am ehesten?

    Wagner: Das verstehen die schon sehr genau. Sie haben natürlich auch Furcht vor Verfolgung. Niemand möchte gerne im Gefängnis sitzen. Es gibt natürlich immer eine hinreichende Anzahl von Personen, die sich in Art einer Selbstgeißelung auch dem Strafrecht überantworten und das Gefängnis dann als Szene, als nationale Märtyrer betreten, aber die meisten wollen da gar nicht hin. Das übt natürlich auf sie auch eine Wirkung aus, wenn eine konsequente polizeiliche und staatsanwaltliche Strafverfolgung stattfindet.