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Exophthalmus
Glupschaugen als Krankheitsbild

Große Augen sind attraktiv, übermäßig groß sollten sie aber auch nicht sein. Zu große Augen erscheinen glupschig, der Blick wirkt starr. Wenn ein oder gar beide Augen zu weit hervortreten, sprechen Mediziner von Exophthalmus. Häufig gehen unangenehme Symptome mit einher.

Von Mirko Smiljanic | 10.04.2018
    Ein Plakat einer Frau mit Glupschaugen macht auf der Frankfurter Buchmesse 2006 aufmerksam auf das Guinness Buch der Rekorde
    Universitätsklinikum Essen, ein früher Nachmittag in den Räumen der Sehschule. An der Wand eine Untersuchungseinheit, links Regale voller Akten und Informationsmaterial für Patienten, in der Mitte ein Besprechungstisch, an dem eine 37 Jahre alte Frau sitzt. Ihr rechtes Auge ist mit weißen Verbänden abgedeckt, das linke hat zwar keinen Verband, sieht aber etwas geschwollen aus. Die Polin leidet an Exophthalmus, im Volksmund Glupschaugen.
    "Mit meiner Schilddrüse, Probleme habe ich seit 2003 kurz nach der Geburt meines Kindes," berichtet die 37-Jährige über ihre Krankengeschichte. "Das war erst Überfunktion, dann Unterfunktion, das wurde mit Medikamenten behandelt, aber das hat leider nicht gut geholfen. Dann habe ich eine Empfehlung bekommen von meiner Endokrinologie, es ist möglich, eine Radiojodtherapie zu machen."
    Die Radiojodtherapie ist ein nuklearmedizinisches Verfahren zur Behandlung von Schilddrüsenvergrößerungen, des Morbus Basedow – daran leidet die Patientin – und bestimmter Formen des Schilddrüsenkrebses. Die Methode ist anerkannt, kann aber zu unerwünschten Wirkungen führen.
    "Kurz nach der Radiojodtherapie, ein halbes Jahr, entwickelten sich Probleme mit meinen Augen, ganz große, dicke, tränende Augen."
    Die Patientin hat eine Endokrine Orbitopathie entwickelt, eine Miterkrankung des Augenhöhlengewebes. Ein ausgesprochen unangenehmes Symptom kann dabei das Hervortreten der Augen aus der Augenhöhle sein, Mediziner sprechen von Exophthalmus. Weitere Symptome sind "verschwommen sehen, manchmal doppelte Bilder, tränende Augen, Lichtempfindlichkeit". Und natürlich hervortretende Augen mit einem starren Blick. "Das war auch anstrengend!"
    Ab einer bestimten Phase können Symptome irreversibel werden
    Weil ihre niedergelassenen Augenärzte keinen Rat mehr wussten, überwiesen sie die Patientin ans Uniklinikum Essen. Es sei ein Fall für Professor Anja Eckstein, Leiterin der Spezialsprechstunde "Exophthalmus".
    "Die Patientin kam spät im Verlauf ihrer Erkrankung, da war die aktive Phase schon vorbei, und eines der nicht schönen Eigenschaften bei den Augenerkrankungen bei Morbus Basedow, ist, dass die Symptome, wenn sie einmal eingetreten sind, nicht mehr komplett zurückgehen, und vor allen Dingen die sogenannten Glupschaugen verbleiben."
    Alles begann mit der Schilddrüsenerkrankung "Morbus Basedow", so Privatdozent Lars Möller, Oberarzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsklinikum Essen.
    "Das ist eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, bei der Antikörper Rezeptoren an der Schilddrüsenoberfläche aktivieren, was dann zu einer Überfunktion der Schilddrüse führt. Das heißt, die Patienten fallen auf mit einer Schilddrüsenüberfunktion, also Gewichtsverlust, Herzrasen, Zittern. Das gemeine an dieser Erkrankung ist, dass die gleichen Antikörper, die die Schilddrüse aktivieren, auch verantwortlich sind für die Endokrine Orbitopathie, indem sie eine Entzündung in der Augenhöhle hervorrufen.
    "Die Bindegewebszellen in der Augenhöhle sind sehr reagibel, wenn sie also einen Entzündungsreiz bekommen, dann reagieren sie zum einen mit einer Fettvermehrung, und zum anderen mit einer vermehrten Narbenbildung", die dazu führen, dass es hinter dem Auge eng wird. Das Auge liegt ja "sehr geschützt in einer volumenbegrenzten knöchernen Augenhöhle. Und wenn die Gewebe anschwellen und das Gewebe sich vermehrt, dann können die Augen ja nur nach vorne kommen. Das ist auch was ganz schlaues, was die Augen machen, denn sonst würde sich der Gewebedruck in der Augenhöhle erhöhen, dann wäre das Auge schlecht durchblutet und würde möglicherweise erblinden. Deshalb ist es noch eine relativ gesunde Reaktion des Auges, nach vorne zu kommen, aber mit anderen Komplikationen."
    Unangenehme Nebeneffekte
    Dazu zählen trockene Augen, weil die Lider nicht mehr richtig schließen, eine raue Augenoberfläche mit der Folge allgemeiner Sehstörungen.
    "Und das zweite ist, wenn jemand die Augen so weit aufgerissen hat, dann sieht es aus, als würde er seine Umwelt anstarren, man kennt ja den Begriff "vor Angst geweitete Augen" und dass er in einer schlechten Laune ist, das stört die Patienten auch sehr, weil sie in den Sozialkontakten erheblich beeinträchtigt sind."
    Bei der Therapie gibt es zwei Varianten: Entweder wird die Entzündung im Auge möglichst schnell behandelt, in dem Fall muss das Auge erst gar nicht aus der Augenhöhle heraustreten; ist das nicht möglich, weil der Patient zu spät kommt, müssen mehrere kleine Fenster in die knöchernen Augenhöhlen gesägt werden, damit das Auge wieder zurückwandern kann. Genau das ist bei der 37-jährigen Polin gemacht worden, so Anja Eckstein.
    "Das ist an beiden Seiten gemacht worden, das ist an beiden noch ein bisschen geschwollen, es sieht noch nicht aus, wie es später mal sein wird, sie hatte sehr stark hervorgetretene Augen."
    Ein paar Wochen noch, dann geht die Patientin wieder ohne Sonnenbrille auf die Straße, die Glupschaugen sind verschwunden. Und noch etwas geben die Essener Ärzte ihrer Patientin mit auf den Weg: Hände weg von Zigaretten! Rauchen trägt dazu bei, "dass die Antikörper zu einer Endokrine Orbitopathie führen, das heißt, die Patienten, die wir sehen mit den ganz schweren Symptomen der Endokrinen Orbitopathie, das sind in der überwiegenden Zahl Raucher."