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Expansion der Finanzmärkte
Kastrop: "Die Deregulierung ist vielleicht zu weit gegangen"

Die starke Expansion des Finanzsektors sei nicht nur eine Gefahr für das Wirtschaftswachstum, sagte OECD-Direktor Christian Kastrop im DLF. Sie habe sich auch negativ auf die Einkommensverteilung ausgewirkt. Durch die überdurchschnittlich hohen Löhne in der Finanzbranche hätten andere Sektoren fähige Arbeitskräfte verloren und die Ungleichheit habe zugenommen.

Christian Kastrop im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 17.06.2015
    Die Hochhäuser von Frankfurt am Main und Teile der Altstadt (im Vordergrund) vor Himmel mit Sonnenuntergang
    Die Bankentürme in Frankfurt. (dpa/picture alliance/Arne Dedert)
    Jessica Sturmberg: Billiges Geld - die umfassenden Deregulierungen, die noch vor der Finanzkrise vorgenommen und bisher nur wenig zurückgenommen wurden, das sind zwei Gründe, warum der Finanzsektor in den vergangenen Jahren stark expandiert ist. Zu stark, sagt die OECD, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das gefährdet das Wirtschaftswachstum. Frage an den Direktor für wirtschaftliche Studien, Christian Kastrop: Was sind die Erkenntnisse? Worin besteht die Gefahr?
    Christian Kastrop: Wir kommen ganz eindeutig zu dem Ergebnis: Es gibt einen Punkt, an dem ein zu starker Finanzsektor - und hier ganz insbesondere haben wir uns mit der Frage von Bankkrediten auseinandergesetzt -, kann man deutlich zeigen, dass das Wachstum dann sinkt.
    Sturmberg: Warum?
    Kastrop: Ja! Es geht darum, dass einfach nicht die besten Projekte ausgewählt werden. Wenn zum Beispiel die Zinsen sehr, sehr niedrig sind. Geld kostet praktisch nichts. Dann können Sie natürlich auch Projekte finanzieren, die bei einem etwas höheren Zinssatz gar nicht mehr finanziert werden würden, und insofern sind das nicht unbedingt die, die für die Volkswirtschaft am günstigsten sind.
    Zweiter Aspekt ist der, dass mit einem sehr stark wachsenden Bankensektor auch die Sicherheitsrisiko-Banken größer werden, und wir haben ja auch das Problem, dass diese Banken dann geschützt werden müssen, zum Beispiel durch Garantien und anderes. Das wirkt sich auch sehr negativ auf das Wachstum aus.
    Als dritten Punkt haben wir herausgefunden, dass auch Arbeitskräfte in den Finanzsektor gelockt werden mit den entsprechenden Verdiensten dort. Und man kann auch vermuten, dass damit auch anderen Sektoren sehr fähige Arbeitskräfte verloren gehen, die, wenn man die gesamte Volkswirtschaft betrachtet, an der Stelle vielleicht besser eingesetzt wären.
    Politik ist zum Schutz des Finanzsektors gezwungen
    Sturmberg: Ich komme mal auf den Aspekt, den Sie vorhin genannt haben, mit den Banken. Verlassen die sich darauf, dass sie im Zweifelsfall schon vom Staat gerettet werden?
    Kastrop: Ja, in der Tat! Wenn Sie einen großen, starken Finanzsektor haben, der sehr stark zum Wachstum ihrer Volkswirtschaft beiträgt, dann werden sie natürlich auch politisch unter den Druck geraten, dass sie diesen Sektor schützen müssen. Und wenn etwas passiert, damit keine besonders große Katastrophe eintritt, geben sie indirekte Garantien: Sie gründen eine Bad Bank. Es gibt viele Wege, wie man einen zu großen Bankensektor abdecken muss.
    Sturmberg: Was die Verteilung des Wirtschaftswachstums betrifft, wie sieht es da aus? Was ist da Ihre Position?
    Kastrop: Der zweite Aspekt, mit dem wir uns auseinandergesetzt haben, ist die Frage, wie wirkt sich ein zu stark wachsender Finanzsektor auf die Gleichverteilung der Einkommen aus. Und hier ist auch unser Ergebnis: Der Finanzsektor zahlt überdurchschnittlich hohe Löhne und das führt dazu, dass insgesamt mit einem großen, stark wachsenden Finanzsektor auch die Ungleichheit in einer Volkswirtschaft stark zunimmt.
    Sturmberg: Die Banker verdienen zu viel, während die, die tatsächlich in der Realwirtschaft produzieren, zu kurz kommen?
    Kastrop: Ja.
    Sturmberg: Was ist da Ihr Lösungsvorschlag?
    Boni im Bankensektor müssen überprüft werden
    Kastrop: Zum einen müsste man sich die Boni im Bankensektor anschauen. Es gibt dort eine Diskussion, dass man bei mangelndem wirtschaftlichen Erfolg Boni auch wieder zurückzahlen muss. Das ist natürlich ein ganz wichtiger Gehaltsbestandteil. Eine andere Idee wäre, dass man die Begünstigung des Finanzsektors zum Beispiel durch die Nichteinbeziehung in die Mehrwertsteuer aufhebt. Das Stichwort dazu heißt Finanzaktivitätssteuer. Das wären schon mal zwei wichtige Punkte, die man sich in dem Zusammenhang anschauen kann.
    Sturmberg: Was ist denn jetzt die Lösung, indem man die Deregulierungen, die man in früheren Zeiten vorgenommen hat, wieder zurückführt?
    Kastrop: Nicht jede Deregulierung würden wir negativ sehen. Aber das Gesamtausmaß der Deregulierung ist vielleicht in einzelnen Ländern zu weit gegangen und hat damit dieses starke Wachstum des Finanzsektors begünstigt. Es gibt natürlich auch neue Regulierungsansätze, daran arbeiten viele Institutionen, wie man wieder re-reguliert, vielleicht nicht in dem Sinne, wie man früher reguliert hat, aber dass man doch gelernt hat, dass ein zu starkes Maß an Deregulierung jedenfalls in die falsche Richtung weist.
    Sturmberg: Haben Sie da auch ein konkretes Beispiel?
    Kastrop: Höheres Eigenkapital. Das ist, denke ich, für die Robustheit des Bankenwesens ganz entscheidend.
    Sturmberg: Aber das ist ja schon auf dem Weg.
    Kastrop: Ja, das ist zum Teil auf dem Weg. Aber Sie wissen, es wird immer noch über Größenordnungen geredet, wo man doch der Meinung sein könnte, es könnte auch noch etwas mehr sein.
    Sturmberg: OECD-Direktor Christian Kastrop über Vorschläge, wie man den zu starken Finanzsektor eindämmen könnte. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.