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Expeditionen
Geschichte von der Erforschung der Welt

Kaum vorstellbar, dass eine Weltkarte vor 250 Jahren noch viele weiße Flecken enthielt. Wo genau verläuft die Küste Afrikas, welche Inseln liegen im Pazifik und wie groß ist eigentlich Australien? Viele Fragen waren damals noch ungeklärt. Der Hamburger Historiker Jürgen Sarnowsky berichtet von der allmählichen "Erkundung der Welt" – zumindest aus europäischer Sicht.

Von Silke Ballweg | 07.09.2015
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    Europäer drangen in die unbekannten Winkel der Welt vor. (dpa)
    Die Magellanstraße am südlichen Zipfel Feuerlands, die Kleinstadt Cooktown an der Ostküste Australiens, die Beringsee zwischen Nordamerika und Sibirien. Schon ein oberflächlicher Blick auf eine Weltkarte zeigt: Es waren vor allem europäische Kaufleute, Wissenschaftler und Seefahrer, die während der vergangenen Jahrhunderte in die bis dahin unbekannten Winkel unseres Planeten vordrangen und das Wissen über die Erde erweiterten. Doch bei reinen Erkundungen beließen es diese Abenteurer in der Regel nicht. Die meisten nahmen die Gebiete, auf die sie stießen, direkt in Besitz und gaben ihnen neue eigene Namen. Und so ist die Geschichte von der Erforschung der Welt auch eine von blutigen Eroberungen und eurozentrischer Ignoranz.
    In seiner Publikation "Die Erkundung der Welt" berichtet der Hamburger Historiker Jürgen Sarnowsky von den wichtigsten Expeditionen während der vergangenen Jahrhunderte. Dabei orientiert er sich an den entsprechenden Aufzeichnungen und Reiseberichten. Diese Herangehensweise ist spannend, zumal die Berichte alles andere als objektiv waren. Vielmehr stellten sie eine Mischung aus Fakt, Fiktion und Vorurteil dar. Sarnowsky schreibt:
    "Keiner der Reisenden gab ungefiltert das wieder, was ihm unterwegs begegnet war. Sofern nicht zusätzliche Informationen aus älteren Vorlagen übernommen oder fremde Texte in die eigene Schrift integriert wurden – ein Plagiat im modernen Sinne kannten die meisten Zeitgenossen in früheren Jahrhunderten nicht -, war die Darstellung durch die eigene Herkunft und den Bildungsstand, durch Vorkenntnisse, Vorurteile und subjektive Wahrnehmung geprägt. Es bedarf daher eines kritischen Zugangs zu den Quellen, um die Vorstellungen der Autoren und ihrer Umwelt einzuordnen."
    Sarnowsky beginnt seine Studie mit den Reisen im späten Mittelalter und endet mit der wissenschaftlichen Erschließung Südamerikas durch Alexander von Humboldt. Schon das Mittelalter, so der Autor, war von hoher Mobilität geprägt. Zahlreiche Berufsgruppen zogen mit ihrem Bündel über die Straßen.
    "Bauern, Handwerker und Händler reisten zu den Märkten, um Naturalien und Produkte auszutauschen; Herrscher und Adlige zogen mit ihrem Gefolge von Ort zu Ort, um in ihrem Herrschaftsbereich präsent zu sein; Mitglieder geistlicher Orden, Magister und Scholaren waren zu anderen Konventen und Bildungseinrichtungen unterwegs, um innerhalb ihrer Gemeinschaften neue Aufgaben zu übernehmen. Und daneben gab es die Ärmsten, die als 'wanderndes Volk' immer auf der Suche nach Lebensunterhalt waren."
    Wohlhabende fromme Pilger ließen bereits damals die Grenzen Europas hinter sich. Um in Jerusalem für ihr Seelenheil zu beten, reisten sie ins Heilige Land. Dem religiösen Charakter der Unternehmung verpflichtet, konzentrierten sich die Texte der Pilger vornehmlich auf das innere Erleben. Die bereisten Orte interessierten nicht, schreibt Sarnowsky.
    "Das fremde Land und seine Bewohner fanden kaum Berücksichtigung – oder nur als Hindernisse auf dem Weg zu einem möglichst hohen Gewinn für das eigene Seelenheil."
    Spannender werden die Berichte mit den weiteren Reisen nach China, Indien und Vorderasien. Sarnowsky erzählt etwa von Ludovico de Varthema, der sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts als gläubiger Muslim getarnt der Pilgerreise Hadsch anschloss und anschließend von seinen Erfahrungen und von Mekka berichtete. Bei ihm stand das Interesse an anderen Ländern und Kulturen im Mittelpunkt. Bei vielen anschließenden Reisen wurde dann die Frage zentral, welche Waren und Rohstoffe es in anderen Ländern gibt.
    Bereits die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus führte nicht nur zur Unterwerfung der Einheimischen auf dem neuen Kontinent. Die europäischen Mächte schafften zudem Sklaven aus Afrika herbei und etablierten brutale Kolonialstrukturen. Der Dominikanerbruder Bartolomé de las Casas berichtete zu Beginn des 16. Jahrhunderts von der im Namen der Kirche verübten Gewalt:
    "Und dort fingen die Christen an, den Indios ihre Frauen und Kinder zu entreißen, um sich ihrer zu bedienen und sie zu missbrauchen, ihnen auch die Speisen wegzuessen, die sie mit ihrer Mühe und Arbeit gewonnen hatten. Die Christen mit ihren Pferden, Schwertern und Lanzen verübten Metzeleien und unerhörte Grausamkeiten an ihnen. Sie verschonten nicht einmal Kinder oder Greise, Schwangere oder Wöchnerinnen. Ihnen allen schlitzten sie den Bauch auf und zerstückelten sie, als fielen sie über ein paar Lämmer her."
    Sarnowsky zeigt in seinem Buch, wie auf die Unterwerfung des Azteken-Reiches durch Hernan Cortés die Erkundung des amerikanischen Kontinents folgte. Und wie die europäischen Mächte vom Eroberungsdrang getrieben immer weitere Expeditionen losschickten. Die erste Weltumsegelung unter der Leitung von Ferdinand Magellan von 1519 bis 1522 klärte erstmals das Gesamtbild der Erde. Rund 100 Jahre später erkundete Abel Tasman Ostasien und den südlichen Pazifik. Die drei Weltumsegelungen des James Cook in den 1770er Jahren fanden schließlich im Zeitalter der Aufklärung statt. Cook und die mit ihm reisenden Wissenschaftler brachten Hunderte Pflanzenproben und Tierzeichnungen mit zurück nach Europa. Ihre wissenschaftlichen Erkundungsfahrten prägten nachhaltig das Wissen über die Südsee und über Australien.
    "Sein Schiff wurde mit allerlei Neuerungen ausgerüstet, darunter einem Destillator, mit dem aus Meerwasser Trinkwasser gewonnen werden konnte. Als er 1771 zurückkehrte, hatte Cook ohne ein einziges Skorbutopfer mit einem einzigen Schiff rund 5.000 Kilometer Küstenlinie erfasst und kartiert."
    Mit seiner Studie nimmt Jürgen Sarnowsky den Leser mit in die spannende Geschichte der europäischen Entdeckungen. Das Werk ist kenntnisreich geschrieben, beschränkt sich aber allzu sehr auf die Expeditionen im engeren Sinn. Im Epilog des Buches schreibt Sarnowsky, die Reisen hätten Alltag und Denken in Europa nachhaltig verändert. Doch gerade diese höchst interessanten Aspekte behandelt er nicht. Offen bleibt etwa, inwiefern die Kolonialisierung, die Idee des Edlen Wilden oder die im 18. Jahrhundert aufkommende Chinoiserie Europas intellektuelle Strömungen geprägt und verändert haben. Auch wären eine politische Positionierung des Autors zu seinem Thema oder aktuelle Bezüge etwa zur ethnografischen Forschung wünschenswert gewesen. So ist das Buch eine gut erzählte historische Darstellung der Entdeckungen. Darüber hinaus geht es leider nicht.