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Expeditionen ins Jenseits

Zum einen betreibt Norbert Hummelt mit seinen neuen Gedichte eine historische und regionale Herkunftsforschung. Zum anderen sind sie Expeditionen ins Jenseits, in eine Welt, die weder dokumentiert noch kartografiert werden kann.

09.07.2007
    "Zunächst schreibe ich einfach das, wo es mich hinzieht. Und das ist jetzt nicht auf der Grundlage eines vorgängigen kritischen Gegenwartsbefundes, aber ich glaube, dass das von selber passiert. Und ich hab vor einigen Jahren mal gesagt, dass ich immer versuche, das zu schreiben, was mir fehlt. Und wenn es das im Überfluss gäbe in dieser Art, die Dinge an sich heranzuziehen und eben die Welt durch die Person durchzuziehen und durch die Sprache und wieder neu zurück zu geben, dann würde es mich vielleicht zu anderen Sachen hinziehen. Ich glaube schon, dass die Konkretion die bestmögliche Art ist. überhaupt zu den Dingen vorzudringen."

    Im weißen Rauschen der Neuerscheinungen nimmt Norbert Hummelts neuer Gedichtband "Totentanz" einen besonderen Platz ein. Keine im Spiegel der Medien veräußerten Gefühle finden hier Gehör, vielmehr wurden sie mit aller Langsamkeit und mit Bedacht durchlebt und in eine Form gebracht. Was unerhört kostbar ist, was fehlt. "Man versteht, weil man empfindet", so hat es die französische Schriftstellerin Nathalie Sarraute einst formuliert. Das Durchschreiten der eigenen Familienbiografie, die mit dem Band "Zeichen im Schnee" aus dem Jahr 2001 begann, Norbert Hummelt widmete ihn seinem verstorbenen Vater, erfährt in "Totentanz" eine Terrainerweiterung. Zum einen betreiben die neuen Gedichte eine historische und regionale Herkunftsforschung. Zum anderen sind sie Expeditionen ins Jenseits, in eine Welt, die weder dokumentiert noch kartografiert werden kann.

    "Ich versuche ja eigentlich immer, durch das Schreiben entweder etwas rauszukriegen, was ich noch nicht weiß, oder etwas festzuhalten, was längst weg ist oder was entschwindet. Und die Schwellenzonen, also sowohl des Tages, halt eben Erwachen und Einschlafen und die ganz veränderte Weltsicht, die man hat, wenn man gerade aus dem Schlaf kommt oder wenn man in den Schlaf eingeht und gar nicht anders kann, als dann die Kontrolle abzugeben. Und so sind das gleichzeitig so Zonen, die anders sind, die geheimnisvoll sind, die eben aber auch angstbesetzt sind, über die man letztendlich so wenig Herr ist wie über das eigene Zur-Welt-Kommen und das eigene Aus-der-Welt-Gehen."

    "Nichts ist poetischer als alle Übergänge", schrieb der romantische Philosoph Novalis. Norbert Hummelts Gedichte sind geprägt von Übergängen. Sie bewegen sich im Zwielicht, in dem historische Schichten eine autobiografische Gegenwart durchdringen. Die Erfahrung vom unverrückbaren Tod der eigenen Mutter, das Erstaunen über die Geburt einer ersten Tochter. Untergründig und dezent wird dabei die Frage nach Gott gestellt.

    Der Totentanz, ein seit dem 14. Jahrhundert künstlerisches Motiv, bei dem sich der Tod vermenschlicht in den Reigen der Lebenden einreiht, hat dem Gedichtband nicht nur seinen Titel, sondern auch seine stoffliche Dimension verliehen.

    "Es war einfach so, dass der Tod durch eine ernorme Düsternis, die ich erfahren habe, vor allen Dingen am Ausgangspunkt dieses Schreibens, aber auch über weite Strecken der drei Jahre, in denen ich an dem Band geschrieben habe, war das ein ganz starkes Motiv einerseits als Angst, weil ich häufig beim Schreiben des Bandes das Gefühl hatte, ich weiß überhaupt nicht, wo ich sein werde und was sein wird, wenn ich dieses Buch fertig geschrieben habe, weil das wirklich so von Umbrüchen geprägt und durchzogen ist. Und oftmals war das Schreiben das einzige, woran ich mich überhaupt halten konnte. Und gleichzeitig ist halt noch etwas, was bei diesem Buch wesentlich stärker ist als bei allen Büchern vorher, dass ich, obwohl das Vergangenheitstempo sicher auch in vielen Gedichten da ist, dass ich von Anfang an eigentlich das Gefühl hatte, es ist so eine Art Mitschrift dessen, was ich in der Zeit erlebe mit völlig offenem Ausgang."

    Norbert Hummelt lässt in seinen Gedichten ein schreibendes Ich zu Wort kommen, das sich preisgibt, das zaudert, beobachtet und forscht. Die Texte sind getragen von dem Wunsch, dem Ungewissen Raum zu geben, auch indem ungewöhnliche Verbindungen hergestellt werden.

    An erster Stelle steht hier die Nähe zu dem englischen Lyriker, Dramatiker und Essayisten T.S. Eliot. Dessen Werk "Four Quartets" - entstanden in den Jahren 1935 bis 1944 - hat Norbert Hummelt ins Deutsche übertragen. Während Eliot in seinem jüngsten Versepos "The Waste Land" die heillose städtische Existenz seiner Moderne angeklagt hatte - geistige Leere, entfremdete Sexualität und Tod - entwarf er in den "Four Quartets" ein spirituelles Gegenbild. Die Quartette sind eine Meditation über die Zeit, stecken voller großartiger, poetischer Beschreibungen und philosophischer Erkenntnisse.

    Ihr ruhiger Ton mag sich auf die Gedichte Norbert Hummelts übertragen haben, die voller Einsicht und Schönheit sind. Dem Schrecken und dem Dunkel setzen sie die Kraft der Sprache entgegen. So veranlasste der Anschlag auf die Londoner U-Bahn im Juli 2006 Norbert Hummelt zur Niederschrift des folgenden Gedichts. Die Metaphorik der Unterwelt aus T.S. Eliot "Four Quartets" ist in seine Bildwelt miteingeflossen. "Untergrund" heißt das Gedicht.

    "so also lebten sie im unter- / grund, im blitz. rolltreppen, gummi, geruch in den nächten. / durchsagen, die für alle galten: mind the gap.. (...) da legten sie die toten in die erde, unversehrt, nach seinem ebenbild / auf ihn zu warten, bis er wiederkäme. über die landschaft kam / der blitz; sie karrten steine für den bau der röhren; über / die landschaft kam der blitz: was wollten sie im untergrund - / die totenruhe stören? geruch von gummi u. ich stieg u. stieg .. der tag brach an, u. an der frischen luft glühte ich auf in einer art lebwohl u. schwand dahin, als man entwarnung gab."