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Explosion nach 73 Sekunden

73 Sekunden nach dem Start am 28. Januar 1986 geschieht das Unfassbare: Die amerikanische Raumfähre Challenger explodiert. Alle sieben Astronauten an Bord sterben. Es sind die ersten Todesopfer während eines Weltraumfluges in der Geschichte der amerikanischen Raumfahrt.

Von Joachim Baumann | 28.01.2006
    Es war ein unerwartet kalter Tag in Florida, die Zitrusbauern sorgten sich um ihre Ernte und NASA-Ingenieure bangten um den Start der Raumfähre Challenger. Das Zeitfenster war nur noch eng, denn die Mission, die ursprünglich bereits am 22. Januar 1986 beginnen sollte, wurde wegen technischer Probleme an der Startrampe und der Witterungsbedingungen immer wieder verschoben. Doch am 28. gaben die Verantwortlichen der NASA nach einer letzten Inspektion der Fähre ihr Okay. Für den RIAS Berlin verfolgte Harro Zimmer das Geschehen vor Ort und berichtete live vom Start der Challenger am Cape Canaveral:

    "Die Triebwerke zünden und in dieser Sekunde hebt die Challenger ab und meine Kollegen hier im Kontrollzentrum brechen in Jubel aus und die Challenger startet um 17.38 Uhr MEZ in Richtung Atlantik, hat die erste Drehbewegung durch, hat sich gewissermaßen auf die Seite gelegt so dass die Challenger nach unten hängt, und sie steigt nun majestätisch, wie man es kennt, in den blauen Himmel und ich glaube, man kann die Steine von den Herzen der NASA-Verantwortlichen buchstäblich plumpsen hören. Auch dieser Flug musste ja mehrfach verschoben werden: Einmal waren es Zeitgründe, dann gab es Probleme mit der Technik, und vor allem das Wetter ist in diesem Jahr der ärgste Feind der bemannten Raumfahrt. Aber die NASA hat endlich mal das Glück des Tüchtigen gehabt, obwohl ich muss zugeben, dass ich vor einundeinhalb Stunden noch nicht daran geglaubt habe, als ich die Eismassen am Shuttle gesehen habe."

    Die Challenger hat seit ihrem Jungfernflug im Jahre 1983 große Erfolge erzielt. Während ihrer neun Missionen wurden zahlreiche Kommunikationssatelliten ausgesetzt, der Amerikaner Bruce McCandless entfernte sich als erster Astronaut ohne Sicherungsleine 30 Meter vom Orbiter, die Challengerpilotin Kathryn Sullivan unternahm als erste Frau einen Weltraumspaziergang. Auf drei Missionen im Jahre 1985 wurden in dem mitgenommenen Weltraumlabor Spacelab wissenschaftliche Experimente mit Tieren durchgeführt. Das Spacelab D1, hauptsächlich von der Bundesrepublik Deutschland finanziert, war mehrere Tage die Arbeitsstätte der deutschen Astronauten Reinhard Furrer und Ernst Messerschmid.

    Die zehnte Mission wurde mit besonderer Spannung erwartet und stand unter großem öffentlichen Interesse, weniger wegen des mitgeführten Kommunikationssatelliten TDRS-2 oder der geplanten Beobachtung des Halleyschen Kometen. Außer den sechs Astronauten war die Lehrerin Christa McAuliffe an Bord, sie sollte innerhalb eines NASA-Projektes Schülern live aus dem Weltraum Unterricht erteilen.

    "Die Challenger steigt hier klar auf, wir sehen in Weitwinkelaufnahmen das Abtrennen der großen Triebwerke … in einer gewaltigen Explosion … sind die Triebwerke hier beiseite geflogen … wir müssen mal eine Sekunde beobachten was passiert, … es sieht sehr seltsam aus… lassen sie mich auf den Bildschirm schauen, es gab so etwas wie eine Detonation eines der beiden Triebwerke … aber noch … ist hier nichts … Negatives … ich muss mal hören … Es ist hier ein Problem aufgetreten, wir sollten mal eine Sekunde dran bleiben…"

    Es waren exakt 73 Sekunden nach dem Start vergangen. Die große Kälte hatte an den Feststoffraketen Gummidichtungen porös gemacht. Sie verloren nach dem Zünden der Triebwerke an Elastizität und es kam zum "Blow-By", dem Flammenaustritt an der Seite eines Boosters und schließlich zur Explosion. NASA-Mitarbeiter, Reporter und Hunderttausende Fernsehzuschauer waren geschockt.

    "Es fallen hier einzelne Teile nach unten, … es mag also sein, dass es sich um die Explosion eines der großen Triebwerke handelt, … wo allerdings, … die Challenger ist explodiert, die Challenger ist explodiert, und wir wissen nicht, … das Notrettungssystem hat versagt … wir stehen vermutlich … vor der gr ... vor der größten Katastrophe … der bemannten Raumfahrt."

    Alle sieben Astronauten, zwei Frauen und fünf Männer, kamen ums Leben – die ersten Todesopfer während eines Weltraumfluges in der Geschichte der amerikanischen Raumfahrt.

    Natürlich gab es im Anschluss an die Katastrophe eine Untersuchungskommission, und natürlich gab es bei der NASA personelle Konsequenzen. Doch an einen Ausstieg aus der bemannten Raumfahrt dachte niemand. Zweieinhalb Jahre lang wurden die Shuttle-Flüge ausgesetzt, die Sicherheitssysteme total überarbeit und über 2000 Veränderungen vorgenommen. Die Astronauten sollten nun wieder bei Start und Landung Raumanzüge tragen. Am 29. September 1988 startete die Raumfähre Discovery erstmals wieder nach dem vorangegangenen Unglück ins All. 15 Jahre lang geschah kein weiteres Unglück bis zum Februar 2003, als die Columbia beim Landeanflug auseinanderbrach und wiederum sieben Astronauten den Tod fanden.