Donnerstag, 18. April 2024

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Extremismus bei der Bundeswehr
"Von der Leyen ist für das Klima in der Truppe zuständig"

Die rechtsextreme Gesinnung des terrorverdächtigen Bundeswehrsoldaten war offenbar schon länger bekannt, doch seine Vorgesetzten unternahmen nichts. Der SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch sieht die Verteidigungsministerin in der Verantwortung: Ursula von der Leyen sei dafür zuständig, welche Haltung in der Bundeswehr herrsche und müsse für genügend Sensibilität gegenüber dem Thema Extremismus sorgen, sagte er im DLF.

Uli Grötsch im Gespräch mit Jasper Barenberg | 04.05.2017
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Generalinspekteur der Bundeswehr Volker Wieker (l-r), stehen am 03.05.2017 beim Besuch des Jägerbataillons 291 der Bundeswehr in Illkirch bei Straßburg (Frankreich) vor Journalisten und geben ein Pressestatement. Der terrorverdächtige Oberleutnant Franco A. hat dort seinen Dienst verrichtet.
    Bundesverteidigungsministerin von der Leyen in Illkirch (dpa / Patrick Seeger)
    Jasper Barenberg: Längst hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen im Fall Franco A. übernommen, weil inzwischen klar ist, dass der verhaftete Oberleutnant der Bundeswehr nicht nur über Monate ein Doppelleben als angeblicher syrischer Flüchtling geführt hat und einen Anschlag geplant haben soll, sondern dass die Truppe schon seit drei Jahren handfeste Hinweise auf eine rechtsextreme Einstellung des Offiziers hatte, die Vorgesetzten und die Führung der Bundeswehr aber nichts gegen den Mann unternommen haben. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen steht in der Kritik für ihren Umgang mit dem Skandal.
    Am Telefon ist der SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch, auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, einer Runde also, die auch und gerade die Arbeit der Geheimdienste in diesem Fall beaufsichtigen und bewerten soll. Schönen guten Morgen, Herr Grötsch.
    Uli Grötsch: Guten Morgen.
    "Wer einen handlungsfähigen Staat will, muss für genug Personal sorgen"
    Barenberg: Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ist der hauseigene Nachrichtendienst der Bundeswehr und auch zuständig dafür, Extremisten in der Bundeswehr zu erkennen und nach Möglichkeit aus der Truppe zu entfernen. Hat der MAD im Fall Franco A. sträflich versagt, wie Grüne und Politiker der Linkspartei jetzt urteilen?
    Grötsch: Nein, das würde ich so nicht sagen wollen. So wie sich der Fall mir jetzt darstellt, ist der MAD viel zu spät darüber informiert worden, dass es diesen Rechtsextremen in der Bundeswehr gibt. Der MAD hat auch eine Phase hinter sich, in der sehr viel Personal abgebaut wurde. Das zeigt mal wieder unser ganzes innenpolitisches Credo. Wer einen starken, handlungsfähigen Staat will, der muss auch dafür sorgen, dass genug Personal da ist.
    Barenberg: Lassen Sie uns mal kurz hören, was der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Clemens Binninger, im Anschluss an diese Sondersitzung gesagt hat, wo es auch um den MAD und seine Vorgehensweise gegangen ist:
    "Der MAD hat uns glaubhaft versichert, dass bei all den Dingen, die gemacht und in Vergangenheit, überhaupt keine Erkenntnisse oder Indizien zutage getreten sind, dass es sich hier um einen Extremisten handeln könnte."
    Barenberg: Soweit Clemens Binninger. – Wir wissen ja inzwischen, dass der MAD seit Februar mit dem Fall befasst war. In der Sitzung am vergangenen Freitag gab es dazu aber kein Wort. Hat der MAD Sie und die anderen Parlamentarier in die Irre geführt?
    Grötsch: Wir hätten uns schon erwartet, dass wir frühzeitig über Sachverhalte, die für das Parlament relevant sind, unterrichtet werden. Wann so ein Sachverhalt für das Parlament relevant wird, das muss der MAD-Präsident selber entscheiden. Wir waren letzte Woche in einer Situation, in der wir von dem Fall auch ziemlich spät in der Woche informiert wurden. Ich gehe davon aus, dass uns dieser Fall im Innenausschuss, im Verteidigungsausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium in den nächsten Wochen noch sehr intensiv beschäftigen wird.
    "Es muss auch in der Truppe eine Mentalität geben"
    Barenberg: Sie haben gerade gesagt, was der MAD berichtet in diesem geheim tagenden Gremium, das muss schon der Präsident des MAD selber entscheiden. Aber kann das eigentlich sein, dass Sie immer darauf angewiesen sind, auf die Einschätzungen im MAD in diesem Fall beispielsweise selber, und hat er nicht eine Pflicht, das zu berichten, solche besonderen Vorkommnisse, will ich es mal nennen?
    Grötsch: Ja. Es gibt ein Gesetz, das ganz konkret regelt, über was das Parlamentarische Kontrollgremium informiert werden muss. In solchen Situationen wie in dieser sind wir natürlich auf die Einschätzungen der Spitze der jeweiligen Nachrichtendienste angewiesen, ob diese Situation jetzt schon so ist, ob der Sachverhalt schon einer ist, der nach dem Gesetz berichtet werden muss. Es ist ja mitnichten so, dass wir über jeden einzelnen Verdacht, den der MAD hat, informiert werden müssen. Inwiefern das der Fall war, werden wir auch in den nächsten Wochen zu klären haben.
    Barenberg: Wie gut ist eigentlich die Bundeswehr, ist auch der MAD aufgestellt, wenn er gar nicht mitbekommt, wenn ein offenkundig rechtsextremer Offizier mit völkischer Einstellung da unentdeckt bleibt?
    Grötsch: Das ist das, was wir auch kritisieren. Frau von der Leyen ist als Ministerin dafür zuständig, dass die Bundeswehr in all ihren Sparten so aufgestellt ist, dass sie ihrem Auftrag, so wie er gestellt ist, nachkommen kann. Offenbar gab es dort und gibt es dort ein Problem dahingehend, dass so ein Rechtsextremist, wie derjenige es war, entdeckt wird, und das ist es, was wir kritisieren.
    Barenberg: Der MAD ist ja quasi auf Hinweise über eine möglicherweise extremistische Einstellung aus der Truppe angewiesen. Kann das sein?
    Grötsch: Es muss auch in der Truppe eine Mentalität geben, wonach jemand, der eine extremistische Einstellung hat, egal welche extremistische Einstellung, dass derjenige dann auch den Vorgesetzten und letztendlich dann dem MAD bekannt wird, beziehungsweise dessen Einstellung.
    "Ein besonders sensibles Thema in diesen Zeiten"
    Barenberg: An welcher Stelle nach Ihrer Einschätzung heute haben denn die Kontrollmechanismen da versagt?
    Grötsch: Ich würde mal nach meiner heutigen Einschätzung sagen, an der Stelle, an der sich Franco A. entsprechend extremistisch geäußert hat, in Wort oder auch in Schrift. Es geht ja wohl auch noch um eine Arbeit, die er vor ein paar Jahren verfasst hat und deren Inhalt auch nicht dem MAD zur Kenntnis gelangt ist. An der Stelle, an der sich extremistisch geäußert wird, muss es denen bekannt werden, die dann für die Reaktion der Truppe darauf verantwortlich sind.
    Barenberg: Da gibt es ja einiges, was wir wissen, beispielsweise dass die Vorgesetzten den Fall als wenig dramatisch aufgefasst haben und dass auch ein Gutachten, das völkisches Gedankengut nachgewiesen hat, gar nicht als gravierend eingeschätzt wurde. Welches Verständnis von Fürsorge, welch seltsames Verständnis von Fürsorge steckt eigentlich dahinter?
    Grötsch: Das ist eine Mentalitätsfrage, würde ich sagen. Was man als extremistisch einschätzt und was nicht, das ist eine Mentalitätsfrage. Das ist auch eine Frage, welchen Blick man selbst auf die ganze Thematik hat, und da ist auch wieder Frau von der Leyen dafür zuständig, für eine Mentalität und für ein Klima in der Bundeswehr zu sorgen, dass gerade in diesem Bereich, gerade in diesen Zeiten, in denen sich auch unsere Gesellschaft dahingehend verändert hat, dass das ein besonders sensibles Thema ist.
    Barenberg: Nun hat die Verteidigungsministerin auch viel Kritik erfahren aus den Reihen der SPD. Wir haben gerade mit unserer Korrespondentin in Berlin ja auch noch mal darüber gesprochen, dass es neue Vorwürfe gibt. Aber was ist eigentlich falsch an der Linie, die Ursula von der Leyen vorgibt, null Toleranz für Extremismus und null Toleranz für Vertuschung?
    Grötsch: Wissen Sie, ich glaube, es geht in dem ganzen Sachverhalt nicht darum, wie sich Frau von der Leyen präsentiert, sondern es geht darum, in welchem Zustand die Bundeswehr ist und in welcher öffentlichen Wahrnehmung wir die Bundeswehr haben. Wir sind in einer Situation, in der wir die Bundeswehr, die vor Herausforderungen steht, wie es in den letzten Jahrzehnten vielleicht noch nie der Fall war, mit den ganzen Auslandseinsätzen, die die Bundeswehr zu bewältigen hat, dass sie bei möglichst guter Ausrüstung, möglichst guter personeller Ausstattung in Ruhe ihre Arbeit machen kann. Das ist aber im Moment nicht der Fall, weil ein Skandal den nächsten jagt, vom G36 bis zu sexuellen Missbrauchsvorwürfen und was es nicht noch alles gibt, und jetzt auch noch so ein Fall. Das rückt die Bundeswehr auch in ein Licht, in das sie nicht gehört.
    "Die Bundeswehr über einen Kamm geschert"
    Barenberg: Nun hat die SPD ja explizit Pauschalverdächtigungen kritisiert von Ursula von der Leyen. Aber was ist daran falsch, wenn sie sagt, dass es eben nicht um Einzelfälle geht, sondern um Fehlentscheidungen von Vorgesetzten und auch so etwas wie Haltung? Das haben Sie ja gerade selber gesagt.
    Grötsch: Das fällt ihr jetzt zu spät ein. Frau von der Leyen war vom ersten Tag an, an dem sie Verteidigungsministerin wurde, dafür zuständig, welche Haltung in der Bundeswehr herrscht. Und als Ministerin, als oberste Dienstherrin sozusagen, ist sie auch für das Klima und das Vertrauen in der Bundeswehr gegenüber ihrer Ministerin zuständig. Und mit so einer Aussage, wie sie sie getroffen hat, dass sie die Bundeswehr über einen Kamm schert, dass sie auf alle Bundeswehrsoldaten, auf die vielen tausend Soldaten, die ihren Dienst jeden Tag einwandfrei verrichten, mit dem rechten Zeigefinger zeigt, das halte ich für sehr verwerflich.
    Barenberg: … sagt der SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Grötsch: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.