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Extremismus
Dschihad-Pläne hinter Gittern

Entwickeln sich die deutschen Gefängnisse zur Brutstätte des Dschihads? Angeblich suchen Salafisten gezielt unter Häftlingen nach Rekruten für ihre Sache. Doch nicht jede Hinwendung zum Islam ist auch Anzeichen einer Radikalisierung.

Von Monika Konigorski | 08.10.2014
    Stacheldraht auf dem Gefängniszaun in der Dämmerung
    Stacheldraht auf einem Gefängniszaun (Foto: Torsten Dressler)
    22 Jahre alt war der junge Mann, als er aus Bayern nach Syrien ausreiste. Ein Deutscher mit Migrationshintergrund, die Eltern geschieden. Eine Berufsausbildung hatte er nicht. Er radikalisierte sich nicht durch Predigten in Moscheen oder über das Internet, sondern im Gefängnis. Markus Schäfert vom bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz:
    "Der junge Mann war wegen schwerer räuberischer Erpressung drei Jahr in Haft und in dieser Zeit wurde er dann von einem Mithäftling an den Salafismus herangeführt, nach seiner Haftentlassung hat er weiter Kontakt zu salafistischen Netzwerken in Bayern gesucht, er hat dann auch einschlägige Islam-Seminare besucht, salafistische Moscheen in Bayern aufgesucht, und er ist dort dann auch in den Einflussbereich von Predigern geraten, die ihn weiter radikalisiert haben. Und es war dann irgendwann für ihn der Zeitpunkt erreicht, wo er gesagt hat, ein Zusammenleben mit den sogenannten Kuffar, mit den Ungläubigen hier in Deutschland ist für ihn nicht mehr akzeptabel und er ist dann ausgereist nach Syrien in den Dschihad."
    Dem bayerischen Verfassungsschutz sind 40 Personen bekannt, die aus Bayern nach Syrien ausgereist sind oder eine Ausreise planen. Untersuchungen ihrer Lebensläufe, sagt Schäfert, hätten ergeben, dass nur ein kleiner Teil sich während der Haft radikalisierte.
    "Es gibt solche Personen, bei denen der Erstkontakt mit der salafistischen Szene in der Haftzeit erfolgt ist – das sind aber Ausnahmefälle, Einzelfälle, sowohl hier bei uns in Bayern als auch bundesweit."
    Das geht nach Angaben der "Berliner Morgenpost" auch aus der noch unveröffentlichten Studie des Bundesverfassungsschutzes zu den Lebensläufen der etwa 400 aus Deutschland ausgereisten Dschihadisten hervor.
    Salafismus als Orientierungshilfe
    In den vergangenen Monaten haben die Rekrutierungsaktionen islamistisch-salafistischer Extremisten in Gefängnissen stark zugenommen, erklärt dagegen Thomas Mücke. Er ist Geschäftsführer des Berliner Vereins "Violence Prevention Network". Das Präventions-Netzwerk bietet in Justizvollzugsanstalten in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg sogenannte De-Radikalisierungstrainings für islamistisch motivierte Straftäter an.
    Wie gefährlich Menschen sein können, die im Gefängnis zum extremistischen Islam finden, zeigt nicht zuletzt der Fall des mutmaßlichen Attentäters aus dem Jüdischen Museum in Brüssel. Der inzwischen angeklagte 29-jährige Franko-Algerier soll sich während mehrerer Haftstrafen radikalisiert haben, bevor er in den syrischen Dschihad reiste. Auch einer der Attentäter der Anschläge von Madrid im Jahr 2004 soll im Gefängnis den Kontakt zu Dschihadisten gefunden haben, ebenso Mohammed Mehra, der 23-jährige mutmaßliche Serienattentäter von Toulouse im Jahr 2011.
    "Im Zielspektrum von Salafisten sind in Haftanstalten vor allem junge Häftlinge, solche die sich schwertun im Gefängnis, die nach Halt suchen, die nach Anschluss suchen in der Haft und die einen Neustart wollen für ihr Leben."
    Der Salafismus biete den idealen ideologischen Überbau für einen solchen Neustart, erklärt Schäfert. Eindeutige Gebote und Verbote erleichterten die Orientierung in und nach der Haft. Auch das salafistische Selbstverständnis, der muslimischen Elite anzugehören, die über allen anderen Religionen und auch über allen anderen muslimischen Strömungen stehe, sei für Häftlinge attraktiv.
    Thomas Mücke vom Berliner Vereins "Violence Prevention Network" und der islamische Theologe und Islamwissenschaftler Süleyman Kücük aus Berlin erklären die Anfälligkeit von Häftlingen für den extremistischen Islam auch mit dem mangelnden religiösen Grundwissen vieler Inhaftierter. Kücük arbeitet als muslimischer Seelsorger in verschiedenen Berliner Vollzugsanstalten.
    "Es beginnt da, dass viele Inhaftierte in den Anstalten die Religion wieder für sich entdecken. Wenn der Insasse vorher in seinem Leben wenig mit der Religion zu tun hatte und dann später als Insasse mit bestimmten Menschen zusammenkommt, auch mit Insassen, die radikale Ideen haben, und dieser sich mit dem sozialisiert, dann entstehen natürlich automatisch auch solche Ideen, die weitergetragen werden an die Neuen, und der wieder als Multiplikator an andere."
    Der bayerische Verfassungsschutz kennt dschihadistische Handbücher, die empfehlen, Haftzeiten zur Rekrutierung von Mitgefangenen zu nutzen. Markus Schäfert warnt allerdings auch davor, jede Hinwendung zum Islam als Anzeichen einer Radikalisierung zu werten:
    "Deswegen muss man hier auch sensibel damit umgehen, es geht ja hier auch um das Grundrecht auf Religionsfreiheit. Und deswegen heißt das eben jetzt nicht, wenn man bei einem Häftling plötzlich einen Koran findet, dass er deswegen sofort ein Salafist sein muss."
    Das geschlossene Weltbild erschüttern
    Angela Wotzlaw leitet die Justizvollzugsanstalt Köln Ossendorf. Es ist die größte geschlossene Anstalt in Nordrhein Westfalen. Hier sitzen mehr als 900 Häftlinge aus ca. 35 Nationen ein. Angela Wotzlaw ist sich relativ sicher, dass es in ihrer Anstalt keine Aktivitäten islamistisch extremistischer Gruppierungen gibt.
    "Sie müssen so sehen: Schriftverkehr wird also überwacht, sodass wir also da wenn wir da Hinweise haben in den Briefen, dass wir das eventuell auch unterbinden können. Wir haben natürlich Gefangene vereinzelt, die auch diesen Richtungen angehören, diesen extremistischen, aber die würden auch abgesondert, die hätten also nicht die Möglichkeit auf die anderen einzuwirken. Wenn sie es sehr geschickt machen würden, wäre es theoretisch möglich, es ist aber meistens so, dass es sogar die anderen Gefangenen sind, die sagen: Da versucht einer Werbung zu machen, und unterbindet das, so dass wir dann auch relativ schnell einschreiten können."
    Markus Schäfert vom Bayerischen Verfassungsschutz ist da zurückhaltender. Er weist darauf hin, dass etwa auch Vorsicht geboten sei, wenn ein Gefangener Kontakt zum salafistischen Gefangenenhilfswerk Ansarul Aseer aufnehme. Diesen und ähnliche Hinweise gibt der Verfassungsschutz auch angehenden Justizbeamten in Schulungen mit auf den Weg. Zudem berate man Anstaltsleitungen bei der Unterbringung von radikalisierten Gefangenen.
    "Das kann bedeuten, dass man sie regelmäßig in eine andere JVA verlegt, so dass sie nur für eine relativ kurze Zeit dann auf ihre Mithäftlinge theoretisch einwirken könnten, und man so ausschließen kann, dass längerfristig hier eine Radikalisierung von Einzelpersonen dann erfolgt."
    Thomas Mücke vom "Violence Prevention Network" plädiert unterdessen auch für eine Zusammenarbeit mit muslimischen Theologen. Gemeinsam müsse man versuchen, das geschlossene Weltbild der jungen Männer zu erschüttern. Als der Berliner Theologe Süleyman Kücük von einem Häftling beispielsweise gefragt wurde, ob ein anderer Insasse gläubig oder ungläubig sei, horchte er auf.
    "Und daraufhin habe ich weniger mit der Frage gearbeitet als denn versucht zu verstehen, warum denn der Insasse so eine Frage stellt. Ich habe mich auch in solchen Positionen ganz klar positioniert. Das hat manchmal den Insassen nicht gefallen, ist mir erstmal wurscht, um das flapsig zu sagen - ich sehe da auch meine Rolle als ein Theologe ein gesundes Verständnis von der Religion eben, was Hände und Füße hat, was auf Fakten aufbaut, welches auf die normativen Quellen auch aufbaut, und wenn man so vorgeht, kann man auch eine gute Präventionsarbeit leisten."