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Extremismusforschung
Hauptsache Hass

Islamisten und Rechtsextreme sind zwei Seiten einer Medaille, sie spielten einander in die Hände, sagt die Terrorismusforscherin Julia Ebner. Beide wollten demokratische Gesellschaften destabilisieren und seien schon weit gekommen. Gibt es Gegenmittel?

Von Marie Wildermann | 20.06.2018
    Ein rechtsextremer Aufmarsch in Erfurt
    Rechtsextreme und Islamisten liefern sich gegenseitig Material für ihre Kampagnen, sagt Julia Ebner (imago/Ralph Peters)
    Um den Zusammenhang zwischen islamistischer und rechtsextremistischer Gewalt zu verdeutlichen, zeigt Julia Ebner zwei grafische Kurven. Eine zeigt die Entwicklung islamistischer Anschläge in den letzten Jahren, die andere rechtsextremistische Anschläge. Wenn eine Kurve ansteigt, steigt die zweite kurz darauf ebenfalls an. Die Daten stammen aus der Global Terrorism Database, die alle Terrorangriffe weltweit seit 1970 registriert und aus dem Combating Terrorism Center. Julia Ebner ist Extremismus- und Terrorismusforscherin beim Institute for Strategic Dialogue in London. Islamismus und Rechtsextremismus haben das gleiche Ziel, sagt sie:
    "Sie wollen beide die demokratischen Strukturen des Europas, so wie wir es kennen, destabilisieren, sie wollen beide eine strategische Polarisierung bewirken in der Gesellschaft, sei es durch Terroranschläge, sei es durch politische Kampagnen, also Hasskampagnen, Einschüchterungskampagnen. Sie versuchen beide, Sympathisanten natürlich vor allem aus dem Mainstream auf die eine oder andere Seite zu bringen. Und erzählen sehr oft die gleichen Geschichten, nämlich dass wir vor einem Krieg zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen stehen. Oder zwischen Kulturen, Rassen oder Religionen."
    "Eine Strategie der Polarisierung"
    Mit dem Ergebnis, dass beide Seiten sich in die Hände spielen und einander hochschaukeln. Der Gegner wird zitiert, seine Aussagen werden für die eigene Propaganda genutzt. Islamisten würden sehr genau die sozialen Medien der Rechtsextremisten beobachten und deren Hasskommentare für die eigene Argumentation nutzen.
    "In den verschlüsselten Kanälen und Privat-Chats von Sympathisanten habe ich immer wieder Statistiken zu muslimfeindlichen Angriffen gefunden, zu Hass-Kriminalität gegen Muslime, die sie verwendet haben, um zu zeigen: Das ist jetzt der Zeitpunkt, alle Muslime sollten sich jetzt dem IS anschließen und einen defensiven Dschihad gegen den gesamten Westen, der ja rassistisch und antimuslimisch ist, durchführen."
    Die brennenden Türme des World Trade Centers nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York
    Mit den Anschlägen des 11. September 2001 erlebte auch der Rechtsradikalismus eine Renaissance (imago/GranAngular)
    Und genauso würden Rechtsextremisten dschihadistische Anschläge für ihre Propaganda nutzen, um Sympathisanten zu gewinnen. Sogar die Terminologie der Dschihadisten wird übernommen, sagt Julia Ebner. Zum Beispiel nutze die verbotene Terrororganisation "National Action" in Großbritannien Begriffe wie "White Jihad" oder "Weiße Scharia" als Kampfbegriffe gegen den islamistischen Jihad und die islamistische Scharia, wobei Rechtsextreme grundsätzlich Islam und Islamismus gleichsetzten. Zu einer Renaissance des Rechtsradikalismus kam es nach dem 11. September 2001.
    "Und es wurde dann ja auch sehr bald, 2004, von al-Qaida ein Strategiehandbuch veröffentlicht, das gezeigt hat, dass dahinter auch eine sehr raffinierte, kalkulierte Strategie steckt der Polarisierung, der schrittweisen Destabilisierung von demokratischen Ländern im Westen, wo es zu einer Konfrontation, zu einer finalen Konfrontation zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen kommen soll."
    "Viele rechtsextreme Anschläge wurden verhindert"
    Diese Strategie sei aufgegangen, meint die Forscherin. Mit jedem neuen Anschlag seien sowohl anti-muslimische Hasspropaganda gewachsen als auch rechtsradikale Anschläge.
    "Und leider hat sich auf sehr vielen Ebenen diese Strategie auch in Wirklichkeit verwandelt, dass genau diese Effekte und diese sieben Phasen, die al-Qaida geplant hat, tatsächlich eingetroffen sind, dass es zu immer mehr Mobilisierung sowohl auf islamistischer als auch auf rechtsextremistischer Seite kommt und das vor allem durch die sozialen Medien angekurbelt wurde."
    Auf den Einwand, dass es nicht annähernd so viele Anschläge von rechtsextremer wie von islamistischer Seite gab, sagt Julia Ebner:
    "Insgesamt wurden viele rechtsextreme Anschläge, vor allem in Großbritannien, aber auch in Deutschland, verhindert in den letzten Jahren, was auch dazu geführt hat, dass in den Medien natürlich das Thema Islamismus oder dschihadistische Terroranschläge etwas präsenter waren. Auf der andern Seite habe ich mir die Online-Reaktionen auf rechtsextremer Seite auf dschihadistische Anschläge angesehen und da gab es sehr starke Anstiege in antimuslimischen Hasskommentaren, vor allem nach Nizza, vor allem nach natürlich den großen Terroranschlägen in Frankreich, aber auch in den USA. Und das auf weltweiter Ebene."
    Die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner analysiert Gemeinsamkeiten zwischen Islamisten und Rechtsextremen
    Die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner analysiert Gemeinsamkeiten zwischen Islamisten und Rechtsextremen (Julia Ebner)
    Dschihadisten würden die Entstehung populistischer Parteien und rechtskonservativer Regierungen begrüßen. Auch dass Trump in den USA die Wahlen gewonnen habe, sei in den sozialen Medien der Dschihadisten gefeiert worden. Weil es die demokratischen Gesellschaften spalte, den Hass auf Muslime nähre und Begründungen liefere für die These, dass die Gesellschaft Muslime im Grunde ausrotten wolle.
    Ebner trennt nicht scharf zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Auch AfD und Pegida verhandelt sie auf der Ebene der Rechtsextremen und begründet das damit, dass der Rechtspopulismus dem Rechtsextremismus den Weg ebne. Die AfD wollte sich auf Anfrage des Deutschlandfunks dazu nicht äußern.
    "Forscher, Journalisten, Aktivisten, Politiker - wir sind alle gefährdet"
    Für ihre Forschungen hat Julia Ebner mit Aussteigern gesprochen und undercover bei Islamisten und Rechtsextremisten recherchiert, unter anderem bei der English Defense League und Hizb ut-Tahrir. Auf die Frage, ob sie besonders gefährdet sei, sagt sie: nicht sie, sondern ihre ehemaligen Kollegen, die als Aussteiger bei einem islamismus-kritischen Institut arbeiten, hätten fast täglich Todesdrohungen von Dschihadisten bekommen.
    "Ich denke, dass mittlerweile Forscher, Journalisten, Aktivisten und Politiker, dass wir alle in gewisser Weise gefährdet sind oder sogar normale Nutzer der sozialen Medien, die sich vielleicht mal kritisch äußern."
    Die Forschungen über den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Islamismus hält sie für unverzichtbar. Sie möchte dazu beitragen, dass die demokratischen Gesellschaften zur politischen Vernunft zurückkehren und sich nicht von den Extremen steuern lassen. Sie plädiert dafür, gesellschaftliche und politische Resilienz zu schaffen, also eine innere Widerstandkraft zu entwickeln gegen diese Spaltungstendenz. Es gelte, das Spiel der Extremen zu durchschauen. Erst wenn die Gesellschaften das begriffen hätten, könnte die Gewaltspirale gestoppt werden.