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EZB-Gedenkstätte für deportierte Juden
Im Keller ging es um Leben und Tod

Im neuen EZB-Gebäude in Frankfurt wird täglich über Macht und Geld entschieden. Im denkmalgeschützten Keller, der in den neuen EZB-Komplex integriert wurde, ging es 1941 bis 1945 um Leben und Tod für Frankfurter Juden. Heute ist dort eine Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus eingerichtet.

Von Ludger Fittkau | 21.07.2016
    Ein Mann geht in Frankfurt am Main (Hessen) durch die Holocaust-Gedenkstätte im Keller der EZB.
    Von 1941 bis 1945 hatten die Nazis mehr als 10.000 Juden im Keller der ehemaligen Großmarkthalle versammelt. Die restaurierte Halle gehört heute zur EZB und ist Holocaust-Gedenkstätte. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    "Herzlich willkommen vor der Großmarkthalle beziehungsweise der Europäischen Zentralbank. Mein Name ist Katja Janitschek. Ich arbeite nicht für die EZB, sondern für das Jüdische Museum."
    Die junge Historikerin führt eine kleine Gruppe im Sicherheitsbereich der Europäischen Zentralbank über das Außengelände. Rundherum hohe Zäune, Betonsperren und Videokameras. Die Gruppe wird von einem extra abgestellten Sicherheitsmann nicht aus den Augen gelassen.
    Das Ziel sind Kellerräume, die nicht zum markanten EZB-Hochhausneubau gehören. Sondern zur bereits 1928 errichteten ehemaligen Großmarkthalle der Stadt. Sie ist denkmalgeschützt und wurde deshalb in den neuen EZB-Komplex integriert. Der Keller diente früher als Gemüselager, nach dem Einzug der Zentralbank im vergangenen Jahr wurde er zur Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus.
    Denn von hier aus wurden zwischen 1941 und 1945 rund 10.000 Frankfurter Juden von den Nazis deportiert. Katja Janitschek vom Jüdischen Museum der Stadt schildert bei der Führung, was geschah, als die Menschen hier zusammengetrieben wurden:
    "Man hat die Leute erst mal registriert, dann gab es eine körperliche Untersuchung der Menschen. Dann musste man dem Finanzamt eine Erklärung abgeben und als Letztes musste man das Ticket, die Fahrkarte in den Tod selbst bezahlen. Die hat 50 Reichsmark gekostet, die Reichsbahn war hier unten auch vertreten."
    Zusammengepfercht mit jeweils rund 1.000 Menschen in einer kleinen Lagerhalle mussten die Menschen die Nacht verbringen, bevor die Deportationszüge gen Osten losfuhren. Das Getto Lodz, Minsk, Majdanek, Izbica, Sobibor oder einfach "unbekannt" – so lauteten die Zielorte.
    Der Großmarktbetrieb über dem Keller wurde für die Transporte in den Tod nicht unterbrochen, das erklärt Historikern Katja Janitschek draußen vor dem Gebäude der EZB unweit der Stelle, wo die Deportationszüge abfuhren:
    "Die Großmarkthalle wurde vom Liegenschaftsamt an die Gestapo vermietet, das Liegenschaftsamt der Stadt Frankfurt hat damit Geld verdient. Und letztendlich ist es so, dass wenn so eine Deportation abgeschlossen war, der Keller wieder ganz normal für Obst- und Gemüselagerungen genutzt worden ist und der Marktbetrieb auch an Tagen, an denen Deportationen stattfanden, auch ganz normal weiterging. Es gibt sogar Augenzeugenberichte, die man mag es kaum so nennen, unten gearbeitet haben, dann oben in den Kantinen gegessen und mit ihren Taten angegeben haben."
    Auch heute gibt es über dem ehemaligen Deportationskeller wieder Kantinen. Dort essen die Zentralbank-Mitarbeiter. Doch manchmal hören sie auch Edith Erbrich zu. Sie ist eine der wenigen, die die Deportation aus dem EZB-Keller überlebt haben, berichtet EZB-Sprecher Stefan Ruhkamp:
    "Frau Erbrich ist Frankfurterin. Und sie ist als kleines Mädchen, als Siebenjährige, mit ihrer Familie, mit ihrem Vater und der Schwester von hier deportiert worden nach Theresienstadt. Wenige Monate vor Kriegsende. Die drei haben überlebt, der Großvater, der früher schon deportiert worden war, nicht. Und sie hat dann viele Jahre in Frankfurt gelebt, seitdem. Sie ist nach Frankfurt zurückgekehrt. Und sie hat uns besucht, schon mehrmals. Sie hat an der Eröffnung teilgenommen und dann ist sie wiedergekommen und hat erzählt vor einer größeren Gruppe von Beschäftigten hier. Das war ein sehr bewegender Moment."
    Gedenkstätten als Anstoß für die Auseinandersetzung
    Salomon Korn ist sehr bewusst, dass die letzten Zeitzeugen, die noch berichten können, bald nicht mehr da sein werden. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main hat deshalb durchaus die Hoffnung, dass Gedenkstätten wie der Deportationskeller in der EZB einen Anstoß für die Auseinandersetzung geben können. Salomon Korn beschreibt seine Empfindungen, nachdem er die Gedenkstätte zum ersten Mal sah:
    "Mich beschlich ein Gefühl der Einsamkeit. Dadurch, dass die Architekten darauf verzichtet haben, diesen Raum zu gestalten, ist es doch möglich nachzuempfinden, was diese Menschen ansatzweise gefühlt haben müssten, als sie hier in diese Räumlichkeiten geführt wurden. Das ist etwas, was man nicht nachvollziehen kann aber von dem man vielleicht eine entfernte Ahnung bekommt."
    Enorme Nachfrage nach Führungen
    Die Nachfrage nach Führungen in der Gedenkstätte ist enorm, versichert auch EZB-Mitarbeiter Gabriel Glöckler. Erst der Hochhaus-Neubau der Währungshüter auf dem Areal hat den Anstoß dafür gegeben, die Gedenkstätte in der Großmarkthalle einzurichten. Vorher hatte es nur eine kleine Gedenktafel an der Fassade gegeben:
    "Bevor wir überhaupt in die Großmarkthalle eingezogen sind und das Ganze Projekt hier verwirklicht haben, gab es bereits ein Übereinkommen zwischen dem damaligen Präsidenten Jean-Claude Trichet und dem damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, das es eine Gedenkstätte geben soll."
    Die mächtige Stahltür vor dem Deportationskeller öffnet sich aus Sicherheitsgründen jedoch nur, wenn Führungen rechtzeitig über das Jüdische Museum in Frankfurt am Main angemeldet werden.
    Bewegende Worte
    Doch ein Teil der neugestalteten Gedenkstätte ist jederzeit von außen zugänglich, erklärt Historikerin Katja Janitschek. Sie weist außerdem auf die Zitate hin, die an vielen Stellen im Keller und im Außenbereich in Boden und Wände gemeißelt sind. Sie stammen von Opfern, wie zum Beispiel von Ernst Ludwig Ostwald, dessen Vater einst als Verleger den Struwwelpeter herausgegeben hatte. An der Rampe der Halle wurde sein Satz "Ich weiß nicht was vor mir liegt, vielleicht ist das gut so" in den Boden eingelassen. Er stammt aus einem Brief, den Ostwald kurz vor seiner Deportation eilig an seine Freunde schreibt. Er wird sie nie wiedersehen:
    "Es ist so, dass er seine Freunde in diesem Brief verabschiedet, sagt dass er jetzt Zwangsarbeit leisten muss und das er zu müde war, um sich zu melden und jetzt auch keine Zeit mehr hätte und das er deswegen diesen Brief verfasst."
    Ernst Ludwig Ostwald wird kurze Zeit später im Alter von 19 Jahren im Konzentrationslager Majdanek ermordet, berichtet Katja Janitschek. Am Ende ihrer einstündigen Führung ist mancher einfach sprachlos.
    "Ja, ich fand das sehr bestürzend, sehr bedrückend, mehr möchte ich gar nicht dazu sagen!"