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EZB plant weniger Staatsanleihen-Käufe
"Sparer werden davon herzlich wenig spüren"

Die Europäische Zentralbank kauft ab Januar nur noch halb so viele Staatsanleihen von Eurostaaten auf wie bisher. Eine Wende in der Zinspolitik sei das aber noch nicht, sagte Carsten Brzeski, Chefvolkswirt an der ING Diba, im Dlf. Eine wirkliche Zinswende sei erst Anfang 2019 zu erwarten.

Carsten Brzeski im Gespräch mit Rainer Brandes | 26.10.2017
    Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING-DiBa (14.02.2014).
    ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski zu EZB-Entscheidung:"Das ist ein ganz langsamer Einstieg in den Ausstieg." (imago / Hoffmann)
    Rainer Brandes: Nur noch 30 Milliarden statt 60 Milliarden pro Monat – die Europäische Zentralbank kauft ab Januar nur noch halb so viele Staatsanleihen von Eurostaaten auf wie bisher. Das ist der Beginn der geldpolitischen Wende in Europa, Betonung auf "Beginn", denn wann die EZB ganz damit aufhört, bleibt offen. Und vor allem der Leitzins, der bleibt bei 0,0 Prozent.
    Fragt sich nur, ob auch wir Bürgerinnen und Bürger in Deutschland davon profitieren. Das kann ich jetzt Carsten Brzeski fragen. Er ist Chefvolkswirt an der ING Diba. Guten Abend!
    Carsten Brzeski: Guten Abend.
    Brandes: Herr Brzeski, die EZB kauft ab Januar nur noch halb so viele Staatsanleihen wie bisher. Der Leitzins aber bleibt auf 0,0 Prozent. Hat die Entscheidung überhaupt irgendwelche Auswirkungen auf mich als Sparer?
    Brzeski: Nein, erst mal überhaupt nicht, weil das nicht die große Zinswende ist, sondern das ist wirklich ein ganz sanfter, ein ganz langsamer Einstieg in den Ausstieg. Aber eine Zinswende, die werden wir wahrscheinlich erst Anfang 2019 sehen, und bis dahin werden Sie als Sparer, ich als Sparer, wir davon eigentlich herzlich wenig spüren.
    Brandes: Nun soll dieses Kaufprogramm ja noch bis mindestens nächsten September weitergehen, wenn auch halbiert. Ist die Angst vor den Reaktionen der Finanzmärkte wirklich berechtigt, dass man da so vorsichtig vorgehen muss?
    Brzeski: Ja, das muss man, denn es ist ja Geldpolitik häufig mehr Kunst als Wissenschaft oder Psychologie und nicht so sehr Wissenschaft. Man muss davor ein bisschen Angst haben, weil ja auch die Konjunktur im Augenblick in der Eurozone gut aussieht und stabil ist. Aber es gibt immer wieder Risiken und von daher ist die EZB und war sie gut beraten, das jetzt sehr vorsichtig zu gestalten, denn die größte Gefahr in den Finanzmärkten ist wahrscheinlich der Wechselkurs des Euros, der ja seit April schon mal stark gestiegen ist. Wenn jetzt die EZB zu schnell auf die Bremse getreten hätte mit der Geldpolitik, dann würde wahrscheinlich der Euro durchs Dach gehen. Mit einem stärkeren Euro bekommen wir weniger Exporte und straucheln und dadurch würde sich die europäische Konjunktur und würde sich die EZB damit eigentlich ins eigene Bein schießen, und das möchte sie nicht.
    "Wir sind halt noch nicht so weit wie die Amerikaner"
    Brandes: Aber andererseits hat ja zum Beispiel die US-Notenbank längst die Zinsen wieder angehoben. Warum kann das dann die Europäische Zentralbank nicht?
    Brzeski: Das ist eigentlich ganz einfach, denn letztendlich folgt die EZB ja auch der amerikanischen Fed so ein bisschen. Nur wir sind noch nicht so weit wie die Amerikaner. Der Konjunkturzyklus, wie es so schön heißt, einfach der Aufschwung, ist noch nicht so lange und noch nicht so stark, wie das in den USA der Fall ist. Man kann sagen, dass wir im Grunde genommen den USA etwa zwei Jahre hinterherlaufen, und wenn man das als Muster nimmt, dann ist es ganz logisch, dass es im Augenblick noch ein bisschen weitergehen wird und dass dann auch erst die erste Zinserhöhung wahrscheinlich erst zwei bis drei Jahre nach der ersten Zinserhöhung in den USA kommt.
    "Das ist natürlich immer der Blick in die Glaskugel"
    Brandes: Das heißt aber, für Anfang 2019 würden Sie dann damit rechnen?
    Brzeski: Das ist natürlich immer der Blick in die Glaskugel, muss man auch ganz ehrlich sagen. Das ist noch so weit hin, das kann niemand im Augenblick prognostizieren. Es sieht so aus, ja, wenn es alles so bleibt, dass die wirtschaftliche Lage sich weiter stabilisiert, wir noch ein bisschen mehr Wachstum bekommen, die Inflationsrate auch ganz langsam anzieht und all diese politischen Risiken, die ja weiterhin in Europa sind, Katalonien, italienische Wahlen und so weiter und so fort, wenn die keinen negativen Einfluss haben auf die Wirtschaft, dann gehe ich davon aus, dass die EZB wahrscheinlich erst im Dezember 2018 dann das Anleihen-Kaufprogramm wirklich beenden wird, und dann hätten wir Anfang 2019 die erste Leitzinserhöhung.
    "Der deutsche Staat kann im Augenblick Geld machen, indem er sich verschuldet"
    Brandes: Es ist ja so, dass die EZB gerade aus Deutschland stark kritisiert wird. Da fordern ja viele Ökonomen und auch Politiker sie auf, doch möglichst schnell die Zinswende einzuleiten. Kann es dann sein, wenn ich Ihnen so zuhöre, dass wir in Deutschland, weil es uns wirtschaftlich so gut geht, einfach nicht wahrnehmen, wie schlecht es doch noch um einige südeuropäische Länder in der Eurozone steht?
    Brzeski: Das ist eine Geschichte, dass wir das natürlich nicht wahrnehmen, dass wir so gerne im Augenblick auf die Seite der Insel der Glückseligkeit leben in Deutschland. Der andere Punkt, den wir häufig in Deutschland auch vergessen, ist, dass ja ein großer Teil des aktuellen Wachstums durch die EZB kommt. Denn wer profitiert im Augenblick am meisten von dieser Niedrigzinspolitik? Das sind wir in Deutschland. Gucken Sie sich an: Wir haben negative Zinsen auf deutsche Staatsanleihen.
    Der deutsche Staat kann im Augenblick Geld machen, indem er sich verschuldet. Gleichzeitig profitiert ein Exportweltmeister wie Deutschland von dem relativ schwachen Euro, der ohne die Geldpolitik der EZB viel stärker wäre. Wir müssen uns ein bisschen auch an die eigene Nase fassen in Deutschland, denn sicherlich ist der Aufschwung in Deutschland mittlerweile schon im neunten Jahr und die Stärke, die wir im Augenblick haben, kommt nicht nur durch irgendwelche Strukturreformen von vor 10, 15 Jahren, sondern kommt auch zum großen Teil durch die Geldpolitik der EZB.
    Brandes: Die Europäische Zentralbank kauft ab Januar nur noch halb so viele Staatsanleihen pro Monat wie bisher. Über die Auswirkungen habe ich mit Carsten Brzeski gesprochen, dem Chefvolkswirt der ING Diba. Wir haben das Gespräch am Abend aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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