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EZB-Politik
"Die Risiken werden wieder stärker"

Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) hat die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisiert. Sie "kommt nicht mehr zum Ergebnis", sagte Söder im Deutschlandfunk. Der Reformdruck auf die Staaten sinke. Die EZB beschwöre dieselben Risiken, "die uns schon einmal in extremste Turbulenzen gebracht haben".

Markus Söder im Gespräch mit Dirk Müller | 22.01.2015
    Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU).
    Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU). (imago / Schreyer)
    Die geplanten Staatsanleihenkäufe von EZB-Präsident Mario Draghi seien eher "Medikamente mit gefährlicher Nebenwirkung als eine ernsthafte Therapie", sagte Söder im DLF. "Ein unbegrenzter Ankauf von Staatsanleihen lässt das ganze System ins Wanken bringen."
    Die EZB-Politik habe eine gefährliche Wirkung, sagte Söder. "Jetzt erneut einzusteigen in ein 500-Milliarden-Karussell, billiges Geld auf den Markt zu schmeißen, führt ja nicht dazu, dass der Reformdruck schneller wird, besser wird, dass mehr geleistet wird, sondern dass eher nachgelassen wird", sagte der Finanzminister. "Ein Nachlassen der Reformen wird von den Märkten am Ende negativ goutiert." Eine Staatenfinanzierung gehöre nicht zum Mandat der Zentralbank. In den Staaten seien weitere Reformen nötig, der Druck auf die Regierungen müsse erhöht werden. "Es hat ja keinen Sinn, wenn Du zwei Eimer Wasser ausgießt auf den Boden, wenn der Boden nicht bereitet ist, damit was wachsen kann."
    Söder sagte, deutsche Sparer seien schon mit Niedrigzinsen belastet. "Weil die Niedrigzinsen nicht mehr funktionieren, kommt jetzt zusätzlich noch die Möglichkeit, Ramschanleihen oder zumindest wertlosere Anleihen zu kaufen zu einem überhöhten Preis, der auch wiederum nichts anderes bedeutet, als dass sich Haftungsrisiken erhöhen ohne wirtschaftliche Effekte." Niedrigzinsen "führen dazu, dass die Risiken wieder stärker werden, die einmal zu der Finanzkrise geführt haben".

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: "Typisch Italiener", raunen schon die traditionsbewussten Finanzpolitiker in Berlin und anderswo hinter vorgehaltener Hand. Es ist wieder einmal Mario Draghi, der Ärger macht, nicht nur für viele in Berlin, sondern auch für zahlreiche Bundesbanker zum Beispiel in Frankfurt. Der Chef der EZB will Hunderte Milliarden ausgeben, um die europäische Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, um eine höhere Inflation zu erreichen, um Unternehmen zu bewegen, endlich wieder mehr Geld zu investieren. So schön, so gut! Das Problem dabei: Mario Draghi will dies erreichen, indem die Zentralbank Staatsanleihen aufkauft, auch Anleihen von Ländern, die ihr Geld vielleicht gar nicht wert sind. Für die Kritiker an den Plänen steht ein Schlagwort Pate: Unerlaubte Staatsfinanzierung.
    Unser Thema jetzt auch mit dem bayerischen Finanzminister Markus Söder (CSU). Guten Morgen nach München!
    Markus Söder: Guten Morgen! Grüß Gott.
    Müller: Herr Söder, sind Sie Draghi-Fan?
    Söder: Es ist nicht eine Frage, ob ich ein Fan von Draghi bin oder nicht, sondern ob ich die Entscheidungen der EZB für richtig halte, und ich schließe mich dem Bundesbankpräsidenten an. Am Ende hat das mehr gefährliche Wirkungen, denn die entscheidende Herausforderung ist doch, dass wir in Europa, in der Euro-Zone weitere Reformen in den Staaten brauchen. Und die Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, führen in erster Linie dazu, dass der Reformdruck nachlässt, die Staaten sich günstig refinanzieren können, obwohl die Substanz dafür nicht da ist, und damit ist die Wirkung genau die gegenteilige: Es wird eher schwächer für die Wirtschaft werden.
    Müller: Sie würden alles so lassen wie es ist?
    Söder: Ich würde eher dafür sorgen, dass in den Staaten selber die Reformen weiter angekurbelt werden. Es hat doch keinen Sinn, wenn Du zwei Eimer Wasser ausgießt auf den Boden, wenn der Boden nicht bereitet ist, damit was wachsen kann, und es hat auch keinen Sinn, die Geschwindigkeit zu erhöhen wenn die Richtung, die falsche ist. Die EZB-Politik kommt nicht mehr zum Ergebnis. Niedrigzinsen und Staatsanleihenkäufe, die sind der falsche Weg.
    Müller: Aber wer macht das denn, wenn Sie das fordern? Das fordern ja viele, den Reformdruck aufrecht zu erhalten, gerade auch im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen in Griechenland, die dieses Wochenende anstehen. Warum ist die Politik nicht stark genug, das durchzusetzen?
    Söder: Die Politik ist ja stark genug. Aber wenn die Europäische Zentralbank diesen Weg geht, dann verführt sie sozusagen oder verleitet oder gibt die Möglichkeit, dass genau diese falsche Richtung weiter betrieben wird. Man darf ja nicht vergessen: Das kann ja auch dann dazu führen, dass quasi deutsche Notenbanken indirekt portugiesische Staatsanleihen kaufen müssen, oder andere Staatsanleihen, die weniger wert sind, und damit der deutsche Steuerzahler zusätzlich haftet. Wir sind hier mit den Niedrigzinsen schon so belastet, die deutschen Sparer, die die gesamte Finanzierung dabei tragen, obwohl die Niedrigzinsen ja nicht funktionieren. Es wurde ja versprochen, mit den Niedrigzinsen kurbeln wir die Wirtschaft an. Außer dass sie die Sparer belasten, ist wenig passiert. Weil die Niedrigzinsen nicht mehr funktionieren, kommt jetzt zusätzlich noch die Möglichkeit, Ramsch-Anleihen oder zumindest wertlosere Anleihen zu kaufen, zu einem überhöhten Preis, der auch wiederum nichts anderes bedeutet, als dass sich Haftungsrisiken erhöhen ohne wirtschaftliche Effekte.
    "Man müsste zumindest noch mehr Sicherheitsrisiken einbauen"
    Müller: Für Sie ausgemachte Sache, dass jetzt Schrottpapiere aus Südeuropa auf den Markt kommen?
    Söder: Na ja. Wenn Papiere, wie es ja in dem vorigen Beitrag schon angemahnt wurde, wenn Papiere zu einem weniger hohen Wert, den sie eigentlich haben, auf den Markt kommen, dann aber überhöht bezahlt werden, dann ist das natürlich ein Missverhältnis, ökonomisch nicht sinnvoll und führt dazu, dass die Staaten billiges Geld zwar bekommen, aber das nützt ihnen letztlich nichts, weil ein Investment dort eh nicht funktioniert ohne Reformen, so wie es in Deutschland übrigens auch war. Die damalige Prozessagenda 2010 hat erst dazu geführt, dass Investitionen dann rentierlich wurden.
    Müller: Ich möchte das so Sie noch mal klar fragen, Herr Söder. Sie haben es zwar schon indirekt beantwortet. Für Sie ist das ganz klar: Mario Draghi macht mit großer Wahrscheinlichkeit heute einen folgenschweren Fehler?
    Söder: Ich glaube, dass das eine falsche Entscheidung ist, in der Tat, und ich schließe mich denen an, die warnen. Man müsste zumindest noch mehr Sicherheitselemente einbauen, zum Beispiel eine begrenzte Zeit. Denn für Deflation übrigens sehe ich auch zu keinem Zeitpunkt die Gefahr. Man müsste sagen, was weiß ich, drei, vier, fünf Monate maximal. Aber ein unbegrenzter, unlimitierter Ankauf von Staatsanleihen, der lässt letztlich das gesamte System ins Wanken bringen und wird am Ende nicht dazu führen, dass deutsche Steuerzahler entlastet, sondern eher belastet und die Wirtschaft in Südeuropa deswegen nicht anspringen wird.
    Müller: Wir kennen die Details ja noch nicht genau. Sie sagen, es muss irgendwie begrenzt werden. Medien berichten heute Morgen, dass es um 50 Milliarden Euro pro Monat geht im Schnitt, und insgesamt sollen es 500 Milliarden sein. Das wäre ja begrenzt.
    Söder: Ja, 500 Milliarden. Um welche Beträge es sich hier handelt! Man muss auch mal überlegen, dass es das Wichtigere wäre, jetzt nicht einfach billiges Geld wieder erneut auf den Markt versuchen zu schmeißen, sondern endlich hart arbeiten dafür. Ich glaube, dass das ganze Programm in die falsche Richtung geht, zur falschen Zeit, und eher, wie es angesprochen wurde, Medikamente sind mit gefährlichen Nebenwirkungen als eine ernsthafte Tat.
    Müller: Bereuen Sie jetzt, dass Mario Draghi als Chef der EZB unabhängig ist?
    Söder: Das Problem ist, dass möglicherweise diese Unabhängigkeit, die wichtig ist, dass die gerade deswegen überschritten wird, weil das eigentlich nicht mehr vom Mandat gedeckt ist. Die EZB sollte eigentlich eine europäische Bundesbank sein und keine Federal Reserve Bank auf deutschem Boden.
    Müller: Das müssen Sie uns aber noch mal erklären. Das heißt, er ist noch unabhängig, oder nicht mehr wirklich unabhängig?
    Söder: Die Europäische Zentralbank handelt unabhängig im Rahmen ihres Mandats. Das was sie jetzt macht, eine Staatenfinanzierung zu betreiben, gehört aber nicht mehr zu ihrem Mandat.
    Söder: Mit Anleihekäufen überschreitet die EZB ihr Mandat
    Müller: Die europäischen Richter sehen das offenbar anders.
    Söder: Das ändert nichts daran, dass man - ob sie das wirklich so anders sehen, weiß man nicht. Es sind ja erst diesen Anwaltschaften Vorträge gemacht worden. Aber es gibt sehr, sehr viele kluge und gewichtige Stimmen, viele Volkswirte, gerade in Deutschland ist die Stimmung da relativ eindeutig, wenn man die Bundesbank beispielsweise ansieht, die sehen das anders.
    Müller: Dann ist das definitiv ein Nachteil, dass Mario Draghi jetzt diese Kompetenz hat, über 500 Milliarden Euro zu entscheiden?
    Söder: Die Frage ist ja nicht, ob die Kompetenz an der Stelle richtig ist, oder ob er die hat, sondern die Frage ist, ob die Entscheidung im Rahmen der Möglichkeiten ist, die ursprünglich der EZB gegeben wurden. Da, bin ich der festen Überzeugung, wird das Mandat jetzt so ausgedehnt, dass es am Ende überschritten wird.
    Müller: Und damit würden die Deutschen auch niemals wieder Mario Draghi noch ein Mandat geben?
    Söder: Ja das ist jetzt eine Kindergarten-Diskussion zu sagen, würde, hätte, könnte, sollte, sondern es geht um die heutige Entscheidung. Die EZB hat ja vor zwei Jahren in der Tat einen wichtigen Beitrag geliefert. Sie hat den Staaten Zeit verschafft, um Reformen zu machen. Jetzt stellt sich aber offenkundig heraus, dass diese Reformen offensichtlich nicht gemacht werden. Jetzt dann erneut einzusteigen in ein 500-Milliarden-Karussell, billiges Geld auf den Markt zu schmeißen, führt ja nicht dazu, dass der Reformdruck besser wird, schneller wird, dass mehr geleistet wird, sondern dass eher nachgelassen wird. Und ein Nachlassen dieser Reformen, das wird am Ende von den Märkten auch negativ goutiert.
    Müller: Und die Banken profitieren?
    Söder: Profitieren tun zunächst mal die Staaten. Die Staaten profitieren davon, denn sie können sich damit besser refinanzieren. Sie haben mehr Möglichkeiten, Geld aufzunehmen. Das heißt aber umgekehrt auch, dass sie weniger tun werden, um ihre Haushalte in Ordnung zu bringen, und auch weniger schwierige Reformen im eigenen Land, die zwar am Anfang schwierig, am Ende aber ökonomisch erfolgreich sind.
    Müller: Aber die Banken kommen auch wieder in den Wirtschaftskreislauf zurück, können beispielsweise - das ist ja ein Argument der Befürworter - wieder viel mehr Kredite ohne Probleme vergeben, die auch noch billig sind.
    Söder: Ja, das könnte ein Argument sein. Allerdings wenn man sieht, dass die bisherige Politik mit niedrigen Zinsen, mit extrem niedrigen Zinsen nicht dazu geführt hat, dass mehr normale Wirtschaftskredite vergeben werden, sondern dass umgekehrt wieder sehr risikoreiche Investitionen an den Finanzmärkten anspringen - das ist der Effekt, weil es liegt in der DNA des Geldes, sich stärker vermehren zu wollen -, also wenn die normalen rentierlichen Wirtschaftsinvestitionen sich wegen dieser Zinsen nicht lohnen, dann geht man wieder in riskante Finanzmarktrisiken. Am Ende wird zwar gut gemeint, aber dieselben Risiken beschworen, die uns schon einmal in extremste Turbolenzen gebracht haben.
    Müller: Aber, Herr Söder, sie sagen jetzt häufig ja auch, die Niedrigzinspolitik hat nichts gebracht. Das haben Sie bei uns auch im Deutschlandfunk gesagt. Für Sie als Finanzpolitiker, auch für Wolfgang Schäuble als Bundesfinanzminister ist das doch traumhaft. Sie bekommen ganz billig Geld.
    Söder: Für den bayerischen Finanzminister ist das nicht das Problem, weil der macht keine Schulden, der baut Schulden ab. Für mich sind Niedrigzinsen nicht entscheidend. Ich finde Niedrigzinsen eine Katastrophe, weil damit die deutschen Sparer und damit die deutsche Stabilitätskultur belastet wird. Ich finde Niedrigzinsen keine Lösung und sie bringen auch am Ende genau das Negative. Sie führen dazu, dass die Risiken auf den Märkten wieder stärker werden, die einmal zu der Finanzkrise geführt haben. Ich kann an der Niedrigzinspolitik der EZB keinen wirklich guten Effekt auf Dauer erkennen.
    "Das einzige was hilft, sind Reformen, Reformen, Reformen"
    Müller: Jetzt sagt ja Jens Weidmann, Sie haben das auch gesagt, Sie sehen diese Deflationsgefahr nicht, also sinkende Preise. Dabei ist die Inflation gerade mal noch 0,2 Prozent. Da ist man doch ziemlich nahe dran an der Null oder an der minus 0,1.
    Söder: Es gibt aber keinen ernsthaft, der eine Deflation befürchtet, zum einen. Zum anderen haben wir ja auch die Inflation. Man darf das nicht vergessen. Inflation ist ja nicht per se etwas Gutes. Ganz im Gegenteil! Verteuerung, Geldschwierigkeit ist ja nichts, was auch die Sparer, was die Menschen in Deutschland wirklich gut finden. Insofern: Da wird hier versucht zu sagen, Inflation sei was Tolles. Helmut Schmidt hat ja mal gesagt, lieber fünf Prozent mehr Inflation als fünf Prozent mehr Arbeitslosigkeit. Das war einer der wenigen großen ökonomischen Fehlaussagen, die Helmut Schmidt damals traf. Also ich sehe: A, das Gespenst der Deflation nicht und B, sehe ich auch keine echte heilwirksame Situation durch die Inflation. Das Einzige was hilft sind Reformen, Reformen, Reformen.
    Müller: Das ist die Aufgabe der Politik. Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe und verstanden habe, ist es so: Die EZB ist mit ihrer Geldpolitik, mit den geldpolitischen Instrumenten, die zur Verfügung stehen, am Ende?
    Söder: Die Strategie, die sie hat, in der Tat, die führt nicht mehr sehr viel weiter. Man versucht, das Rad noch eine Runde zu drehen, die Geschwindigkeit noch etwas zu erhöhen, aber das hat alles keinen großen Effekt, wenn in den Staaten sich nichts verändert, wenn Frankreich und Italien nicht ihre Reformen stärker voranbringen, wenn in den südeuropäischen Ländern der Reformprozess, der ja schon gut funktioniert hat - es ist ja nicht so, dass da nichts passiert ist, aber der muss fortgesetzt werden. Man kann da nicht mittendrin aufhören. Die Anleihenpolitik führt einfach dazu, dass etwas Druck von diesem Reformprozess genommen wird und damit am Ende möglicherweise der Effekt deutlich geringer ist.
    Müller: Jetzt warten wir alle noch auf den Satz der Kanzlerin, die da sagt, das ist alles Murks, was Mario Draghi jetzt machen will.
    Söder: Ich finde es zumindest gut, dass man aus der Bundesregierung mehr Rückendeckung für Weidmann, deutlich mehr Kritik an dem Kurs spürt. Ich glaube, das ist notwendig. Wir brauchen keine deutsche Dominanz, wir brauchen kein deutsches Oberlehrertum, aber schon eine klare Politik, denn Deutschland ist das Land, das die größten Haftungsrisiken übernimmt und das der Währungsanker schlechthin ist in Europa. Insofern haben wir auch die Aufgabe, da den Finger in die Wunde zu legen.
    Müller: Aber den klaren Satz von Angela Merkel haben wir noch nicht gehört.
    Söder: Für Angela Merkel, was man so hört, auch für die Bundesregierung, insbesondere Wolfgang Schäuble, hat man schon sehr mahnende Worte gehört. Ich halte das für sehr wichtig und richtig.
    Müller: Bei uns heute Morgen der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU). Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
    Söder: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.