Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Ezra Furman
"Im Judentum ging es oft um Rebellion"

Der 29-jährige Songwriter Ezra Furman aus Chicago hat ein abwechslungsreiches Album des Indie-Gitarrenrocks vorgelegt: "Perpetual Motion People". Mit dem Titel verbindet Furman gleich drei Bedeutungen. Neben der Heimatlosigkeit und der ewigen Bewegung, geht es für ihn auch um das Judentum.

Von Bernd Lechler | 27.06.2015
    Ein Davidstern über einer Synagoge
    Der Indierock-Songwriter Ezra Furman ist praktizierender Jude, am Sabbat gibt es keine Konzerte. (Picture Alliance / dpa / Jan Woitas)
    "Dieses Album ist für Leute, die sich nicht zu Hause fühlen auf der Welt. Leute wie mich, die keinen Ort haben, wo sie bleiben können und sagen: Hier gehöre ich her."
    "Restless Year", rastloses Jahr, heißt der rastlose erste Song auf "Perpetual Motion People". Dass die ewige Bewegung im Albumtitel erstens eine innere Heimatlosigkeit beschreibt, hat Ezra Furman gerade erklärt. Zweitens seien er und seine Band natürlich sowieso "Perpetual Motion People": Musiker eben, ständig auf Tour. Ist das dann die perfekte Lebensform für Heimatlose? Dämliche Frage.
    "Nein! Überhaupt nicht! Nach zwei, drei Wochen dreh ich jedes mal durch. Ich kriege Angstzustände und verliere den Kontakt zu mir selbst. Vor allem weil man nie allein sein kann. Das macht mich ein bisschen verrückt."
    Mit dem neuen Album muss er wieder da durch, durch den Tourwahnsinn - zum Glück für Konzertgänger, denn auf der Bühne rockt Ezra Furman halb euphorisch, halb hysterisch mit einer entfesselten Punkrock-Vehemenz, der allerdings jegliche Breitbeinigkeit abgeht: Nicht nur ist Ezra ein eher zarter Kerl. Er trägt auch ein schwarzes Minikleid. Und roten Lippenstift. Heute auch auf der Straße (und zum Interview), auf der Bühne schon länger.
    "Es hilft, wenn man sich sagen kann: ‚Ich bin ja ein Performer, ich darf mich anders anziehen.' Denn man kriegt schon Angst, wenn man der Welt durch seine Kleidung zeigt, dass man seine Männlichkeit nicht auf die erwartete Weise auslebt. Meine Sorge ist, dass es für ein Gimmick gehalten wird, mit dem ich nur auffallen will. Denn das ist es nicht. Diese Weiblichkeit zu zeigen ist für mich Teil einer langsamen Befreiung. Von einer Angst, die mich mein Leben lang begleitet hat."
    Dass er das kleine Schwarze diesmal auch deutlich sichtbar auf dem Albumcover trägt, ist das auch ein politisches Statement?
    Die Gender-Uneindeutigkeit ist wichtig
    "Ich will auf jeden Fall als Beispiel für einen nicht-gender-konformen Menschen zur Verfügung stehen, dem's damit gut geht. Den Leuten, denen so ein Beispiel sonst fehlt. Ich wünschte, ich hätte früher eines gehabt."
    "Body Was Made" ist Ezra Furmans Song zur selbstbewussten Gender-Uneindeutigkeit. Aber auch an anderen Stellen beschwört er den Mut zum Ausscheren - und verbindet musikalisch die erwähnte Punk-Mentalität mit bestechend präzisem Songwriting - und mit einer Liebe zu den 50er Jahren: Ezra Furman macht viel aus den drei Ur-Akkorden (in Dur, dafür schwer verzerrt), hat tatsächlich einen Saxophonisten in der Band, kann klug über die lyrisch-rhythmischen Finessen von Chuck Berry referieren, und seine Songs sind durchzogen von jeder Menge Shoo-be-doos und Sha-la-las.
    "Mein absoluter Lieblingsklang ist der einer tiefen menschlichen Stimme. Vielleicht weil ich selber so ein nasales, höheres Timbre habe? Jedenfalls bin ich besessen von Doo-Wop."
    "Perpetual Motion People" ist ein beeindruckend abwechslungsreiches Album von großer Intensität, das meilenweit aus dem etwas müde gewordenen Indie-Gitarrenrock herausragt - dank geschliffener Songs mit einer trotzdem schnoddrigen Do-It-Yourself-Mentalität und dem exzentrischen Außenseitertum ihres Schöpfers. Ezra Furman: Punk und Doo-Wopper und Singer-Songwriter, sowie - und damit wären wir bei der dritten Bedeutung des Albumtitels von den sich immer in Bewegung befindlichen Heimatlosen: religiöser Jude. Der dreimal am Tag betet und am Sabbat nicht auftritt. Ist das nicht ein Dauerkonflikt - die Regeln der Religion und der Rock & Roll?
    "Ich hab meine Konflikte eher im weltlichen Bereich als mit dem Judentum. Das für mich mit all seiner Transzendenz und Widersprüchlichkeit viel mit dem Künstler-Sein zu tun hat - da gilt auch: Was ich tue, folgt anderen Regeln und ist nicht immer erklärbar. Im Judentum ging es oft um Rebellion. Gegen Hierarchien, Könige. Es ist eine ständige Unabhängigkeitserklärung: von Machtstrukturen, die uns egal sind!"