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Fabius nennt deutsch-französisches Verhältnis "rundweg gut"

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich sei sowohl leichter als auch komplizierter geworden, meint der französische Außenminister Laurent Fabius. Als gleichberechtigte Partner seien beide Länder getragen von der Grundüberzeugung, dass Europa die Zukunft sei - wenngleich Fabius in der gemeinsamen Verteidigungspolitik noch Optimierungsbedarf sieht.

Das Gespräch führte Christiane Kaess | 22.01.2013
    Christiane Kaess: Mit dem Élysée-Vertrag hatten der damalige Bundeskanzler Adenauer und Frankreichs damaliger Präsident de Gaulle am 22. Januar 1963 eine historische Annäherung beider Länder eingeleitet. Die Erbfeindschaft wurde nach mehreren Kriegen begraben. Heute geht es im deutsch-französischen Verhältnis um ganz andere Herausforderungen, wie um die europäische Finanz- und Schuldenkrise, oder internationale Auslandseinsätze wie gerade im Fall Mali. Vor der Sendung habe ich mit dem französischen Außenminister Laurent Fabius von der sozialistischen Regierung unter Präsident Francois Hollande gesprochen. Ich habe ihn zuerst gefragt, ob die deutsch-französischen Beziehungen heute einfacher oder komplexer geworden sind.

    Laurent Fabius: Beides! Es ist sowohl leichter wie auch komplizierter geworden. Wenn wir uns an die Zeit von vor 50 Jahren erinnern, da brauchte es doch erhebliche Kühnheit, sowohl beim Bundeskanzler wie auch bei General de Gaulle, diesen Wurf zu wagen, zwei Länder zusammenzuführen, die noch vorher Krieg gegeneinander geführt hatten, nicht nur den Frieden zu bewirken, sondern die beiden Länder auch ins Zentrum des europäischen Hauses zu rücken. In dieser Hinsicht ist heute keinerlei Risiko mehr festzustellen, es besteht keinerlei Kriegsgefahr, und insofern ist es einfacher.

    Kaess: Und warum ist das Verhältnis komplexer geworden?

    Fabius: Nun, weil das Feld sich erheblich erweitert hat. Unsere Zusammenarbeit durchzieht alle Bereiche. Wir haben Tag um Tag Fragen mit unseren deutschen Freunden zu besprechen. Nehmen wir den Bereich der Wirtschaft: Oft haben wir da ganz ähnliche Ansichten, manchmal unterscheiden sie sich. Wir erarbeiten gemeinsam Analysen der internationalen Lage, wir erörtern Fragen der inneren Sicherheit, der Immigration, wir besprechen soziale Anliegen. Das heißt, es gibt eine Fülle an Fragen, wo wir, Franzosen und Deutsche, gemeinsam den Erfolg wollen und anstreben. Was ich mir für diesen 50. Jahrestag wünsche ist, dass Deutsche und Franzosen die Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen. Ich wünsche mir also, dass dieses Jubiläum wirklich ganz im Zeichen der Zukunftssicherung steht. Das ist das Wesentliche!

    Kaess: Es scheint, momentan dennoch einiges an Uneinigkeit zu geben zwischen Frankreich und Deutschland. Wenn wir die aktuelle Situation in Mali nehmen: Frankreich hat dort militärisch mit Kampftruppen interveniert, aber Deutschland bleibt auf Abstand.

    Fabius: Ja, wir haben eine ganze Reihe von Themen, die wir in vollständigem Einklang sehen und abarbeiten. Das sehe ich auch in der Zusammenarbeit mit meinem Amtskollegen Westerwelle Tag um Tag. Nehmen wir aber nun diesen Fall Mali: Es gab eine Resolution im Dezember seitens des UNO-Sicherheitsrates, über die auch vollständige Einigkeit weltweit bestand, und dieser gemeinsame Beschluss sah eben drei Ebenen des Handelns vor. Erstens, dass es darum gehe, im Land Mali selbst den Norden stärker einzubeziehen, denn er war an den Rand gedrängt und benachteiligt worden. Zweitens waren wir uns einig, dass Mali wirtschaftliche Entwicklung brauchte, da es, wie alle Länder des Sahel, ein armes Land ist. Drittens gab es, wie wir uns einig waren, eine militärische Herausforderung, denn im Norden des Landes waren Terroristen eingesickert und hatten einen Teil des Gebietes unter ihre Kontrolle gebracht. Die galt es also zu vertreiben, darüber bestand Einigkeit, und dann würde auch der Zusammenhalt des Landes einschließlich des Nordens wieder hergestellt sein. Frankreich, Deutschland und alle europäischen Länder waren sich darüber vollständig einig.
    Nun ist aber etwas geschehen, dass die Terroristen, die im Norden schon eingesickert waren, es ausgenutzt haben, dass es eine gewisse Zeitverzögerung bei der Umsetzung dieser gemeinsamen Beschlüsse gab. Sie haben sich gegen die internationale Gemeinschaft gestellt und sind vom Norden, in dem sie bisher waren, in den Süden eingebrochen und haben versucht, die Hauptstadt Bamako zu erobern. Wenn Bamako erobert worden wäre, hätte das zu einem terroristischen Staatsaufbau in Mali geführt. Deshalb galt es, diesem Vorstoß zu begegnen, und das einzige Land, das die Fertigkeiten hatte, dies zu tun, waren eben die Franzosen. Wir wollen jetzt die afrikanischen Länder nach und nach mit einbeziehen.

    Kaess: Das ist ja alles bekannt. Aber es gibt Kritik in Frankreich vonseiten der Opposition. Zum Beispiel hat der konservative Abgeordnete Pierre Lellouche letzte Woche gefragt, wo bleibt Deutschland, und er hat festgestellt, seit einigen Jahren wird immer wieder dieser Kehrreim der deutsch-französischen Freundschaft wiederholt, aber in der Realität entfernt man sich immer weiter auseinander. Hat er nicht recht?

    Fabius: In der überwältigenden Mehrzahl aller Fragen herrscht vollständige Einigkeit zwischen uns in den verschiedensten internationalen Belangen. Was nun Mali angeht, so sahen wir uns genötigt, mit unserer Streitmacht einzugreifen, und wir haben das auch nicht umständlich beantragt, denn hier ging es wirklich um Leben oder Tod. Deutschland hat jedoch Hilfe angeboten, und diese Hilfe ist auch willkommen, durch Luftunterstützung, durch Transportleistungen. Das nehmen wir auch gerne an.

    Kaess: Und das reicht aus?

    Fabius: Was die Deutschen dann darüber hinaus leisten wollen, das liegt letztlich bei den deutschen Freunden selbst. Wir wollen uns ihren Entscheidungen nicht in den Weg stellen. Nehmen wir ein weiteres Problem: Nächste Woche wird es eine Konferenz über die Finanzierung dieser Militäraktionen geben, und hier gibt es ganz unterschiedliche Arten, Solidarität zu zeigen. Deutschland wird hier seinen Beitrag nach eigenem Ermessen leisten. Das ist ein Teil einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Wir haben bisher gewisse Grundbestandteile einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber wir sind noch nicht so weit, dass wir wirklich eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik betreiben.

    Kaess: Falls sich die Situation in Mali verschlimmert, wird Frankreich Deutschland um mehr Unterstützung bitten wie Kampftruppen?

    Fabius: Wir machen uns diese Hypothese nicht zueigen. Wofür wir uns entschieden haben, ist, dass Frankreich und Mali mit ihren Streitkräften an vorderster Stelle aktiv sind, dass aber nach und nach die afrikanischen Truppen hinzutreten. Das ist die Mission zur Unterstützung der Aktionen in Mali. Sie soll 5500 Mann umfassen und wird dann auch finanziert werden müssen. Die letzte Entscheidung liegt hier bei den Afrikanern, wie sie es anstellen, das Staatsgebiet wieder vollständig für Mali zurückzuerobern, und wir sind uns einig, dass Frankreich dabei eine unterstützende Rolle hat.

    Kaess: Es ist ja bekannt, dass die malischen Truppen genauso wie die der ECOWAS sehr schwach sind. Glauben Sie wirklich, dass diese allein gegen die islamistischen Rebellen kämpfen können?

    Fabius: Nun, wir haben uns einerseits entschieden, die Streitkräfte Malis in einem Notfallplan auszubilden.

    Kaess: Aber das wird dauern!

    Fabius: Ja, das wird einige Wochen dauern. Daneben haben wir die ECOWAS-Truppen oder die neuerdings CDAO genannten Truppen. Sie sind nicht so zahlenmäßig stark, aber es gibt da zum Beispiel auch tschadische Truppen. Diese Streitkräfte brauchen auch Unterstützung und Betreuung, und hier können tatsächlich die Franzosen helfen.

    Kaess: Herr Fabius, ein wichtiger Indikator für die deutsch-französischen Beziehungen war immer das Verhältnis zwischen dem französischen Präsidenten und dem deutschen Kanzler. Ist das Verhältnis zwischen Francois Hollande und Angela Merkel vergleichbar mit dem zwischen Merkel und Nicolas Sarkozy, die man das Paar Merkozy genannt hat?

    Fabius: Nun, was die Beziehungen zwischen der Vorgängerregierung und der deutschen Bundeskanzlerin angeht, so kann ich mich nicht zu einem Urteil hinreißen lassen. Wir waren ja damals in der Opposition, wir hatten keine Gestaltungsmacht in der europäischen Politik. Ich will mich da also eines Urteils enthalten. Ich hörte jedenfalls, dass die Beziehungen gut seien, auch wenn ich in der Zeitung entnehmen konnte, dass es da auch Höhen und Tiefen gab. Was aber die Beziehungen zwischen dem jetzigen Staatspräsidenten und Angela Merkel angeht, so weiß ich, dass sie gut sind, und sie sind getragen von dieser gemeinsamen Grundüberzeugung, dass Europa unsere Zukunft ist, und zu diesem Zweck brauchen wir starke, verlässliche und auch persönliche Beziehungen zwischen den Spitzenpolitikern. Sie sind also rundweg gut, diese Beziehungen, doch sind sie nicht ausschließend gegenüber anderen. Wir haben auch gute Beziehungen mit den italienischen, den spanischen und den belgischen Freunden.
    Zweitens: Diese Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland laufen auf Augenhöhe, zwischen gleichberechtigten Partnern. Sie sind getragen von wechselseitigem Respekt und der Einsicht, dass es niemandem zusteht, jemand anderem irgendwelche schulmeisterlichen Lehren zu erteilen, du musst das jetzt so machen. Nein, so geht es nicht. Sie sind jedenfalls sehr gut und dieser gute Zustand der Beziehungen freut mich.

    Kaess: Bei den Fragen zur Wirtschaft hatte man in den letzten Monaten den Eindruck, dass es eine Kluft gibt zwischen auf der einen Seite Frankreich, Italien und Spanien und auf der anderen Seite Deutschland und die eher nordeuropäischen Länder. Bestätigen Sie diese Tendenz?

    Fabius: Nein! Es hätte natürlich ein Risiko bestanden, aber dieses Risiko ist vermieden worden. Hollande und Frau Merkel haben wesentlich zu dieser Risikovermeidung beigetragen. Das Risiko hätte eben darin bestanden, dass manche Länder sich der Haushaltsdisziplin nicht unterworfen hätten und stattdessen Wachstum gefördert hätten, während andere Länder wiederum sich zu stark an Haushaltsregeln gehalten hätten, ohne dabei Wachstum noch zu fördern. Dieses Gefahrenpotenzial ist eingedämmt worden, insbesondere durch die klugen Entschlüsse, die im Juni 2012 getroffen worden sind und die dann in weiteren Entscheidungen fortgeführt worden sind. Worin besteht es nun? – Europa muss sozusagen auf zwei Beinen gehen. Das eine Bein ist eben eine vernünftige Haushaltspolitik, ohne die auch Wachstum nicht erzeugt werden kann. Das andere Bein ist eben die Förderung des Wachstums. Der Pakt vom Juni und die darauffolgenden Beschlüsse insbesondere zur Bankenaufsicht, ferner die Politik Herrn Draghis, haben dazu geführt, dass, wenn ich es in einem Bild sagen darf, der Vogel, der ja mit einem Flügel nicht fliegen kann, jetzt durchaus ein besseres Gleichgewicht findet.

    Kaess: ... , sagt der französische Außenminister Laurent Fabius im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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