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Fachkräftemangel
Junge Ungarn drängen ins Ausland

Ungarns Hoteliers schlagen Alarm: Ihnen gehen die Fachkräfte aus. Seit 2010 haben 600.000 Ungarn ihre Heimat verlassen. Besonders in den Ferienregionen ist dieser Exodus zu spüren. Mit einem Rückkehr-Programm will die nationalkonservative Regierung Abhilfe schaffen.

Von Stephan Ozsváth | 09.07.2014
    Segelboote auf dem Plattensee bei Budapest in Ungarn
    Besonders in Ungarns Ferienregionen fehlen Fachkräfte. (dpa / picture alliance / Bernd Thissen)
    34 Grad im Schatten – die Gäste kommen. Die Touristensaison am Balaton hat begonnen. Tausende planschen bereits im türkis-grünen Wasser. Géza Szabó Kerekes ist trotzdem unzufrieden. In Balatonboglár am Süd-Ufer des Sees hat er einen kleinen Souvenir-Laden, verkauft Postkarten und Bade-Zubehör:
    "Wir haben überall gesucht: in den Arbeitsvermittlungen, in den Schulen. Nirgendwo gibt es Schüler oder Studenten, die für uns arbeiten. Die jüngsten wiederum dürfen am Wochenende nicht arbeiten, die können wir nicht gebrauchen, da ist hier am meisten los."
    Auch die Hoteliers schlagen Alarm. Etwa Henrik Hoffmann. Der Ungarndeutsche betreibt drei Hotels, eines in Siófok am Südufer des Balaton. Es gebe zuwenig Fachkräfte und zuviele Diplomierte – fasst er zusammen. Auch unter den Auslandsungarn hat er schon Personal gesucht:
    "Wir haben versucht, Fachkräfte in Siebenbürgen zu finden. Wir beschäftigen zwischen 100 und 130 Leuten, davon sind gerade mal 10 Prozent aus dem Ausland. Wir brauchen Fachkräfte. Die Studenten beschäftigen wir im Frühstücksraum. Dort bestellen die Gäste wenig. Sie nehmen sich vom Buffet, und dann muss man nur noch abräumen. Dafür braucht man keine besonderen Kenntnisse."
    "Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander"
    Gesucht werden am Balaton vor allem Köche und Rezeptionisten, sagt Balázs Krancz, der in seinem Büro in Veszprém Studentenjobs vermittelt – bis zu 200 täglich. Fachkräfte sind auch deshalb schwer zu bekommen, sagt er, weil sie im Nachbarland Österreich ein Vielfaches verdienen, räumt er ein:
    "Dort verdient sogar ein Hilfsarbeiter mindestens 6 Euro die Stunde. Das ist viermal so viel wie hier. Wenn jemand hier gebunden ist und zwei, drei Monate freie Zeit im Sommer hat, wird er sich das zweimal überlegen: Wenn sich eine Möglichkeit auftut, geht der."
    Kein Wunder: Die Studentenjobs werden nur mit dem Minimal-Verdienst entlohnt – einem Stundenlohn von nicht mal zwei Euro. Ein Zimmermädchen verdient am Balaton – inklusive Trinkgeld – vielleicht 600 Euro im Monat. Ein Kellner etwa 1000 – bei bis zu 12 Stunden harter Arbeit. Diese junge Ungarin arbeitet deshalb lieber gleich in London. Da muss man auch hart arbeiten, aber kann auch was erreichen, sagt sie.
    600.000 Ungarn – zumeist junge – haben so wie sie ihre Heimat bereits verlassen – manch einer für immer. Es bleibt zu wenig im Geldbeutel übrig. Ungarn hat mit 27 Prozent die höchste Mehrwertsteuer aller 28 EU-Staaten – die zahlen alle. Aber: Die Einheitssteuer von 16 Prozent begünstigt eher die Vermögenden. Die Schere zwischen Reich und Arm klafft auch in Ungarn immer weiter auseinander.
    Auch diese junge Sonnen-Hungrige am Strand von Siófok hat sich schon entschieden: Sie will raus aus Ungarn. Auf jeden Fall gehen, sagt sie:
    "Hier kommen wir mit unserem Verdienst auf keinen grünen Zweig. Draußen aber können wir uns – wenn wir sparen – nach ein paar Jahren ein Auto oder eine kleine Wohnung leisten. Auf jeden Fall will ich weg. Sobald mein Freund sein Diplom hat, habe ich gesagt, hauen wir ab, wenigstens für ein paar Jahre."