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Fahrradgeschichte
Vom Statussymbol zum Gebrauchsgegenstand

Seit seiner Erfindung Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte das Fahrrad eine äußerst wechselvolle Geschichte. Vom Spielzeug der Superreichen bis hin zum massentauglichen Fortbewegungsmittel für alle. Das Hamburger Museum der Arbeit hat dem Fahrrad jetzt eine Ausstellung gewidmet.

Von Ursula Storost | 15.05.2014
    Eine Radfahrerin rollt am Montag (08.02.2010) auf dem Marbachweg in Frankfurt am Main an einem Schlagloch vorbei.
    Das Hamburger Museum der Arbeit erzählt die Geschichte des Fahrrades. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Wenn der Mensch etwas erfindet, tut er das aus einem Mangel heraus, behauptet der Politikwissenschaftler und Fahrradexperte Gunnar Fehlau.
    "Wir Menschen haben den aufrechten Gang erfunden, nicht weil wir Langeweile hatten, sondern weil wir einfach dort, wo wir waren, nicht mehr genug zu essen bekommen haben. Dann haben sich einfach Leute aufgerichtet, um in der Savanne über das hohe Gras kucken zu können. Und das waren die, von denen wir abstammen."
    Auch die Geschichte des Fahrrades beginnt mit einem Mangel. Verursacht durch den gigantischen Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora.
    "Der über ein, zwei Jahre auch die Klimabedingungen in Europa verändert hat, weil die Sonne verdunkelt worden ist, weil die Ernten ausfielen. Pferde sind deshalb geschlachtet worden, um den Ausfall der Ernte zu kompensieren."
    Die Jahre ohne Sommer, nannten die Menschen jene Zeit zwischen 1815 und 1817, so der Historiker Dr. Lars Amenda. Die Getreidepreise schnellten in die Höhe. Pferde konnten sich die meisten nicht mehr leisten. Ansporn für den Karlsruher Erfinder Karl Friedrich Freiherr Drais über ein Fahrzeug nachzudenken, das ohne Pferdekraft funktionierte. Drais konstruierte eine Laufmaschine, auch Draisine genannt. Das erste Fahrrad der Welt.
    "Das war ein Laufrad noch ohne Kurbel. Das heißt wie die Kinder heute, die ja auch schon sehr schnell dies Gefühl für ein Zweirad bekommen, hat auch schon dazu geführt, dass man längere Strecken zurücklegen konnte, mit weniger Kraftaufwand. Auch wenn es nicht besonders elegant aussah."
    Am 12. Juni 1817 erfolgte die Jungfernfahrt von Mannheim nach Schwetzingen und zurück. 15 km in knapp einer Stunde. Eine beachtliche Leistung.
    In den 1880er-Jahren verpassten Engländer und Franzosen dem Laufrad Tretkurbeln. Der Mensch hob ab. Nicht mehr er, sondern nur noch das Fahrzeug berührte den Boden. Fortan hieß es Veloziped. Und wurde auch als Hochrad gebaut, so Gunnar Fehlau, Herausgeber des Radmagazins Fahrstil..
    "Man hat einfach das Rad immer größer gemacht, um mit einer Kurbelumdrehung immer mehr Entfernung zurückzulegen. Das hat dann ja in sehr hohen und sehr wagemutigen Konstruktionen geendet."
    Die Velozipeden fuhren mit eisenbeschlagenen Rädern. Weshalb sie den Beinamen Knochenschüttler erhielten. Der Historiker Lars Amenda.
    "Die Straßenverhältnisse waren sehr schlecht. Insofern sind die dort ordentlich durchgeschüttelt worden und bei sehr überschaubaren Geschwindigkeiten."
    Von einem Siegeszug es Fahrrads, von Mobilität für alle, konnte allerdings keine Rede sein. Fahrräder waren Spielzeuge für wohlhabende Männer, erklärt Mario Bäumer. Er hat am Hamburger Museum der Arbeit die Ausstellung zum Fahrrad konzipiert.
    "So ein Hochrad um 1880 kostet 400 Reichsmark. Das entspricht einem Jahresgehalt eines Arbeiters. Da weiß man, dass es von reicheren, sogenannten Dandys, die das als Abenteuer betrieben, die Fahrt auf den frühen Velozipeden."
    Die sogenannten Velozipedenreiter wurden in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen. Oft wurden die Räder von den Ordnungshütern konfisziert, weil die Dandys wegen der miserablen Straßen auf dem Gehweg fuhren.
    "Da gibt es auch Zeugnisse, dass die Bevölkerung diese wenigen Velozipedenreiter verhöhnt hat, teilweise mit Straßenschmutz beworfen hat."
    Aber die Velozipedenfans ließen sich nicht entmutigen, erzählt Lars Amenda. In Hamburg wurde 1869 der erste Radfahrverein der Welt gegründet. Der Eimsbüttler Velozipeden Reitclub.
    "Und diese Herren, zwanzig Herren waren das, haben sich zu diesem Klub zusammengeschlossen, um Rennen auszutragen und ein wenig diesen Sport in der Öffentlichkeit vorzustellen."
    Und, so Kurator Mario Bäumer, die vornehmen Herren des Klubs machten mit ihren Hochrädern schon Weltreisen. Und es gab allererste Fernrennen.
    "Dass man so Rennen ausgetragen hat Berlin-Wien, Paris-Tours. Ein wirklich erstes Profirennen ist Paris-Roube 1893. Die sogenannte Hölle des Nordens über fast ausschließlich Kopfsteinpflaster."
    Zu dieser Zeit waren die meisten Räder bereits mit Kettenantrieb und Hebelübersetzung ausgestattet. Und die harten Vollgummireifen wurden seit 1888 durch neu erfundene Luftgummireifen ersetzt. Das Fahrrad faszinierte zunehmend auch das weibliche Geschlecht, erzählt Iwan Sojc, Direktor des deutschen Fahrradmuseums in Bad Brückenau.
    "Die Frauenemanzipation hat profitiert durch das Fahrrad. Das galt erst als gebärfeindlich. Man durfte sich in der Öffentlichkeit nicht erhitzen als Frau, wenn man Rad gefahren ist. Also es wurde sehr bekämpft. Hintergrund war einfach, dass die Männer diese neue Freiheit und Mobilität nicht teilen wollten."
    Mobilität und Freiheit. Das kam bei den Menschen an. In den neunzehnhundertzwanziger Jahren hatte Deutschland die weltweit größten Fahrradfabriken. Opel, Adler, Wanderer.
    "Nach der Fließbandfertigung, nach dem Ersten Weltkrieg erlebt das Fahrrad einen ersten Boom. Es gibt erstmals auch eine Infrastruktur für Fahrräder. Und eben der Preis sinkt immer mehr."
    Das Fahrrad förderte so die Emanzipation der Arbeiter. Mobilität hieß auch dem Fabrikbesitzer Paroli bieten, den Arbeitsplatz wechseln zu können. Das Fahrrad wurde vom Statussymbol zu Gebrauchsgegenstand für alle. Für Polizei, Postbote und Militär. Der Niedergang, so Gunnar Fehlau begann nach dem Zweiten Weltkrieg.
    "Das Ideal war ja sehr schnell so der eigene Wagen, der Volkswagen. Das kennen wir ja aus den 50er-Jahre Heinz Erhard Filmen. Die gemachten Leute hatten eben ihr eigenes Auto. Sodass da ne extreme Autofixierung stattfand."
    Die Städte wurden autogerecht umgebaut. Fahrräder? Das war etwas für Kinder, Studenten und arme Leute. Ende der 1970er-Jahre dann der Anstoß zum Umdenken.
    "Ölkrise in den 1970ern. Bildet sich ne sehr links politisch angehauchte ökologische Bewegung, die das Fahrrad für sich entdeckt hat. Die, wenn man jetzt 30 Jahre zurück kuckt auch sehr viele Weichen gestellt hat, die jetzt ja mitten in der Gesellschaft angekommen sind."
    Fahrradfahren macht Spaß, schont die Umwelt, fördert die Gesundheit und trotzt Verkehrsstaus und Parkplatznot. Bis den Deutschen das klar wurde, vergingen Jahrzehnte. Heute ist das Fahrrad Ausdruck von Sportlichkeit und Modernität. Allerdings, weiß der passionierte Radler Gunnar Fehlau, was die Infrastruktur betrifft, da befindet sich Deutschland noch in den autoverliebten 1980ern.
    "Wir haben Städte, die haben einfach nur in Auto gedacht und da ist für nichts mehr anderes Platz und das ist jetzt erst mal so."