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Falklandinseln
"Die Kelpers sind keine Besatzer"

Von Victoria Eglau | 04.08.2014
    "Während meiner acht Reisen auf die Malwinen wurde mir klar, wie dürftig es ist, diese Inseln nur unter dem Aspekt des Konflikts und des Krieges zu sehen. Wie überall gibt es auf den Inseln wunderbare Menschen mit Hunderten von Geschichten: Geschichten von Seefahrern, Geschichten vom Leben auf dem Land, Familiengeschichten",
    schreibt die Argentinierin Natasha Niebieskikwiat im Vorwort ihres Buches "Kelpers - weder Engländer noch Argentinier". Das Wort Kelpers leitet sich von den Kelps ab, den großen Meeresalgen vor den Küsten der Falklandinseln im Südatlantik. Der Kelper ist das unbekannte Wesen, das die Autorin, Journalistin bei der Tageszeitung Clarín, mit ihrem Buch der argentinischen Leserschaft nahebringen will.
    "Feindseligkeiten gegenüber den Kelpers"
    "Die meisten Argentinier betrachten die Inseln, die wir Malwinen nennen, als argentinisch. Mein Eindruck ist, dass in den letzten Jahren die Feindseligkeiten gegenüber den Kelpers zugenommen haben - was wohl mit der abweisenden Politik der Regierung von Cristina Kirchner zusammenhängt. Aber auch wer den Kelpers gegenüber keine negativen Gefühle hegt, weiß kaum etwas über sie."
    Bei ihren zahlreichen Recherche-Reisen auf die Falklandinseln knüpfte Natasha Niebieskikwiat viele persönliche Kontakte zur Bevölkerung. Einer Bevölkerung von nicht einmal 3.000 Personen, die Argentinien seit dem Krieg von 1982 als potenziellen Angreifer, als Bedrohung sehen. Einige Kelpers lehnten es ab, mit der argentinischen Journalistin zu sprechen. Die meisten jedoch waren bereit, ihr Informationen über ihr Leben und ihre Familiengeschichten zur Verfügung zu stellen.
    Kelpers stammen aus der ganzen Welt
    "Ich wollte in meinem Buch nicht den Souveränitätskonflikt behandeln. Mir ging es darum, die Ursprünge und die Geschichte der Inselbewohner zu entstauben - vom Beginn der britischen Besatzung im Jahr 1833 bis heute. Ich erzähle jene Geschichten, die die Argentinier nicht gerne hören - denn anders, als viele meinen, leben auf den Inseln heute keine Besatzer, sondern Nachfahren von Immigranten aus verschiedenen Ecken der Welt."
    Aus England, Schottland, Irland, Skandinavien, Deutschland, Argentinien, Chile und von den Philippinen stammen die Kelpers und ihre Vorfahren. Armut oder Abenteurertum ließen die meisten Einwanderer auf den entlegenen Inseln mit ihrem unwirtlichen Klima eine neue Heimat suchen. Erst widmeten sie sich ausschließlich Schafzucht und Wollproduktion, in jüngster Zeit sind Fischfang und Tourismus hinzugekommen, und die wirtschaftlichen Zukunftshoffnungen der Kelpers ruhen auf der Förderung der Ölreserven vor ihren Küsten.
    "Die Kelpers haben ihre eigene Identität. Früher waren sie eine Art europäische Gauchos. Heute sind sie zu Geld gekommene Landwirte, die zunehmend global denken. Die Gesellschaft der Malwinen ist kosmopolitisch, das Mutterland ist weit weg. Allerdings hat der Konflikt mit Argentinien sie kulturell näher an Großbritannien heranrücken lassen."
    Der Konflikt zwischen Argentinien und England
    Den Falklandkrieg hatte 1982 Argentiniens Militärdiktatur angezettelt. Danach kümmerte sich Großbritannien plötzlich intensiv um sein Überseegebiet und dessen Bewohner. Investitionen in großem Stil verbesserten die Infrastruktur der Inseln und den Lebensstandard der Kelpers. Seine Militärpräsenz verstärkte das Mutterland erheblich.
    In den 90er-Jahren kam es zeitweise zu einer Entspannung im Konflikt zwischen Großbritannien und Argentinien. Beide Regierungen vereinbarten, die Souveränitätsfrage zunächst außen vor zu lassen und in einigen Bereichen zu kooperieren. Seit 2003 verfolgt Argentinien einen härteren, aber dezidiert antimilitärischen Kurs.
    "Argentinien hat unter den Kirchner-Regierungen internationale Erfolge erzielt. Der Souveränitätsanspruch über die Malwinen wird von wichtigen internationalen Gremien anerkannt, wie der UNO und der Organisation amerikanischer Staaten. Doch zugleich verhärtete Argentinien seinen Kurs, was Flüge, Fischfang-Kontrollen und Erdöl angeht. Unsere Regierung betrachtet die Kelpers als Eindringlinge, die in dem Souveränitätskonflikt nichts zu sagen haben."
    Falklandinseln - eine argentinische Herzenssache
    Um zu demonstrieren, dass ihre Stimme sehr wohl zählt, hielten die Kelpers im vergangenen Jahr ein Referendum ab - ihr Votum für eine weitere Zugehörigkeit zu Großbritannien hat allerdings nur symbolische Wirkung. Indem sie die Menschen auf den Inseln in den Mittelpunkt ihres Buches stellt, lässt Natasha Niebieskikwiat keinen Zweifel daran, dass sie sich eine pragmatischere argentinische Falkland-Politik wünscht, eine Abkehr von Maximalforderungen, einen Dialog.
    Das Buch der bekannten Journalistin stieß zwar in regierungsnahen und nationalistischen Kreisen auf Ablehnung, verursachte aber keineswegs einen Skandal. Es scheint, als sei Argentiniens Gesellschaft, für die die Malwinen seit jeher eine Herzensangelegenheit sind, besonnen genug, um neue Sichtweisen zu tolerieren.
    Natasha Niebieskikwiat: "Kelpers – ni ingleses ni argentinos", Editorial Sudamericana, Argentinien 2014, 288 Seiten, circa 15 Euro, ISBN: 978-9-500-74696-0