Mittwoch, 24. April 2024

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Fall Wendt
Verfassungsrechtler sieht Grenze des Erlaubten überschritten

Die Bezahlung des Polizeigewerkschafters Rainer Wendt als Polizist war nach Einschätzung des Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim rechtlich nicht zulässig. Der Staat dürfe nicht ohne gesetzliche Grundlage huldvoll ein Geldgeschenk auf Kosten der Steuerzahler machen, sagte er im DLF.

Hans Herbert von Arnim im Gespräch mit Dirk Müller | 07.03.2017
    Rainer Wendt steht bei Dreharbeiten für eine Fernsehserie vor einem Streifenwagen.
    Der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt arbeitet seit vielen Jahren nicht mehr als Polizist (dpa/Oliver Berg)
    Dass Wendt sich habe pensionieren lassen, mache die Sache nicht besser. Wenn dieser die Pension auch für die Zeit erhalte, wo er nichts getan habe, werde die Sache noch problematischer. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) habe die politische Verantwortung für den Vorgang, meinte von Arnim.
    Die Bezahlung des Polizisten stelle zudem eine Interessenkollision dar. Schließlich solle ein Gewerkschafter die Interessen der Beschäftigten gegen den Staat vertreten. Wenn dieser ihn bezahle, sei der Gewerkschafter nicht mehr unabhängig.
    Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, wurde jahrelang als Polizist bezahlt, ohne als solcher zu arbeiten. Mittlerweile hat der 60-Jährige einen Antrag auf vorzeitigen Ruhestand gestellt. Seinen Posten als Vorsitzender der Polizeigewerkschaft will er behalten.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Gewerkschafter, die vom Staat bezahlt werden, ohne für ihn zu arbeiten, das lässt viele fassungslos zurück. Bekannt geworden sind nun drei Fälle aus Nordrhein-Westfalen. Rainer Wendt gehört dazu, Chef der Polizeigewerkschaft, Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter und auch Erich Rettinghaus, NRW-Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Sie haben alle drei Beamtensold bekommen, obwohl sie nicht als Kommissare tätig waren, sondern als Vollprofis für ihre Gewerkschaft. Haben die Betroffenen damit doppelt kassiert? Wieweit hat die Politik das ganz bewusst so geregelt, so hingenommen? NRW-Innenminister Ralf Jäger steht nun heftig unter Beschuss. "Ich kenne die Details solcher Absprachen nicht", sagt der SPD-Politiker. Dafür wird jetzt dienstrechtlich offiziell ermittelt.
    Bei Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter und Erich Rettinghaus, NRW-Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, ist das offenbar noch unklar, wieviel Zeit sie als Kommissare aufgewendet haben.
    Der Staat, die Politik und die Finanzierung von Gewerkschaftsbossen, ohne dass diese für den Staat arbeiten – das ist jetzt unser Thema mit dem Verwaltungsrechtler und Parteienkritiker Professor Hans Herbert von Arnim. Guten Morgen!
    Hans Herbert von Arnim: Guten Morgen!
    Müller: Entdecken wir gerade eine neue Variante?
    von Arnim: Es geht ja zunächst mal um den Fall von Rainer Wendt. Der Staat darf nun mal nicht ohne gesetzliche Grundlage huldvoll jemandem ein Geldgeschenk auf Kosten der Steuerzahler machen, denn darum geht es. Wenn man jemanden beschäftigt, ihm sein Gehalt zahlt, ihm aber erlaubt, dafür gar nichts zu tun, läuft das auf ein Geschenk von vielen tausend Euro hinaus. Das ist öffentliche Verschwendung und meines Erachtens rechtlich auch nicht zulässig, weder beamtenrechtlich, noch haushaltsrechtlich, und vielleicht auch strafrechtlich verboten.
    Müller: Für Sie ganz klar ein Rechtsbruch?
    von Arnim: Für mich ist das, soweit man den Berichten in den Medien das entnehmen kann, ein Rechtsbruch, und zwar aus mehreren rechtlichen Gesichtspunkten. Der Staat darf einfach ohne gesetzliche Grundlage nicht irgendjemand ein Geldgeschenk machen, und darauf läuft etwas, was hier geschehen ist, nach den Medienberichten gerade hinaus.
    Müller: Ist es möglich, weil die Politik ja auch schon vieles ermöglicht hat, dass es eine Lex Wendt gibt in Nordrhein-Westfalen?
    von Arnim: Davon war bisher nicht die Rede und spätestens der Innenminister hätte das ja gesagt, dass es eine Lex Wendt gibt, eine gesetzliche Grundlage. Die gibt es offenbar gerade nicht und deswegen darf der Staat nicht einfach so von hoher Hand auf Kosten der Steuerzahler Geschenke machen.
    Müller: Wir haben auch über den Fall Sebastian Fiedler gesprochen, Erich Rettinghaus. Ich habe das eben noch ein bisschen relativiert, weil das ein wenig durcheinandergeht in den Medien. Da ist noch nicht klar, wie groß dort die Anteile waren, die die beiden Polizisten respektive Gewerkschafter dann jeweils für ihr Aufgabenprofil investiert haben. Wäre das eine Möglichkeit, beides miteinander zu kombinieren, fifty-fifty zu machen? Müsste der Staat dann sagen, okay, wenn Du jetzt 20 Stunden für uns arbeitest, ist das in Ordnung, wenn wir Dich für 20 Stunden bezahlen?
    "den Innenministert trifft , wohl in jedem Fall eine politische Verantwortung."
    von Arnim: Diese Fälle sind noch wenig diskutiert in der Öffentlichkeit, sodass man darüber was Fundiertes bisher noch nicht sagen kann. Deswegen möchte ich mich auf den Fall Wendt beschränken. Aber auch hier ist es ja so, dass er offenbar selbst indirekt eingestanden hat, dass das so nicht geht, denn er hat ja zunächst geleugnet, dass er noch als Kommissar Geld vom Staat kriegt. Er hat es dann allerdings revidiert, weil einen beim Lügen ertappen ja dann noch besonders schlimm ist, und er hat sich ziemlich direkt, nachdem der Journalist ihn befragt hatte, pensionieren lassen. So heißt es jedenfalls in den Medien. Das zeigt, er weiß selbst, das geht eigentlich so nicht. Aber es geht meines Erachtens noch weiter. Es ist auch rechtlich meines Erachtens nicht zulässig.
    Müller: Vorzeitig in Ruhestand gehen, sich pensionieren lassen, haben Sie gerade angesprochen, Herr von Arnim. Haben wir am Wochenende ja auch gelesen, als die ersten Berichte darüber herauskamen. Kann man das einfach so sagen, ich habe da irgendwie ein Problem, macht jetzt mal Schluss mit meinem Arbeitsverhältnis als Beamter von heute auf morgen?
    "Eine Interessenkollision, die eigentlich so nicht geht"
    von Arnim: Als Polizist hat man, ähnlich wie Piloten und andere Leute, die unter besonderem Stress stehen bei ihrer Tätigkeit, wohl die Möglichkeit, sich früher pensionieren zu lassen. Bloß macht möglicherweise die Pensionierung die Sache ja fast noch schlimmer, denn wenn sich herausstellen sollte, dass er eine Pension erhält, auch für die Zeit, wo er aktiv gar nichts getan hat, dann ist ja auch diese Pensionsgewährung rechtlich hoch problematisch. Er wollte sich offenbar durch die Pensionierung etwas aus dem publizistischen Feuer ziehen. Die Sache wird dadurch aber noch viel problematischer. Und unabhängig von der rechtlichen Frage trifft ja doch den höchsten Repräsentanten dieses Ressorts, den Innenminister, wohl in jedem Fall eine politische Verantwortung. Das Ganze ist ja in seinem Ressort geschehen.
    Müller: Sie sagen, als Polizist, als Pilot ist das möglich. Wir brauchen das im Detail hier auch nicht zu klären. Er ist ja immerhin auch Gewerkschaftspolizist gewesen, wenn wir das vielleicht so beschreiben wollen, und hat diesen Job über viele Jahre öffentlich ausgefüllt. Er hat auch viele Interviews hier im Deutschlandfunk immer wieder gegeben. Das heißt, er war eine feste Größe in der Mediendiskussion. Kann das wirklich sein, dass die Politik damals, vor acht, zehn, elf Jahren – das ist noch nicht ganz geklärt – vermutlich unter der schwarz-gelben Koalition, gar nicht unter der rot-grünen Koalition, für die als Innenminister Ralf Jäger jetzt verantwortlich ist, dass man da gesagt hat, diese kleinere Gewerkschaft, die ist so wichtig, dass wir der helfen müssen?
    von Arnim: Das ist eigentlich ganz unvorstellbar. Die Gewerkschaft soll doch die Interessen der öffentlichen Bediensteten, der Beamten gegen den Staat vertreten. Wenn jetzt einer, der deren Interessen gegen den Staat vertreten soll, seinerseits vom Staat bezahlt wird, und das läuft ja darauf hinaus, dass er vom Staat bezahlt wird, dann bedeutet das ja, dass er nicht mehr wirklich unabhängig ist. Das heißt, er kann möglicherweise die Interessen der Beamten, die er gegen den Staat vertreten soll, wegen der Zahlungen vom Staat gar nicht mehr richtig wahrnehmen. Das ist eine Interessenkollision, die eigentlich so nicht geht. Auch aus diesem Grund heraus darf eigentlich ein Gewerkschafter sich von der Gegenseite nicht bezahlen lassen.
    Müller: Wird das jetzt eine ganz, ganz enge politische Auseinandersetzung, auch rechtliche Auseinandersetzung für den amtierenden Innenminister in Nordrhein-Westfalen?
    von Arnim: Ja, in der Tat. In der Tat sowohl rechtlich, vielleicht nicht nur für den Innenminister, sondern auch für die, wenn es stimmt, dass er davon tatsächlich nichts gewusst hat, die dafür verantwortlich sind, dass sie quasi ohne gesetzliche Grundlage Herrn Wendt freigestellt haben, ihm quasi ein Geldgeschenk von mehreren tausend Euro monatlich gemacht haben. Es muss herausgefunden werden, wer dafür verantwortlich ist, und dann kommt möglicherweise auch der Tatbestand der Untreue ins Spiel.
    Müller: Und das würde für alle Beteiligten gelten, auch wenn das zehn Jahre zurückliegt?
    von Arnim: Möglicherweise ist Verjährung hier gegeben. Aber durch das mögliche Dulden dieser ganzen Geschichte – das ist ja nicht vor zehn Jahren geschehen und dann war es zu Ende, sondern das lief ja bis vor wenigen Wochen immer noch, sodass meines Erachtens die Verjährung dann wohl nicht greifen kann. Aber das sind natürlich alles Untersuchungen, die die Staatsanwaltschaft genau durchführen muss.
    Müller: Wir haben jetzt über einen detaillierten Fall gesprochen, Herr von Arnim. Wir kennen noch nicht alle Details, das muss man auch offen zugeben.
    von Arnim: So ist es!
    Müller: Es sind Ermittlungen jetzt angestellt, eingeleitet, am Donnerstag das ganze Thema dann vor dem Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages mit der Beteiligung von Ralf Jäger. Machen wir diesen Horizont etwas größer, auch wenn wir jetzt diesen Fall betrachten, und wir haben auch hier im Deutschlandfunk mit Ihnen über viele Fälle von politischer Verquickung und Intransparenz ja schon gesprochen in den vergangenen Jahren. Parteienkritiker habe ich Sie auch genannt, weil Sie sich immer mit diesem System ganz kritisch auseinandergesetzt haben. Ist das wieder ein Beispiel dafür, dass viele Verantwortliche in der Politik, in den Parteien nicht mehr unterscheiden können zwischen Partei und Staat?
    von Arnim: Ja, so sieht es aus, dass man die eigenen Interessen - - Hier scheint es ja auch so zu sein, wenn man den Medienberichten folgt, dass hier damals eine besondere Gewerkschaft, damals eine CDU-nahe unterstützt werden sollte, während die andere Gewerkschaft der Polizei ja offenbar SPD-nah ist.
    Müller: Die größere Gewerkschaft.
    von Arnim: Wie bitte?
    Müller: Die größere Gewerkschaft.
    von Arnim: Ja, die andere größere Gewerkschaft. Aber beide sind nicht gerade klein. Da scheinen, politische Eigeninteressen machtorientierter Art doch eine Rolle mitgespielt zu haben, sodass dieser Fall durchaus in den Bereich des Missbrauchs öffentlicher Macht, öffentlicher Mittel hineingehört.
    Müller: Und ist das immer ganz klar zu trennen? Ist das ganz klar zu trennen, was der Staat bezahlen darf und was nicht?
    von Arnim: Rechtlich ist es oft klar zu trennen. Aber es gibt Grauzonen, in denen es undeutlich ist. Da haben Sie völlig recht. Aber in diesem Fall scheint mir eine rechtlich klare Trennung durchaus möglich. Ich habe es ja gesagt. Alles natürlich unter dem Vorbehalt einer exakten Nachprüfung, die ja noch kommt.
    Müller: Wir haben neulich darüber diskutiert. Der Bundesaußenminister fliegt irgendwo hin, da ist er als Außenminister beschäftigt, danach fliegt er, fährt er, wie auch immer zu einer SPD-Veranstaltung. Ist das realistisch, da Kosten zu trennen?
    von Arnim: Wenn er tatsächlich den Flug macht, um zu einer Parteiveranstaltung zu fliegen, und diesen Flug der Staat bezahlt und nicht die Partei, so ist das eindeutig unzulässig. Grenzfälle können entstehen, wenn er sowieso nach Deutschland zurückfliegt, von Amerika oder Russland, wo er gerade als Außenminister ist, und deswegen den Flug sowieso auf Staatskosten nehmen muss und nehmen darf. Wenn er dann gleichzeitig in demselben Ort auch noch eine Parteiveranstaltung hat, dann ist das wohl zulässig. Aber wenn der Flug speziell für Parteiinteressen genommen wird auf Staatskosten, dann ist das eindeutig unzulässig.
    Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim
    Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim (dpa)
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Verwaltungsrechtler und Parteienkritiker Professor Hans Herbert von Arnim. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
    von Arnim: Danke, Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.