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Falsche Prioritäten beim Artenschutz

Seit 1992 wird im Namen der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie daran gearbeitet, mehr Schutzgebiete für Tiere und Pflanzen einzurichten. Doch ob das Artensterben so aufgehalten werden kann, ist fraglich. Besonders die Liste der zu schützenden Tiere sei stark veraltet, beklagen Forscher im Fachblatt "Conservation Letters".

Von Marieke Degen | 23.04.2013
    Der Artenschutz geht in Europa manchmal seltsame Wege. So auch vor ein paar Jahren in Mainz. Weil ein Industriegebiet auf Vordermann gebracht werden sollte, mussten ein paar hundert Mauereidechsen umgesiedelt werden. Die Tiere wurden fachmännisch eingefangen, in Baumwollsäckchen gesteckt und in ihr neues Zuhause gebracht – einen ehemaligen Steinbruch, der eigens für die Echsen hergerichtet worden ist. Kosten: insgesamt rund 200.000 Euro.

    "Und da ist einfach die Frage: Investiert man da nicht vielleicht teilweise ein bisschen zu viel Geld in die falschen Arten, die auch so ganz gut überleben würden?",

    sagt der Biogeograf Axel Hochkirch von der Uni Trier. Denn: Mauereidechsen gibt es eigentlich mehr als genug. Trotzdem genießen sie in der Europäischen Union höchsten Schutz durch die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie. Die Richtlinie ist vor etwas mehr als 20 Jahren in Kraft getreten, mit dem Ziel, ein Netz von Schutzgebieten in Europa zu schaffen und damit das Artensterben zu stoppen. Axel Hochkirch und seine Kollegen haben jetzt den Nutzen der Richtlinie untersucht:

    "Der Grundgedanke der FFH-Richtlinie ist zwar hervorragend, aber das Problem ist, dass die Listen der Arten, die auf diesen Anhängen der FFH-Richtlinie stehen, einfach veraltet sind. Die wurden im Prinzip in den 70er- Jahren im Rahmen der Bern-Konvention erstellt, und einfach für diese FFH-Richtlinie übernommen, und dadurch stehen eben viele hochgradig gefährdete Tiere nicht auf diesen Anhängen, während auch einige Arten draufstehen, die eigentlich nicht besonders gefährdet sind."

    Und das führt dazu, dass die Mauereidechse immer noch als stark gefährdet gilt - und als schützenswert. Andere Arten fallen durchs Raster:

    "Es gibt zum Beispiel Arten wie die La-Palma-Heuschrecke, die eben nur auf einer kleinen Fläche in La Palma vorkommt und akut von einem Golfplatz bedroht ist, und wenn dieser Golfplatz entsteht, dann würde diese Art aussterben. Diese Art ist aber nach der FFH-Richtlinie nicht geschützt."

    Dabei gibt es längst aktuellere Daten. Die Weltnaturschutzunion IUCN erstellt seit 2007 rote Listen eigens für Europa. Bislang haben die Experten mehr als 6000 Arten erfasst, die La-Palma-Heuschrecke ist danach vom Aussterben bedroht. Doch ausgerechnet in der FFH-Richtlinie würden die roten Listen nicht berücksichtigt, sagt Axel Hochkirch.

    "Also wir haben den Vorschlag gemacht, dass die Informationen, die aufgrund der roten Listen gewonnen werden, flexibler in die FFH-Richtlinie einfließen. Das heißt, wenn neue Erkenntnisse zum Bestand von Arten entstehen, dann sollen diese auch in die Anhänge der FFH-Richtlinie aufgenommen werden. Beziehungsweise andere Arten auch von den Anhängen gestrichen werden, wenn man weiß, dass ihre Bestände eigentlich gesichert sind."

    Die Anhänge der FFH-Richtlinie sollten regelmäßig aktualisiert werden, fordern die Forscher aus Trier – am besten jedes Jahr. Doch ob sich das umsetzen lässt, ist fraglich. Der bürokratische Aufwand wäre enorm, und die politischen Mühlen mahlen langsam in der EU: Im Moment sind die Mitgliedstaaten immer noch damit beschäftigt, die bestehenden Regelungen umzusetzen. Sogar die IUCN zeigt sich da nachsichtig.

    "Wissenschaft und Politik entwickeln sich nicht mit derselben Geschwindigkeit. Die Anhänge der FFH-Richtlinie sind nicht mehr zeitgemäß, aber darum sollte man sich kümmern, wenn der richtige politische Zeitpunkt gekommen ist",

    sagt Ana Nieto vom IUCN-Büro in Brüssel.

    "Durch die FFH-Richtlinie sind bereits 18 Prozent der Landfläche Europas unter Schutz gestellt. Wir haben also schon ein hohes Schutzniveau für Lebensräume und für zumindest für einige Tiere. Im Moment ist es wichtiger, dass die Maßnahmen aus der existierenden Richtlinie vollständig umgesetzt werden."

    18 Prozent der Landfläche unter Schutz, das sei ein echter Erfolg der FFH-Richtlinie, sagt auch Axel Hochkirch. Doch wird es die Europäische Union bis 2020 auch schaffen, das Artensterben zu stoppen?

    "Da schätze ich, dass dies nicht der Fall sein wird. Ich glaube, dass das Aussterben von Arten weitergeht, weil die Europäische Union da einfach an den entscheidenden Stellen momentan zu wenig macht."