Freitag, 19. April 2024

Archiv


Familiäre Spurensuche

Der Angolaner José Agualusa erzählt in seinem Roman von der Mischkultur, der Lebenslust, der Musik und dem Chaos in Luanda - und sieht sich in der portugiesischsprachigen Welt um. Herausgekommen ist eine tragikomische Verwechselungsgeschichte über Liebe und Leidenschaft.

Von Margrit Klingler-Clavijo | 23.08.2010
    "Dieser Roman hat eine andere Entstehungsgeschichte, als die vorherigen Romane, weil er auf eine Herausforderung zurückgeht, die Herausforderung einer englischen Filmemacherin, die lang in Mosambik gelebt hat und auch Musikerin ist. Sie hat in Mosambik in vielen bekannten Bands Saxofon gespielt und etliche Filme über die Lage der Frau in Afrika gedreht. Die Herausforderung bestand darin, ein Drehbuch zu schreiben, in dem es um Musik, doch auch um die Lage der Frau in Afrika ging. Darüber haben wir beide uns Gedanken gemacht. Ich habe mit dem Drehbuch begonnen, doch alsbald gemerkt, dass Karen Boswall eine ganz außergewöhnliche Geschichte hat und ich den Stoff für einen Roman vor mir hatte. Daher habe ich zuerst den Roman geschrieben. Er besteht aus zwei parallel verlaufenden Geschichten: Der Reise, die ich tatsächlich mit Karen Boswall und Jordi Burch, einem portugiesischen Fotografen katalanischer Herkunft gemacht habe und der Fiktion, die zwar von der Realität ausgeht, sie jedoch zugleich unterminiert."

    So beschreibt José Agualusa die Entstehungsgeschichte seines Romans "Die Frauen meines Vaters", eine tragikomische Verwechselungsgeschichte über Liebe und Leidenschaft, eine Satire auf den Machismo und den bisweilen komplizierten Nachweis der Vaterschaft. Der Protagonist des Romans ist Faustino Manso, ein begnadeter Musiker und charmanter Verführer: Einnehmendes Äußeres, großzügiges Lächeln, unwiderstehlicher Charme und stets im makellos weißen Anzug. So haben etliche Frauen Faustino Manso in Erinnerung, die in den 60er- und 70er-Jahren in Angola und Mosambik seine Konzerte besuchten und den Verführungskünsten des charismatischen Sängers erlagen. Dass der im Lauf der Zeit mehrere Familien gegründet hatte, ist bei einem solchen Charmeur nicht weiter verwunderlich. Bei seinem Tod hinterließ er sieben Witwen und 18 Kinder, dabei war er steril!

    "Der Musiker des Romans hat etwas von dem großen angolanischen Musiker Liseu Viera Dias. Im heutigen Angola beruft sich nur noch selten ein Musiker auf ihn. Meiner Ansicht nach sollte man sich seine Arbeit noch einmal genauer ansehen. Schließlich ist es ihm zu verdanken, dass so altbekannte Lieder wie "Múxima" oder "Biribirim" verewigt wurden. Múxima ist ein Lied religiösen Ursprungs, ein völlig traditionelles Lied, eins der wenigen Lieder, das jeder Angolaner, das ich singen kann: Múxima, oh múxima, oh múxima ..."

    Das Wort Muxima ist dem Kimbundo entlehnt und bedeutet Herz. Im Roman
    spielt Karen Boswall die uralte Melodie auf dem Saxofon bei einem Konzert in einem Canyon im Süden Angolas.

    Im zweiten Erzählstrang geht es um die familiäre Spurensuche. Nach Faustino Mansos Tod reist dessen in Lissabon lebende Tochter Laurentina nach Afrika, um das familiäre Umfeld ihres verstorbenen Vaters kennenzulernen. Begleitet wird sie von ihren beiden Freunden Mandume und Pouca Sorte. Nach und nach lernt Laurentina die Frauen und Kinder ihres Vaters kennen, wobei sie herausfindet, dass Faustino Manso gar nicht ihr leiblicher Vater ist, vielmehr ein Portugiese aus Lissabon. Außerdem stellt Laurentina fest, dass sie schwanger ist, jedoch nicht von ihrem Freund Mandume. Ist es da nicht naheliegend, ihm das Kind einfach unterzuschieben und sich genauso zu verhalten wie früher schon Faustino Mansos Frauen?

    Laurentinas familiäre Spurensuche und die eingangs erwähnte Reise, die den Fotografen Jordi Burch, die Filmemacherin Karen Boswall und José Agualusa durch Angola, Namibia und Südafrika führt, ergänzen sich wunderbar. Gezeigt wird ein dynamisches und vitales Afrika. Themen wie Armut, Aids, Malaria oder Bürgerkriege, womit Afrika gewöhnlich in die Schlagzeilen gerät, werden dabei jedoch keineswegs ausgeblendet.

    "Ich wollte in diesem Roman nicht nur die Situation der Frau in den jeweiligen Ländern zeigen, sondern auch, dass es ein Afrika gibt, das man in Europa überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt, weder im Fernsehen noch in den übrigen Medien. Ein Afrika, das Kultur hervorbringt, dass in Frieden lebt und sich entwickelt. Das war mithin einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Daher bereisen meine Romanfiguren mehrere Länder. Außerdem wollte ich die enormen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern aufzeigen. Mich fasziniert die ungemeine Vielfalt, die man immer noch in Afrika vorfindet."

    José Agualusas Literatur stehen im Zeichen der "Mesticagem" - der Vermischung der Kulturen, Sprachen und Rassen. Wie schon in seinen früheren Romanen bezieht er auch hier ganz bewusst die portugiesischsprachigen Länder aufeinander und vergleicht so indirekt die in Luanda, Lissabon und Rio de Janeiro stattfindenden Vermischungsprozesse miteinander, augenzwinkernd und humorvoll. Im Gegensatz zu Europa, das sich schwer tut im Umgang mit dem Fremden und Andersartigen, gehören im portugiesischsprachigen Afrika Vermischungsprozesse seit Langem zu den prägenden Elementen der Gesellschaft.

    "Ganz Afrika kennt uralte Traditionen der Vermischung. Das will man nur nicht immer wahrhaben. Diese Vermischung setzte schon mit den Arabern ein. Als die Portugiesen nach Mosambik kamen, waren die Araber schon längst da. Danach kamen die Europäer und der Vermischungsprozess ging weiter. Afrika hat folglich ganz verschiedene Einflüsse absorbiert und so transformiert, dass daraus etwas Anderes entstanden ist."

    Seit dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2002 boomt Angolas Wirtschaft aufgrund hoher Erdölvorkommen, die Investoren aus Brasilien, China und Europa anlocken.

    Die Landflüchtigen profitieren jedoch kaum von diesem Boom. In der trügerischen Hoffnung auf ein besseres Leben sind sie in die lärmende, chaotische Metropole geströmt und müssen sich unter widrigen Umständen behaupten.

    "Luanda wurde von Landbewohnern überschwemmt, die ihren Wunderglauben und ihre Mythen mitgebracht haben. Luanda ist einerseits dieses Chaos, diese Hölle und andererseits diese Welt mit den fabelhaften Geschichten und wunderbaren Leuten, diese eigenartige Mischung aus Wunderbarem und Schrecklichem. Tolle Leute, die mittendrin im Chaos stecken und die vom Horror ausgehend, Schönheit kreieren."

    José Agualusa: "Die Frauen meines Vaters". A1 Verlag, München, 2009

    Übersetzung: Michael Kegler

    Preis: 22,80 Euro


    Auf Deutsch liegen vor:

    - 1999: "Ein Stein unter Wasser". Dtv Verlag, München (Übersetzung: Inés Koebel) ausgezeichnet mit dem Grande Prémio de Literatura da RTP – Radio Televisao Portuguesa (portugiesischer Hörfunk und Fernsehen)
    - 2008: "Das Lächeln des Gecko". A1 Verlag, München (Übersetzung: Michael Kegler) ausgezeichnet mit dem englischen Independent Foreign Fiction Prize.