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Familieninitiative: Staat zwingt Mütter in die Erwerbsarbeit

Die Mitinitiatorin der Kampagne "Familie sind WIR!", Maria Steuer, hat sich gegen die Familienpolitik der Bundesregierung ausgesprochen. Sie zwinge Frauen in die Erwerbsarbeit, dabei gebe es Umfragen in denen sich 63 Prozent der jungen Frauen dafür aussprächen, dass Mütter in den ersten drei Jahren zu Hause blieben. Ungerecht sei auch die Rentenversicherung. Eine Frau müsse mindestens 27 Kinder gebären, um eine Rente in Höhe von Sozialhilfe zu bekommen, so Steuer.

Moderation: Jürgen Liminski | 15.05.2006
    Jürgen Liminski: Heute ist wie bereits gesagt Weltfamilientag und dafür hat die Bundesregierung auch den ersten deutschen Familientag ausgerufen. Man erwartet in Berlin viele Teilnehmer an Workshops, Podiumsdiskussionen und Informationsständen. Ein deutscher Familientag, auch das ist ein Zeichen dafür, dass Familie nicht mehr so selbstverständlich ist wie früher. Aber ist es das, was Familien brauchen? Hat diese Veranstaltung vielleicht sogar noch eine Alibifunktion, um von den tatsächlichen Kürzungen beim Kindergeld, dem Wegfall von Freibeträgen in künftigen Steuererhöhungen abzulenken? Natürlich gibt es auch Protest. An der Basis formiert sich derzeit Widerstand gegen die Familienpolitik. Eine Protestbewegung heißt "Familie sind WIR!" und eine der Initiatoren ist nun am Telefon. Sie heißt Maria Steuer, wohnt in der Nähe von Hamburg, ist Kinderärztin und Familientherapeutin, aber, wie man der Web-Seite entnehmen kann, vor allem Mutter und Hausfrau. Guten Morgen Frau Steuer!

    Maria Steuer: Guten Morgen Herr Liminski!

    Liminski: Frau Steuer, zunächst eine Frage zu dem aktuellen Ereignis. Da ist Familientag. Gehen Sie hin?

    Steuer: Nein, ich gehe nicht hin. Der Familientag findet an einem Werktag statt und an einem Werktag ist es uns als Familie nicht möglich, nach Berlin zu reisen. Der andere Grund ist, dass ich ein Modell von Familie lebe, was von der Regierung zurzeit nicht erwünscht wird.

    Liminski: Was ist das für ein Familienmodell?

    Steuer: Das Familienmodell der Einverdienerehe. Das heißt mein Mann geht in die raue Außenwelt und verdient das Geld, während ich zu Hause versuche, mich um die Kinder zu kümmern und den Haushalt zu führen und das Zuhause der Kinder zu beseelen.

    Liminski: Sie haben eine Protestkampagne gestartet gegen die aktuelle Familienpolitik und sagen: "Familie sind wir". In einem Brief an die Bundeskanzlerin greifen Sie einen Slogan aus der Wendezeit auf, wenn Sie schreiben "Gerechtigkeit ist das Brot des Volkes, denn sie verlangten keine Almosen oder Stütze, sondern Gerechtigkeit". Wo sehen Sie denn das Unrecht an den Familien? Es wird doch gerade jetzt viel diskutiert und getan für Familien.

    Steuer: Das Unrecht ist, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes nicht umgesetzt werden, zum Beispiel in der Rentenversicherung. Eine Frau muss mindestens 27 Kinder gebären, um eine Rente in Höhe von Sozialhilfe zu bekommen. Zusätzlich soll sie jetzt dazu gebracht werden, ihren Rentenanspruch auch in der Erwerbstätigkeit zu verdienen. Das heißt Frauen sollen jetzt zweimal einzahlen.

    Liminski: Aber viele Frauen wollen doch arbeiten?

    Steuer: Ich glaube, dass sie einfach manipuliert werden durch Kampagnen, durch Untersuchungsergebnisse, durch Umfragen, die das einfach als Voraussetzung hinstellen, nämlich die EMNID-Umfrage jetzt von April 2006, ganz neu und ganz frisch, fragt, was Frauen wollen. Dabei ist ein erstaunliches Ergebnis, dass 63 Prozent der jungen Frauen – und zwar Frauen und nicht Mütter – der Meinung sind, dass Frauen, Mütter in den ersten drei Jahren zu Hause sein wollen, um bei ihren Kindern zu sein. Ich weiß also nicht, welche Ergebnisse und welche Umfragen ergeben, dass Frauen arbeiten wollen. Vielmehr glaube ich, dass Frauen heutzutage arbeiten müssen. Es bleibt ihnen gar nicht die Entscheidungsfreiheit, sondern die finanzielle Belastung der Familien ist so groß, dass mit einem Gehalt eine Familie kaum noch finanziert werden kann.

    Liminski: Frau Steuer, Ihre Kampagne fängt gerade an. Wie lange soll die denn laufen? Wo soll sie überhaupt enden und was wollen Sie konkret erreichen?

    Steuer: Wir hören erst auf, wenn sich etwas verändert und unsere Forderungen erfüllt werden. Konkret Änderung im Rentenrecht oder allgemein die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes. Letztlich soll sich auch verändern, was zurzeit leider völlig aus den Augen verloren wird, eine Familienpolitik, die sich den Bedürfnissen der Kinder und ihrer seelischen und geistigen gesunden Entwicklung annimmt.

    Liminski: Das ist Ihrer Meinung nach im Moment nicht der Fall?

    Steuer: Nein! Es wird einfach behauptet, dass eine frühe Trennung der Kinder von ihren Eltern ohne irgendwelchen Schaden gemacht werden kann. Es wird sogar behauptet, dass Kinder möglichst früh in die Krippe gehen sollen, weil je jünger das Kind ist umso besser kann es sich eingewöhnen in die Krippe, also möglichst vor dem Alter von acht oder zehn Monaten, da wo das Kind anfängt zu unterscheiden zwischen fremd und vertraut, also in der Fremdelphase. Da wird es schwierig. Also bitte vor dem achten Monat, weil es dann leichter ist für Eltern und Kinder.

    Liminski: Und das halten Sie für schädlich, wenn das sozusagen propagiert wird?

    Steuer: Das halte nicht nur ich für schädlich, sondern das zeigt ja auch die große NICHD-Studie aus Amerika, die eindeutig belegt, dass je früher, je häufiger ein Kind unter 54 Monaten fremd betreut wird, es umso mehr Schwierigkeiten hat, später in der Schule Leistung zu zeigen, dass es mehr Probleme mit Lehrern und Eltern hat und auch häufiger in Schlägereien in der Schule verwickelt ist.

    Liminski: Frau Steuer, Sie bezeichnen sich als Netzwerk. Das tun viele. Wer ist denn da hineingeknüpft in dieses Netz? Wie groß ist Ihr Kreis?

    Steuer: Unser Kreis wächst täglich. Wir sind innerhalb von acht Monaten auf 30 Vereine, die Partner des Netzwerkes sind, gewachsen. Es gibt inzwischen 20 Regionalbüros in zwölf verschiedenen Bundesländern. Die Zahl der Leute insgesamt kann ich Ihnen nicht sagen, da ich nicht genau weiß, wie viele in jedem Verein sind, aber wir haben Vereine mit teilweise 10.000 Mitgliedern – manche haben 25.000 Mitglieder -, so dass man eigentlich mal eine Umfrage machen müsste und genau klären müsste, wie viele Menschen tatsächlich dahinter stehen. Das werden wir dann sicher in Angriff nehmen.

    Liminski: Was erzürnt Sie denn an der jetzigen Familienpolitik? Sie hat sich im Vergleich zur rot-grünen Familienpolitik in der ideologischen Ausrichtung doch nicht geändert.

    Steuer: Vorher hatte ich aber noch Wahlfreiheit und Entscheidungsfreiheit. Jetzt ist es so, dass die Wahlfreiheit immer mehr eingeschränkt wird, weil über Geldvergabe und finanzielle Begünstigungen das Familienmodell, was ich lebe, der Einverdienerehe eben, kaum noch gelebt werden kann. Das ist ein Einschnitt in meinen Lebensplan, in meine Privatsphäre, die einfach einen Punkt überschreitet, den ich überhaupt nicht mehr akzeptieren kann.