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Familiennachzug von Flüchtlingen
Wie eine Somalierin in Bayern um ihre Kinder kämpft

Ihre Freundin wurde vor ihren Augen erschossen, ihr Mann verhaftet, sie selbst mehrfach vergewaltigt: Nur ihrer Flucht nach Deutschland hat es die Somalierin Hotman zu verdanken, dass sie noch lebt. Mittlerweile ist sie als Flüchtling anerkannt. Nun will sie ihre Familie nachholen - was nicht einfach ist.

Von Lisa Weiß | 13.01.2017
    Ein Mann bedroht eine Frau.
    Weil sie als junge Frau die Ehe mit einem ihr fremden Mann ablehnte, erlitten Hotman und ihre Familie in Somalia unvorstellbare Gewalt. (picture alliance / dpa)
    Alles fing an, als Hotman noch Schülerin war, in einem Ort in Somalia, an der Grenze zu Kenia. Ein Mann hielt bei ihrem Vater um ihre Hand an – der lehnte ab. Hotman studierte, wurde Krankenschwester, heiratete den Mann, den sie liebte, bekam vier Kinder, ein Mädchen und drei Jungen. Und dachte kaum mehr an ihren ersten Verehrer.
    "Eines Tages ist er aufgetaucht und hat gesagt, ich will dich. Ich habe abgelehnt, gesagt, ich bin verheiratet, habe Kinder, ich kann dich nicht heiraten. Eines Tages, als ich zuhause war, kam er mit drei Männern vorbei und sie haben mich in einen Wald verschleppt, sie haben alles mit mir gemacht, sie haben mich vergewaltigt, alle vier."
    Der Mann war in der Zwischenzeit Führer einer Terrormiliz geworden, sagt Hotman. Er nutzte seinen Einfluss, um ihren Mann und ihren Vater ins Gefängnis zu bringen. Ihre Mutter wurde von seinen Truppen zusammengeschlagen. Mit den letzten Ersparnissen kaufte sie ihren Mann und ihren Vater aus dem Gefängnis frei, doch der Alptraum hörte nicht auf: Milizen erschienen in dem Krankenhaus, in dem sie und ihre beste Freundin arbeiteten.
    "Bevor die Männer reingekommen sind, hat meine Freundin sie gesehen. Ich habe mich versteckt und die Männer haben sie dreimal gefragt, wo ich sei. Sie hat immer gesagt, sie weiß es nicht. Als sie das letzte Mal gefragt haben, haben sie auf sie geschossen. So ist sie gestorben."
    Drei Tage später stand der Anführer der Miliz selbst vor Hotmans Haus. Sie und ihr Mann waren zuhause.
    "Ich habe gesagt, ich will nicht fliehen. Er hat mich gebeten, hat gesagt, tu es für unsere Kinder, für dein Leben. Du musst raus aus diesem Land. Du hast keine Chance hier zu überleben, solange dieser Mann lebt."
    Flucht als einzige Chance
    Hotman sah keine andere Wahl mehr – sie ließ ihren Mann und ihre Kinder zurück, floh auf der Stelle. Sie schaffte es nach Deutschland – und ist mittlerweile hier als Flüchtling gemäß der Genfer Konvention anerkannt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hält sie für glaubwürdig. Doch Hotman hat große Angst um ihre Familie – die Terrormiliz und ihr Anführer bedrohen sie weiter.
    Ihr Mann ist mittlerweile selbst nach Sambia geflohen, ihre Kinder leben versteckt bei Verwandten in Somalia. Eigentlich dürfte sie als Flüchtling ihre Familie nach Deutschland holen. Eigentlich. Doch in der Praxis ist das mit Angehörigen in Somalia sehr schwierig, sagt Rechtsanwalt Hubert Heinhold. Denn es gibt keine deutsche Botschaft in Somalia – der Mann und die Kinder müssen nach Nairobi in Kenia, um ein Visum zu bekommen.
    "Das Hauptproblem ist, wie kommen die Kinder nach Kenia. Kenia kontrolliert in der letzten Zeit sehr scharf die Grenzen, weil sie selber sehr viele Flüchtlinge haben, weil die Al-Kaida auch auf kenianischem Gebiet aktiv ist. Also man kommt über die Grenze nur dann, wenn man viel Geld hat, wenn man Schmiergeld zahlt oder sich sonst irgendwie durchschleusen lässt."
    Geld, das Hotman nicht hat – und ihre Familie schon gar nicht. Ein weiteres Problem: Die Botschaft fordert somalische Pässe – die sind für die Kinder schwer zu beantragen, wenn beide Eltern im Ausland sind. Außerdem werden sie oft gefälscht, sagt Rechtsanwalt Heinhold. Es dauere oft Wochen oder Monate, einen Termin bei der Botschaft in Nairobi zu bekommen und sollte Hotmans Familie dann endlich ein Visum bekommen, muss sie auch noch für die Flüge bezahlen, so Heinhold.
    "Die relativ strenge und restriktive Haltung geht meines Erachtens nicht mit der EU-Familiennachzugsrichtlinie in Einklang. Dort ist ausgeführt, dass der Familiennachzug zu Flüchtlingen erleichtert werden soll, dass fehlende Dokumente keine Rolle spielen sollen, das wird in der deutschen Praxis nicht berücksichtigt."
    Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, es sei nicht möglich, auf das persönliche Erscheinen der Familienangehörigen zu verzichten – man brauche Fingerabdrücke für die biometrischen Visadaten, außerdem seien Befragungen wichtig, gerade weil Dokumente so leicht gefälscht werden können. Zu den Problemen, über die Grenze zu kommen, schreibt das Auswärtige Amt:
    "Antragstellern aus Somalia gelingt es regelmäßig, in der Botschaft in Nairobi vorzusprechen und ein Visum zu beantragen."
    Getrennte Familien als Mittel der Abschreckung
    Außerdem stehe auch in der EU- Familiennachzugsrichtlinie, dass einem Antrag auf Familiennachzug Unterlagen beizulegen sind, mit denen die Identität geprüft werden kann. Insgesamt kommt das Auswärtige Amt zum Schluss:
    "Die Bundesregierung tut alles, was zu leisten und zu verantworten ist, um eine Einreise der Familienangehörigen so schnell und so einfach wie möglich zu erreichen."
    Anwalt Hubert Heinhold sieht das ganz anders: Für ihn hat das strikte Vorgehen, haben die vielen Forderungen Methode:
    "Weil man die Erschwerung des Familiennachzugs auch als Mittel der Steuerung begreift. Es soll abschrecken, man nimmt in Kauf, dass die Kinder und die Eltern getrennt bleiben, um andere davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen."
    Hotman will jedenfalls nicht aufgeben – sie versucht weiter, irgendwie ihre Familie ins sichere Deutschland zu holen.