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Familienpolitik
"Betreuungsgeld fördert keine falschen Rollenbilder"

Bayerns Familienministerin Emilia Müller hat sich zuversichtlich geäußert, dass das Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Das Gericht müsse im Sinne der Wahlfreiheit von Eltern entscheiden, betonte die CSU-Politikerin im Deutschlandfunk.

Emilia Müller im Gespräch mit Christiane Kaess | 15.04.2015
    Die bayerische Familienministerin Emilia Müller diskutiert in einer Fernsehsendung.
    "Es obliegt nicht dem Staat, vorzugeben, wie eine Familie zu leben hat", sagte die bayerische Familienministerin Emilia Müller im Interview mit dem Deutschlandfunk. (imago/EPD)
    Sie gehe davon aus, dass an der öffentlichen Fürsorge in der Kompetenz des Bundes nicht gerüttelt werde, sagte Müller. Auch zwinge das Betreuungsgeld niemanden, zuhause zu bleiben und fördere auch keine falschen Rollenbilder, betonte die Staatsministerin für Soziales und Familie in Bayern.
    "150 Euro entscheiden nicht darüber, ob jemand berufstätig ist", sagte Müller. Eltern müssten selber bestimmen können, ob sie ihr Kind in eine Krippe geben oder zuhause betreuen. Diese Vielfalt müssten die Richter bei ihrer Entscheidung gewährleisten und die Wahlfreiheit der Eltern stärken, forderte die CSU-Politikerin.
    "Bund muss in der Verantwortung bleiben"
    Außerdem würden die Eltern, die ihre Kinder nicht in eine Kita geben wollten und deshalb zurzeit das Betreuungsgeld bezögen, mit der Leistung rechnen: "Man kann sich nicht über die Köpfe von 400.000 Eltern hinwegsetzen", so Müller.
    Das Bundesverfassungsgericht verhandelt seit gestern über die Verfassungsmäßigkeit des Betreuungsgeldes. Die Kläger sehen mehrere Grundrechte verletzt. Die Bundesregierung verteidigt ihr Gesetz.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es war eine Herzensangelegenheit der CSU, so viel steht fest zum Betreuungsgeld, das dann noch unter Schwarz-Gelb in Berlin gegen viel Widerstand durchgesetzt wurde. 150 Euro pro Monat, wenn Eltern ihr Kind unter drei Jahren nicht in eine staatliche Kindertagesstätte bringen, sondern zuhause betreuen. Und das Betreuungsgeld ist durchaus populär. Zuletzt waren es fast 400.000 Familien, die es bezogen haben. Kritiker führen an, die staatliche Leistung unterstütze ein überholtes Familienmodell und bremse die frühkindliche Bildung. Seit gestern prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Betreuungsgeld auch verfassungskonform ist. Es darf der Gleichberechtigung nicht im Wege stehen und außerdem ist die Frage, ob der Bund überhaupt für so eine Leistung berechtigt ist. Geklagt hatte das Land Hamburg. Am Telefon ist jetzt Emilia Müller. Sie ist bayerische Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration und sie war gestern bei den Verhandlungen in Karlsruhe dabei. Guten Morgen!
    Emilia Müller: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Frau Müller, wir haben es gerade gehört: Hamburg setzt auf öffentliche Kitas und das konterkariert aus Sicht von Hamburg der Bund mit dem Betreuungsgeld. Hamburg meint, der Bund ist nicht zuständig, und das Gericht scheint dieser Argumentation zu folgen. Wird denn das Betreuungsgeld in der jetzigen Form gekippt?
    Müller: Ich bin mal sehr zuversichtlich, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts die Elternkompetenz stärken und auch die Wahlfreiheit der Eltern stärken, und dass die Eltern letztendlich auch selber entscheiden können, ob sie ihr Kind in eine staatlich geförderte Kinderkrippe geben, oder aber, ob sie zuhause das Kind betreuen, privat, vielleicht auch durch die Oma, vielleicht auch durch jemand, den man extra dafür einstellt. Also ich bin der Auffassung, die Richter müssen ganz einfach so entscheiden, dass die Vielfalt gewährleistet wird und dass die Eltern auch das Entscheidungsrecht haben, und das ist verfassungsmäßig natürlich auch so festgelegt.
    "Man kann nicht einfach sich über die Köpfe von 400.000 Eltern hinwegsetzen"
    Kaess: Wenn die Richter so wenig Zweifel gehabt hätten, wie Sie das jetzt vermuten, warum haben sie dann gestern so kritisch nachgefragt?
    Müller: Das ist ja deren Aufgabe. Ich finde, dass das Betreuungsgeld gestern ergebnisoffen verhandelt worden ist, und man muss ja auch immer überlegen und das denken die Richter natürlich auch. Wir müssen daran denken, dass das 400.000 Eltern circa in Deutschland jetzt beziehen, das Elterngeld [Anm. d. Red.: An dieser Stelle ist das Betreuungsgeld gemeint], und man kann nicht einfach sich über die Köpfe von 400.000 Eltern hinwegsetzen, die auch mit dieser Leistung rechnen. Und das ist ja auch eine Anerkennungsleistung des Erziehungsbeitrages der Eltern.
    Kaess: Sie sind weiterhin zuversichtlich. Haben Sie denn zumindest ein bisschen Verständnis dafür, dass Hamburg seine eigene Linie fahren möchte als Land und das Betreuungsgeld lieber in Einrichtungen stecken würde?
    Müller: Ich verstehe die Argumentation Hamburgs. Aber man muss auch unsere Argumentation verstehen. Die Eltern wollen ja auch oft selber die ersten Phasen der Entwicklung des Kindes erleben, die ersten Worte, die ersten Schritte, und viele Mütter wollen diese prägende Phase selbst gestalten und sie wollen auch selbst entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für eine Tagesbetreuung ihrer Kinder ist, ob das jetzt mit einem Jahr ist, mit zwei oder mit drei Jahren. Das muss man schon der Entscheidungsfreiheit der Eltern überlassen und das ist ja auch so festgelegt im Gesetz.
    "Ich bin der Auffassung, dass der Bund hier in der Verantwortung bleiben muss"
    Kaess: Aber gestern ging es ja darum, ob der Bund dafür zuständig ist oder nicht. Sie sind vehement dafür, dass der Bund weiter in dieser verantwortlichen Rolle bleibt?
    Müller: Ich bin der Auffassung, dass der Bund hier in der Verantwortung bleiben muss für die gleichwertigen Lebensverhältnisse.
    Kaess: Es ist ja gestern die Verteidigung für die Bundesregierung von dem Staatssekretär im Familienministerium, von Ralf Kleindiek von der SPD übernommen worden. Der hat als früherer Staatsrat in Hamburg die Klage mit ausgearbeitet. Da hat die CSU schon im Vorfeld angekündigt, sie werde ihn mit Argusaugen beobachten. Wie hat er sich denn unter Ihren Argusaugen gemacht gestern?
    Müller: Er hat sich so verhalten, wie ein Vertreter der Bundesregierung sich verhalten muss. Er hat das Gesetz vertreten und das war auch seine Aufgabe.
    Kaess: Aber Sie fühlen sich trotzdem als vehemente Verfechterin auf verlorenem Posten?
    Müller: Ich fühle mich nicht auf verlorenem Posten und ich gehe davon aus, dass das Gericht entscheidet zum Wohl der Eltern und der Kinder.
    Kaess: Warum, Frau Müller, ist es für Sie so wichtig, dass das Betreuungsgeld auf Bundesebene beschlossen wird? Sie könnten doch als Bundesland in Bayern es auch ohnehin beibehalten.
    Müller: Schauen Sie, der Gesetzgeber hat 2008 in einem Gesamtkonzept auf vielfältige Betreuungslösungen gesetzt, und mit dem Betreuungsgeld wird die familiäre oder privat organisierte Betreuung unterstützt. Alternativ sichert der Rechtsanspruch einen staatlich geförderten Betreuungsplatz. Beide Leistungen sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille, und das muss man schon so sehen. Wir haben das Gesamtkonzept beschlossen, Rechtsanspruch und gleichzeitig das Betreuungsgeld, und das wollen wir auch gerne so beibehalten.
    "Unsere ein- und zweijährigen Kinder brauchen die absolute und besondere Fürsorge"
    Kaess: Sie haben vorhin selbst diesen Punkt Verlässlichkeit angesprochen. Es sind ja schon unter Schwarz-Gelb, als das Betreuungsgeld eingeführt wurde, verfassungsrechtliche Bedenken angesprochen worden. Warum hat man das damals nicht direkt ausgeräumt, anstatt jetzt eventuell diese Verunsicherung zu den Familien zu bringen, die das Betreuungsgeld schon bezogen haben?
    Müller: Ich bin der Auffassung, dass das Gesetz neutral formuliert worden ist, mit großer Sachkompetenz, und jetzt liegt es natürlich am Gericht, die Entscheidung zu treffen, ob dieser Artikel 72, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, auch standhält. Bei der öffentlichen Fürsorge, auch in der Kompetenz des Bundes, da muss man eindeutig sagen: Unsere ein- und zweijährigen Kinder brauchen die absolute und besondere Fürsorge, und darum gehe ich davon aus, dass daran nicht gerüttelt wird.
    Kaess: Aber gerade bei den gleichwertigen Lebensverhältnissen, was Sie gerade angesprochen haben, da ist ja ganz offensichtlich, dass das Betreuungsgeld eigentlich zur Ungleichheit beiträgt, denn egal ob arm oder reich, jeder bekommt es.
    Müller: Das ist richtig. Aber man muss ja immer wieder sagen: Eltern entscheiden selbstständig, wer sich um die Kinderbetreuung kümmert, ob das zum Beispiel jetzt ein Vater ist oder eine Mutter ist. Das Betreuungsgeld vollzieht die Entscheidung nach. Und ob man dann den Rechtsanspruch in Anspruch nimmt auf einen Kita-Platz, oder ob man jetzt zum Beispiel das Betreuungsgeld in Anspruch nimmt, ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Faktor für die Eltern. Gleichzeitig muss der Staat dafür die Voraussetzungen setzen, und das wird getan durch die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.
    Kaess: Frau Müller, es bleibt so ein bisschen der Eindruck, die CSU wollte eine Forderung durchsetzen, um konservative Wähler zu bedienen, auch mit dem Risiko, Familien zu verunsichern, falls das Betreuungsgeld jetzt tatsächlich wieder abgeschafft wird.
    Müller: Nein, wir sehen die Vielfalt in unserer Gesellschaft und die unterschiedlichen Lebensmodelle, und es obliegt nicht dem Staat vorzugeben, wie eine Familie zu leben hat und die Kinderbetreuung zu organisieren hat. Das ist nicht in unserem Sinn.
    "150 Euro entscheiden nicht darüber, ob jemand berufstätig ist oder nicht"
    Kaess: Aber bleiben wir noch mal bei diesen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht ist ja noch gar nicht durch mit allem. Es wird zum Beispiel auch noch gehen um die Gleichberechtigung. Die muss der Staat laut Gesetz fördern. Gefördert wird aber - das wissen wir mittlerweile - ein antiquiertes Rollenmodell, die Frau bleibt zuhause, denn zu 95 Prozent sind es ja Frauen, die zuhause bleiben, um das Betreuungsgeld in Anspruch zu nehmen.
    Müller: Ich muss das noch mal wiederholen. Es ist eine Förderung für die Eltern und Väter und Mütter entscheiden natürlich selber, wie sie zum Beispiel ihr Lebensmodell gestalten. Und man kann davon ausgehen, dass 150 Euro mit Sicherheit nicht entscheiden darüber, ob jemand berufstätig ist oder nicht. Ich glaube auch nicht, dass man hier ein falsches Rollenbild fördert, denn man kann nämlich auch das Betreuungsgeld parallel zur Erwerbstätigkeit auch beziehen. Das ist gar keine Frage. Und auch die Männer können das Betreuungsgeld beziehen. Es ist nicht nur eine Sache der Frau alleine, sondern Erziehung ist eine Angelegenheit beider Elternteile.
    Kaess: Aber Sie können doch nicht ignorieren, wie jetzt Studien belegen, dass das Betreuungsgeld ein Anreiz ist für Frauen, zuhause zu bleiben.
    Müller: Das ist nirgendwo belegt.
    Kaess: 95 Prozent der Bezieher sind Frauen.
    Müller: Ja, stellen den Antrag. Aber jetzt muss man mal sagen: Bei uns zum Beispiel in Bayern wird der Antrag auch vorformuliert, weil er im Anschluss an das Elterngeld auch den Eltern weitergegeben wird, und in der Regel stellen Frauen den Antrag für das Elterngeld und kriegen dann nachher in derselben Adresse natürlich auch den Antrag für das Betreuungsgeld. Das ist die eine Variante. Die andere Variante ist, dass wir natürlich gesellschaftlich nach wie vor so geprägt sind, in Gesamtdeutschland übrigens und auch in Europa, dass in erster Linie mal die Frau strukturell für die Kinderbetreuung zuständig ist. Es ist notwendig, dass Männer und Frauen sich um die Kinderbetreuung kümmern und dass man das nicht auf den Schultern der Frauen ablädt, aber dennoch muss man sagen, man muss doch die gesellschaftliche Struktur auch zur Kenntnis nehmen. Das Betreuungsgeld zwingt niemand, zuhause zu bleiben, sondern ganz im Gegenteil.
    Kaess: Sagt Emilia Müller, die bayerische Sozialministerin. Danke für dieses Interview heute Morgen, Frau Müller.
    Müller: Ich danke auch, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.