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Fangesänge
Die Hoffnungshymne

Es ist der perfekte Titel, um die Niederlage der eigenen Mannschaft zu verkraften. "You'll never walk alone". Der Musicalsong vom Broadway hat es zunächst in die Fußballstadien geschafft und nun wird er in Kirchen angestimmt. Auch Gottesdienste brauchen manchmal große Gefühle.

Von Udo Feist | 08.07.2016
    Der Schatten von Gospelsängerinnen und Sängern.
    Ein Gospel-Chor (AFP / Flippo Monteforte)
    "Walk on, walk on..."
    "Und er löst immer die Gänsehaut aus, die auch heute in der Kirche gekommen ist, klar 130 ... 136 ich denke, es ist die Song, die Geschichte, die jeder damit verbindet, 139 und einfach die Melodie, die langgezogenen Töne, den Text, den jeder mitsingen kann.", sagt ein Gottesdienstbesuche. Gänsehaut, bei einigen auch Tränen. Dazu kommt es immer in der Dreifaltigkeitskirche in Dortmund, wenn zum Schluss der BVB-Gottesdienste "You’ll Never Walk Alone" gesungen wird ... "Du brauchst nie alleine zu gehen" ... Im Stadion singen sie‘s vor dem Anstoß. Auch der gestandene Organist Manfred Preuß ringt da mit seiner Fassung. Dabei sollte gerade er doch eigentlich cool bleiben. "Das fällt schwer. Also ich konzentriere mich natürlich auf die Musik auf die Noten, auf mein Spiel, auf die Begleitung, 103 aber es sind doch schon Emotionen da drin. Klar, Musik hat immer was mit Gefühl und Emotion zu tun 04 ... 05 also Friedrich Nietzsche hat mal gesagt: Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum 09 ... 29 es ist auch im Stadion immer wieder ein besonderer Moment 34
    Preuß ist stolz, es auch hier in der Kirche spielen zu dürfen. Auf Beerdigungen ist "You’ll Never Walk Alone" inzwischen ebenfalls häufiger zu hören. Ohne Taschentuch geht dann gar nichts mehr. Und als im Frühjahr im Stadion ein BVB-Anhänger während des Spiels verstarb, stimmten die andern Fans es nach dem Abpfiff an.
    Pfarrerin Carola Theilig sagt: "Da ist so eine Sehnsucht nach Gemeinschaft, naja, 26 man kann da auch was Religiöses drin sehen, wenn man möchte, also dieses 33 also Gott ist ja immer bei uns, 34 aber wir wünschen uns natürlich auch, dass Menschen mit uns gehen 37 ... 46 ich glaub, da ist so eine ganz tiefe Sehnsucht, die da ausgedrückt wird in dem Lied, und deshalb sind Leute immer bewegt 53 ... 101 ist schön."
    Pfarrerin Carola Theilig ist selbst immer tief berührt. Neues geistliches Liedgut ist "You’ll Never Walk Alone" aber nicht - sondern ein Song des Broadway-Erfolgsduos Richard Rogers und Oscar Hammerstein. In ihrem Musical "Carousel" schickt es der im Leben gestrauchelte Vater aus dem jenseits an seine kleine Tochter, die es im Leben schwer hat. Die Botschaft: Auch wenn’s düster ist – du bist nicht allein! Auf die Premiere 1945 folgten fast tausend ausverkaufte Vorstellungen. Viele Kriegerwitwen mit vaterlosen Kindern fanden hier Trost. Und "You’ll Never Walk Alone" wurde Teil des Kanons im "American Songbook" – Frank Sinatra, Doris Day, Ray Charles, Mahalia Jackson, sogar Elvis Presley nahmen den Song auf. Auch der gottbegeisterte Johnny Cash.
    Tiefe Sehnsucht, hart am Kitsch, so sind wir nun mal. Vorlage für das Musical war das Drama "Liliom" des österreichisch-ungarischen Juden Ferenc Molnár, der vor den Nazis nach New York flüchtete. Die Verfilmung des Musicals sah dann zufällig in Liverpool der Merseybeat-Musiker Gerry Marsden: Gerry & The Peacemakers brachten "You’ll Never Walk Alone" 1963 als Single heraus.
    "When you walk through the storm/hold your head up high"
    Die Ballade wurde ein Charthit. Und als solcher vor Spielen auch im Liverpool-Stadion an der Anfield Road gespielt - die Fans sangen so leidenschaftlich mit, dass es rasch zu ihrer Hymne wurde. 1971 war ihr Stadiongesang schon so vertraut, dass Pink Floyd ihn in ihr Stück "Fearless" einbauten.
    Von Liverpool fand "You’ll Never Walk Alone" später auch den Weg in die Stadien auf dem Festland. Bei uns waren es Ende der 80er die St. Pauli-Fans, die damit begannen. Borussia Dortmund zog 1996 nach, allerdings auf Initiative der Vereinsführung - weshalb so mancher von den hartgesottenen Fans bis heute damit hadert, von Gefühlen geschüttelt dann aber trotzdem inbrünstig ebenfalls mitsingt. 7
    Längst ist "You’ll never walk alone" auch in anderen Stadien zu hören. Besonders ergreifend war es 2009 in Hannover bei der Trauerfeier für Nationaltorwart Robert Enke, der sich umgebracht hatte. Eine 17-Jährige sang, 35.000 weinten.
    "Du brauchst nie alleine zu gehen": Die Liebe bleibt, doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Offenbar ein Psalm unserer Zeit. When you walk through the storm/hold your head up high/ob ich schon wanderte im finstern Tal/du bist bei mir/dein Stecken und Stab trösten mich. – Ob im Stadion oder in der Kirche.
    Wie sagte noch die Dortmunder Pfarrerin? "So eine Sehnsucht nach Gemeinschaft, 23 ... 41 das ist im Fußball ja so, dass man da so eine Gemeinschaft fühlt 45 oder in einer Partnerschaft ist es ja auch so 46 ich glaub, da ist so eine ganz tiefe Sehnsucht, die da ausgedrückt wird in dem Lied, und deshalb sind Leute immer bewegt 53 ... 101 ist schön (lacht)"