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"Fantasie und Verspieltheit holen mich beim Schreiben ganz automatisch ein"

Zehn Romane hat David Foenkinos in den vergangenen zehn Jahren veröffentlicht. "Souvenirs", sein neuester Roman, spielt wieder mit den bekannten Zutaten zwischen Träumerei und harter Realität, einer voltenreichen Handlung und einem teils exzentrischen Erzählstil.

Von Cornelius Wüllenkemper | 12.12.2012
    Nach einer Ehe in "routinemäßig gereizter Stimmung" stirbt sein Großvater infolge eines Unfalls im Badezimmer. Seine Großmutter lässt sich nur widerwillig in ein Altenheim abschieben, er selbst ist Nachtportier in einem Hotel und unternimmt verzweifelte Gehversuche als Schriftsteller. Eigentlich weiß er überhaupt nicht, was er mit diesem Leben, in dem gewohnheitsgemäß einfach nur eine Generation der anderen folgt, anfangen soll. Der namenlose Erzähler in David Foenkinos Roman "Souvenirs" lebt in einer denkbar tristen Welt.

    Ich träumte damals davon, Schriftsteller zu werden. Das heißt, ich träumte eigentlich nicht. Man kann sagen, ich schrieb und hatte nichts dagegen einzuwenden, dass dieser neuronale Reiz mir ungemein half, meine Tage herumzubringen. Dieses Jahr, in denen meine Zukunft im Ungewissen lag, sind mir noch immer sehr gegenwärtig. Alles hätte ich darum gegeben, hätte ich die Grundzüge meines Erwachsenwerdens erkennen können, hätte man mir gesagt, keine Sorge, du wirst deinen Weg schon machen. Aber es bewegte sich eben nichts vorwärts, daran war nicht zu rütteln.

    Und so wartet er Nacht für Nacht hinter der Hotelrezeption, dass sein "schlummerndes Genie" wachgerüttelt werde. Trostlos geht es freilich auch in der Elterngeneration zu: Während die Großmutter im Altenheim ins Nichts starrt, erreichen seine Eltern, ein leitender Bankangestellter und eine Lehrerin am Collège, das Rentenalter. Er entdeckt seine ebenso eruptive wie unglaubwürdige Leidenschaft für den italienischen Kunstfilm, während sie sich auf eine Reise durch die orthodoxen Kirchen Russlands begibt. Ein Trauerspiel, das David Foenkinos in seinem Roman mit allerlei erzählerischen Knalleffekten anreichert. Mit subtiler, schneidender Ironie erzählt sein Held von der Ausweglosigkeit der Lebenssituationen seiner Figuren, von der eigenen Orientierungslosigkeit, von der Rentnerdepression seiner Eltern und vom Unverständnis und peinlichen Schweigen zwischen den Generationen. David Foenkinos:

    "Ich hatte eigentlich nicht vor, eine Burleske zu schreiben. Aber die Fantasie und die Verspieltheit holen mich beim Schreiben ganz automatisch ein. Selbst wenn es um die komplizierten und schmerzhaften Themen des Lebens geht. Die ersten Seiten des Buches handeln vom dramatischen Tod des Großvaters, später geht es dann um den Umzug der Großmutter ins Altenheim - aber auch da schleicht sich das Burleske ein. Schauen Sie sich nur die grotesk beschönigenden Speisezettel im Altenheim an - man glaubt, in einem Drei-Sterne-Restaurant zu sitzen! Für mich war der Humor schon immer ein Katalysator, um die Leere auszufüllen."

    Foenkinos tanzt gekonnt zwischen der deprimierenden Ausgangssituation seines Plots und der Perspektive, dass letzten Endes und auf vielen Umwegen, jede seiner Figuren durch freilich oft genug slapstickhafte Volten und unwahrscheinliche Zufälle überrascht und in kleine und große Abenteuer gezogen wird. Psychologisch unterfüttert er dabei seine Figuren mit deren "Erinnerungen" an vergangene Zeiten, die Foenkinos immer wieder in kurzen Kapiteln einstreut und die verdeutlichen sollen, wie es zum gegenwärtigen Unglück kommen konnte. Im Mittelpunkt steht der Icherzähler, von seinen Eltern vernachlässigt, und weltscheu, der sich mit Mitte zwanzig ganz und gar in seinen Träumen vom unentdeckten Schriftsteller eingerichtet hat. David Foenkinos:

    "Ich denke, als Schriftsteller braucht es eine gewisse Lebenserfahrung und auch Leichtigkeit, mit der man der Wirklichkeit begegnet. Mein Erzähler ist da etwas vorschnell: Er behauptet Schriftsteller zu sein, bevor er überhaupt ein Thema hat, über das er schreiben könnte. Er ist ein ziemlich romantischer Typ. Auch sein Verhältnis zu Frauen spielt sich eigentlich nur in seiner Fantasie ab, sie tauchen in seinem Leben auf, bevor sie überhaupt existieren! Auch da kommt er mit den Phasen seines Lebens durcheinander."

    Und dann, plötzlich, als alles stillzustehen scheint, jede Generation auf ihre Weise in der eigenen Lebensphase gefangen, verunsichert, und am Boden zerstört ist, löst sich die Erstarrung, allerdings leider erst nach 100 Seiten Lektüre: die Großmutter verschwindet aus dem Altersheim, ist unauffindbar. Nur eine Postkarte erhalten die Zurückgebliebenen, auf der sie schreibt, dass es ihr gut gehe, sie nur noch etwas zu erledigen habe. Erst durch die Suche nach ihr findet die Familie wieder näher zueinander. Anders als oft vermutet, hat David Foenkinos keinen autobiografischen Roman über seine Generation geschrieben. Mindestens ebenso intensiv beschäftigt er sich mit dem Schicksal alter Menschen und der einschneidenden Einsicht, auf Hilfe angewiesen zu sein.

    "Souvenirs" ist eigentlich kein Generationenroman, jedenfalls hatte ich nicht diesen Anspruch, als ich meine Figuren entworfen habe. Natürlich freut es mich, wenn die Leser sich in der einen oder anderen Figur wiedererkennen. Aber mir geht es vor allem um individuelle Charakterisierungen. Mein Roman handelt vielmehr von verschiedenen Generationen und ihrem Verhältnis zueinander. Es geht um den Lebensabend von Großeltern und um das Pensionsalter der Eltern und ihr Verhältnis zu ihren Kindern: das große, fortwährende Missverständnis zwischen dem jungen Erzähler und seinen Eltern."

    Wie unterhaltsam und fantasiereich David Foenkinos die Konflikte zwischen Kindern, Eltern und Großeltern auch erzählt, die Charakterisierung der Figuren erschöpft sich leider in recht klassischen sozio-psychologischen Versatzstücken und gängigen Klischees über die Generationen, die angefüllt werden mit einigen exzentrischen Einfällen. Da wäre der Vater, dessen größtes Lebensglück es ist, einen Parkplatz zu finden. Dazu die Mutter, die wegen Depressionen in einer psychatrischen Klinik behandelt wird und mit einem Lover durchbrennt, der jünger ist als ihr eigener Sohn. Und dann der Icherzähler, den neben seinem allgemeinen Weltschmerz einige besondere Leidenschaften auszeichnen, nämlich für Suppen, für Schweizerinnen und für die deutsche Sprache. Wer David Foenkinos vorherige Romane gelesen hat, kennt diese auf Dauer etwas albern wirkenden Einfälle bereits. In "Souvenirs" können sie allenfalls als Hoffnungsschimmer auf einen Rest an Individualität seiner Figuren gelten.

    "Natürlich können solche Einfälle einen Roman bereichern, aber gleichzeitig kann es nicht darum gehen, eine Ansammlung von guten Sprüchen und exzentrischen Ideen zu produzieren, an denen sich der Leser dann bedienen kann. Es geht um die Geschichte, den Charakter und die psychologische Struktur der Figuren. Wenn sich der Erzähler völlig übertrieben über das Vorstadthäuschen seiner Eltern aufregt, dann hat das eine ganze Menge mit der Geschichte zu tun. Schließlich muss man sich früher oder später über seine eigenen Eltern aufregen!"
    Auch die erzählerischen Einfälle, wie Fußnoten, in denen der Erzähler seinen eigenen Bericht kommentiert, oder eingeschobene biografische Exkurse über Nebenfiguren der Handlung, wirken wie zwar amüsante, aber dabei doch arg verspielte literarische Effekte. Am Ende findet jede Generation ihren Platz, und sogar der verhinderte Schriftsteller hat bis dahin so viel erlebt, dass er endlich genug Stoff für einen Roman hat. Foenkinos Erzählung vollzieht eine deutliche Wandlung: die Themen Alter, Krankheit und Tod, von denen der Erzähler zunächst fast besessen scheint, weichen schließlich einer Zukunftsperspektive, nämlich der der jungen Generation, die trotz geplatzter Träume und gebrochener Herzen ihren Weg verfolgt. In "Souvenirs" geht es um die Suche nach der großen Liebe, um Einsamkeit und Unverständnis, um Lebensträume und die Schwierigkeiten des Älterwerdens. David Foenkinos bringt dies alles gekonnt in seinem Roman unter, und trotz einiger angestrengt wirkender sprachlicher und erzählerischer Wendungen kann "Souvenirs" sein Versprechen einlösen: Nach 333 Seiten wird der Leser immerhin mit der nicht mehr ganz neuen Erkenntnis entlassen, dass es zur Selbstverortung Erinnerungen braucht, und dass ein ironisch- verspielter Blick auf die Widrigkeiten im Leben manchmal schon ausreicht, um irgendwann einmal ans Ziel zu kommen.
    David Foenkinos:
    Souvenirs. C H Beck, München 2012, aus dem Französischen von Christian Kolb. 333 Seiten, 17,95 Euro