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Fassbinder von einer neuen Seite

Rainer Werner Fassbinder ist 1982 im Alter von nur 37 Jahren gestorben und trotzdem einer der wichtigsten Vertreter des sogenannten Neuen Deutschen Films. Seine Arbeiten beeinflussen Künstler bis heute, wie die Ausstellung "Fassbinder - Jetzt" in Frankfurt zeigt.

Von Kirsten Liese | 30.10.2013
    Ausgewählte Skizzen, Storyboards, Entwürfe und stark abgenutzte Notizblöcke mit Brandlöchern von Zigaretten und Kaffeeflecken aus Rainer Werner Fassbinders Nachlass sind die kostbarsten Entdeckungen der Frankfurter Ausstellung. Sie bieten einen direkten Zugang zur Gedankenwelten eines unermüdlich Kreativen, der seine Drehbücher in einem rasanten Tempo entwarf.

    "Gangster sind unsere Götter, der Kapitalismus ist eine Pest", hat Fassbinder handschriftlich auf der Rückseite eines Formulars der Bavaria Film vermerkt. Und in einem Brief an den Filmverlag der Autoren legt er 1978 dar, dass er den Bundesfilmpreis für seinen Beitrag zum Episodenfilm "Deutschland im Herbst" aus moralischen Gründen verweigert.
    Schon zu seinen Lebzeiten hatten wohl allerdings viele Menschen ein falsches Bild von dem intellektuellen Autorenfilmer, der nicht an das Gelingen einer Revolution glaubte, sagt Juliane Maria Lorenz, die Präsidentin der Berliner Fassbinder Foundation und Fassbinders letzte Lebensgefährtin:

    "Das hat er mir schon ziemlich früh mal gesagt: vergiss die 68er. Wer füllt den Kühlschrank, wer bringt die Leute zum Kacken? Sie müssen was tun, um was zu verändern. Ihm ging das Reden auf den Keks. Er wollte verändern, in dem er was tat. Er liebte Willy Brandt, er war ein politischer Mensch, und wir liebten alle Willy Brandt. Mit ihm konnte man sagen, wir haben ein besseres Deutschland."

    Im Grunde hätten Fassbinders schriftliche Dokumente und Auszüge aus Interviews mit ihm alleine eine sehenswerte Ausstellung ergeben. Es macht aber doch Sinn, dass das Deutsche Filmmuseum sich dem bedeutendsten Nachkriegsregisseur einmal von anderer Seite nähert. Schließlich beschäftigte er sich mit Themen, die heute noch relevant sind: emotionale Ausbeutung als Grundlage von Beziehungen, die Ehe als bürgerliche, an staatliche Interessen gekoppelte Institution oder ökonomischer Leistungsdruck in einem kapitalistischen System. So gesehen ist Fassbinders Oeuvre sehr aktuell, sagt Anna Fricke, die Kuratorin der Ausstellung:

    "Man interessiert sich immer für die Vätergeneration letztlich. Und während sich Fassbinder viel am Holocaust und am nationalsozialistischen Regime abgearbeitet hat, ist es jetzt so, dass er selbst quasi als Bezugspunkt dient. Und die Generation von Videokünstlern, die wir ausgesucht haben, sind alle zwischen '69 und '74 geboren, bilden wiederum auch eine Generation, die jetzt Fassbinder für sich weiterdenkt."

    Nicht bei allen in Frankfurt präsentierten Video-Installationen lässt sich allerdings auf den ersten Blick ein Bezug zu Fassbinder erkennen, einige wirken etwas kunstgewerblich. In einem Kurzfilm des belgischen Videokünstlers Tom Geens werden dagegen thematische und ästhetische Parallelen zu Fassbinder deutlich sichtbar. "You’re The Stranger Here" ist ein bewegendes Drama um ein von seinem Vater missbrauchtes Mädchen und seine unter Schuldgefühlen und Panik leidende Mutter. Sowohl die allgegenwärtige Präsenz von Gewalt bis hin zu blutigen Exzessen als auch die auf starke Kontraste setzende Farbgebung und die stark geschminkte Protagonistin in mondäner Abendrobe erinnern unverkennbar an Fassbindern.

    Im Gegensatz dazu erweisen die Arbeiten des in Berlin lebenden Asiaten Ming Wong dem Regisseur Fassbinder auf erfrischende Weise Reverenz. Er ist ein Comedian, der reale und kulturelle Differenzen mittels der Parodie aufzeigt. In seinem 27-minütigen Loop "Angst essen" reinszeniert er humorvoll-skurril Fassbinders Melodram "Angst essen Seele auf" um eine ältere Frau und einen schwarzen Marokkaner. Ming Wong spielt sämtliche Figuren mit unterschiedlichen Kostümen, Perücken und Make-Ups selbst und spricht alle Dialoge in gebrochenem Deutsch.
    Fassbinder selbst hat 1977 gesagt: "Jeder leidet in einer Gesellschaft, die von den Leuten alles mögliche verlangt, ohne ihnen je die Entscheidung darüber zu lassen, was sie selbst eigentlich wollen". Diese Behauptung spiegelt sich letztlich in allen seinen Werken:

    Filmclip aus "Angst vor der Angst": "Das bin also ich. Ich. Ich? Was ist das? Was ist das Ich?"