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Fast der Leidensweg
Der Verlauf der Via Dolorosa in Jerusalem

Für Christen aus aller Welt ist die Via Dolorosa jene Straße, die Jesus vor seinem Tod vom Amtssitz des römischen Statthalters Pontius Pilatus bis zur Hinrichtungsstätte auf dem Hügel Golgatha zurücklegen musste. Doch es hat sich viel verändert.

Von Barbara Weber | 06.04.2015
    Ein palästinensischer Mann trägt ein Kreuz an den Beginn der Via Dolorosa in Jerusalem zurück.
    Strecke der Prozession auf der Via Dolorosa in Jerusalem (picture alliance / dpa / Jim Hollander)
    Da der Weg zu seiner Kreuzigung führte, ist die Straße heute mit verschiedenen Stationen als Kreuzweg ausgestaltet. Doch in den zurückliegenden 2.000 Jahren hat sich viel verändert.
    Karfreitag. Altstadt Jerusalem. Christen aus aller Welt sind eingetroffen, um den Leidensweg Jesu singend und betend nachzugehen. Einige tragen Kreuze auf der Schulter. Was viele der hier Singenden und Betenden nicht wissen:
    "Wir sind in Jerusalem nicht auf dem Gebiet, wo Jesus gelebt hat und auch nicht, wo er gelaufen ist", sagt Professor Dieter Vieweger, evangelischer Theologe und Archäologe. "Da, wo Jesus gelaufen sein kann, ist man genau 14 Meter unter dem heutigen Gebiet, also jeder Tourist, der jetzt meint, ach, ich laufe jetzt auf den Fußstapfen von Jesus Christus, muss einfach wissen, er schlappt da absolut oben drüber."
    Dieter Vieweger muss es wissen, beschäftigt er sich doch als Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaften des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman von Berufswegen mit dem Thema.
    Einer seiner zahlreichen Arbeitsplätze liegt direkt im Herzen der Jerusalemer Altstadt: die evangelische Erlöserkirche, nur einen Steinwurf entfernt von der Grabeskirche, der letzten Station der Via Dolorosa.
    Der Weg dorthin führt ihn vom Damaskus Tor durch die engen, verwinkelten Gassen der arabischen Altstadt. Links und rechts säumen kleine Marktstände mit exotischen Gewürzen den Weg. Bunte Stoffe bieten die Händler an, Töpfe und Süßigkeiten.
    "Das sind so die wahren Wunder von Jerusalem: Das sind so diese Süßwarengeschäfte. Es liegt alles offen da. Jeder würgt mit seinen Händen da drin rum. Man kauft auch davon. Aber es sind keine nennenswerten Epidemien bekannt, die nun das alles mit sich bringt. Die wahrhaften Wunder Jerusalems sind doch ein bisschen im Verborgenen."
    Es geht durch Torbögen, über Stufen, entlang dicker Mauern. Kapellen, Kirchen und Kreuze markieren die einzelnen Stationen der Via Dolorosa.
    "Das ist die achte Station."
    Dieter Vieweger deutet auf ein Kreuz an einer dicken Mauer, die zu einem griechisch-orthodoxen Kloster gehört.
    "Um die Ecke ist dann die neunte, und man geht bis zur 14. Station, das heißt, bis in die Grabeskirche hinein, den Kreuzweg, den man in jeder katholischen Kirche hat, geht man hier lang. Der historische Weg, den man heute geht, die Via Dolorosa, ist mitnichten, in keiner Weise der, den Jesus gegangen sein kann."
    Das Geheimnis des echten Kreuzwegs findet sich in der evangelischen Erlöserkirche und hängt eng mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. zusammen. Der ließ sich ein Areal neben der Grabeskirche vom damals zuständigen Osmanischen Reich schenken.
    "Die Kirche ist 1898 geweiht worden, und zwar von dem deutschen Kaiser Wilhelm II., der ist tatsächlich hierhergekommen, um das zu tun, es war der Höhepunkt seiner Orientreise, die er nicht als allererstes als Machthaber durchgeführt hat, sondern einen großen Teil als Pilger."
    Während der Grabungs- und Bauarbeiten zu der Kirche kam es zu einem unerwarteten Fund:
    "1893 geschieht dann hier die riesengroße Sensation, denn unter uns, genau, wo wir stehen, wird eine dicke Mauer gefunden. Und das war das Problem der damaligen Zeit: 1893 diskutierte man heiß und heftig, ob die Grabeskirche am richtigen Platz sei."
    Die evangelischen Christen vermuteten das Grab nämlich vor der Stadt in einem Garten, die Katholiken schwörten auf den Fels unter der Grabeskirche. Alle waren zufrieden mit dem Grabungsergebnis: Die Katholiken hatten Recht und die Evangelischen hatten es herausgefunden.
    "Conrad Schick, der Architekt, sagte natürlich sofort, aha, dann haben wir die Stadtmauer, die wir immer suchen, aus der Zeit von Herodes dem Großen gefunden."
    Das war leider falsch, wie Grabungen unter der Kirche aus den 1970er-Jahren gezeigt haben. Die Mauer stammt aus jüngerer Zeit. Doch der Steinbruch, auf dem die Mauer steht, datiert aus der Zeit des Herodes. Das heißt wiederum, dass die benachbarte Grabeskirche an der richtigen Stelle steht über dem Felsen Golgatha. Fragt sich nur, was das für eine Mauer ist. Auch das fanden die Archäologen heraus: Die Mauer stammt nämlich von Kaiser Hadrian, der rund 100 Jahre nach Herodes Jerusalem erweiterte.
    Das zeigt eindrucksvoll ein im Keller unter der Erlöserkirche neu geschaffener Archäologieparcour. Professor Dieter Vieweger ließ die alte Grabung freilegen, sodass sie jetzt für Besucher zugänglich ist. Eine Computeranimation demonstriert die Entwicklung der Stadt und dass die hadrianische Stadt mit ihren Mauern und Toren im Wesentlichen der heutigen modernen Stadt entspricht.
    "Und jetzt zeige ich ihnen mal, wie die Via Dolorosa heute geht und da haben wir ein Problem: Das ist die Via Dolorosa."
    Die die Pilger heute nutzen, das heißt von Nordosten nach Südwesten.
    "Und sie meinen damit, da sei Jesus hergekommen, hier hingekommen und sei, dann hier hingerichtet worden. Das kann nicht sein, weil dieser arme Jesus drei Mal durch die Stadtmauer gegangen ist."
    Wenn man hingegen die biblischen Berichte nicht in der Stadt liest, die man heute hat, sondern wenn man die biblischen Berichte auf die Stadt überträgt, die damals existierte, verläuft die Via Dolorosa anders:
    "Jesus ist irgendwo auf dem Ölberg gefangen genommen worden. Er wird dann in die Stadt geführt, das kann nicht im Norden sein, weil da keine Stadt war, das muss im Süden sein, er muss im Süden in die Stadt geführt werden. Er kommt dann zum Haus des Oberpriesters, das ist irgendwo in dieser Oberstadt gewesen, wir wissen aber nicht wo, aber irgendwo hier. Was wir genau wissen, dass er dann zu Pontius Pilatus musste. Und dessen Palast ist hier, wo heute die Polizeistation ist, und der hintere Teil ist armenisches Viertel. Das ist ausgegraben und ist nachgewiesen. Und es gibt nur ein Nordtor, also erster Zwangspunkt ist, Palast Herodes des Großen, das Zweite ist Nordtor, der dritte Zwangspunkt ist Golgatha, das heißt also, es ist völlig klar, dass die Via Dolorosa von Süden nach Norden gelaufen ist und keinesfalls von Nordosten nach Südwesten. Wobei eins klar ist, Golgatha liegt am richtigen Ort, eine der ganz wenigen Orte in Jerusalem, die am richtigen historischen Ort gezeigt werden. Da ist Archäologie nützlich, dass man sagen kann, Leute, es sah anders aus, es war eine andere Stelle."
    Der Frömmigkeit tut der falsche Kreuzweg keinen Abbruch. Aber für alle, die es genauer wissen wollen, lohnt ein Abstecher in den Keller der Erlöserkirche.