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Ukraine
Angriff auf Maidan-Ausstellung

In Kiew haben Unbekannte in einem Kunsthaus Bilder des Künstlers David Tschytschkan zerstört und gestohlen. Tschytschkan hatte sich in seiner Ausstellung mit dem Erbe der Massenproteste auf dem Maidan-Platz auseinandergesetzt und die Beteiligung von Ultrarechten kritisch aufgegriffen.

Von Florian Kellermann | 18.02.2017
    Mann mit ukrainischer Flagge auf dem Maidan in Kiew
    Proteste auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew im Jahr 2015. (dpa / picture alliance / Sergey Dolzhenko)
    Das Überwachungsvideo zeigt, wie zunächst zwei Männer den Raum betreten. Sie tun so, als wollten sie die Ausstellung sehen. Doch wenig später rufen die beiden eine ganze Gruppe vermummter Personen herein. Sie greifen den Wachmann an und machen sich über die Ausstellung her. Vasyl Tscherepanin machen die Bilder noch immer fassungslos:
    "Das war nicht nur ein Angriff, sondern ein Pogrom mitten am Tag. Gut, dass gerade keine Besucher da waren. 14 Neonazis sind eingedrungen, haben vier Bilder gestohlen und die restlichen zerstört. Sie haben sogar mit Pistolen auf die Bilder geschossen"
    Vasyl Tscherepanyn ist der Direktor des Zentrums für visuelle Kultur in Kiew. Die Einrichtung positioniert sich als linksintellekuell - eine Seltenheit im gegenwärtigen Kulturdiskurs in der Ukraine. Durch den Krieg im Osten gibt es für viele nur noch zwei Arten von Haltungen: Patriotismus oder Verrat am Vaterland.
    Auseinandersetzung mit ultrarechten Protesten
    Genau diesen Verrat werfen Ultrarechte dem Zentrum für visuelle Kultur vor - und besonders der Ausstellung, die sie verwüstet haben. Der Künstler David Tschytschkan thematisiert mit seinen Gemälden und Zeichnungen das Erbe der Massenproteste vor drei Jahren auf dem Maidan-Platz in Kiew, die in der Ukraine als "Revolution der Würde" bezeichnet werden. Die ernüchternde Bilanz, die aus den Werken spricht: Die Ukraine sei keinen Schritt weiter gekommen, noch immer beherrschen Oligarchen das Land. "Die verlorene Chance", ist deshalb auch der Titel der Ausstellung.
    Vasyl Tscherepanyn zeigt auf eine kolorierte Zeichnung. Verschiedene, auf dem Maidan vertretene Losungen sind da zu sehen, sie werden als oberflächlich entlarvt. "Kommunisten verbieten", steht da, und "Tod den Feinden":
    "Die Menschen haben sich an offiziellen Symbolen festgehalten, an der Nationalhymne etwa, sie haben hurrapatriotische Sprüche skandiert. Dabei gingen es den meisten eigentlich um etwas anderes, kaum Artikuliertes: Menschenrechte, medizinische Versorgung für alle, keine Oligarchenherrschaft. Aber solche emanzipatorischen Motive klingen vielen Ukrainern nach linker Rhetorik - und die wird mit der Sowjetunion verbunden."
    Auch die Beteiligung von Ultrarechten am Maidan und am Krieg im Donezbecken greift der Künstler David Tschytschkan kritisch auf. Das dürfte die Angreifer besonders erzürnt haben.
    Polizeischutz vor dem Museum
    Vor wenigen Tagen entschloss sich das Zentrum, die Ausstellung wieder zu eröffnen, die Verwüstungen haben sie noch eindrücklicher gemacht. 150 Menschen kamen, ein großer Erfolg. Zwei Polizisten bewachen heute den Eingang zu den Räumen. Der Überfall habe das Problem, das die Ausstellung anspricht, erst recht offengelegt, sagt Tscherepanyn:
    "Wenn eine Revolution wie die auf dem Maidan ihre Losungen nicht materialisieren kann, dann schlägt die Revolution in ihr Gegenteil um. Diese faschistische Attacke ist doch der Beweis dafür, dass die revolutionäre Chance vertan wurde. Sonst wäre das hier nicht passiert."
    Tscherepanyn und das Zentrum waren selbst aktiv auf dem Maidan, sie organisierten dort Bildungsveranstaltungen. Er hält den Beitrag ultrarechter Gruppen an der "Revolution der Würde" für gering, auch heute seien das eher Splittergruppen.
    "Ich will nicht den Diskurs bedienen, den die russische Propaganda pflegt. Die Regierung in der Ukraine ist keineswegs faschistisch. Die Leute, die uns überfallen haben, passen dem Kreml gut in Konzept, weil er so leicht mit dem Finger auf die Ukraine zeigen kann. Es ist ja auch ein offenes Geheimnis, dass Russland diese Gruppen auf die eine andere Weise unterstützt."
    Eines immerhin habe der Überfall gezeigt, meint Wasil Tscherpanyn: nämlich, wie wichtig derzeit die Kunst in der Ukraine sei. Sie halte einen Raum offen, um die Vorgänge im Land zu reflektieren. Sie durchbreche den eindimensionalen politischen Diskurs:
    "Die Kunst ist eine Phase der Subjektivierung getreten. Wir haben wieder kritische, politisch engagierte Kunst. Dieses Erbe der Revolution der Würde ist uns erhalten geblieben. Allerdings ist es auch in Gefahr: Die Versuchung ist groß, Kunst auszunutzen als Propaganda im Krieg gegen Russland. Das wäre ein großer Fehler. Die Kunst ist doch das Territorium des freien Gedankens."