Freitag, 19. April 2024

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Fast vergessenes Grillparzer-Stück

Das zweite Werk des österreichischen Schriftstellers Franz Grillpazer sorgte Anfang des 19. Jahrhunderts für Aufsehen. Heute wird das Stück, das der schicksalsschweren Schauerromanitk verhaftet ist, selten aufgeführt. Am Burgtheater in Wien hat es aber nun Matthias Hartmann inszeniert.

15.04.2013
    Vor langer Zeit betrog eine Ahnfrau der Borotins ihren ungeliebten Mann, der sie daraufhin ermordete. Nun hängt die Todeswaffe im gotischen Saal der Borotinschen Burg, in dem Graf Zdenko als Letzter seines Geschlechts mit seiner jungen Tochter Berta haust. Die Ahnfrau aber geistert als Bertas Ebenbild, Unheil anzeigend, zwischen ihnen umher. Der Sage nach soll sie erst mit dem Untergang des Hauses zur Ruhe kommen. Beides wird ihr und uns mit diesem Stück geboten.

    Franz Grillparzer war 25, als "Die Ahnfrau" zu einem Riesenerfolg wurde. Nach der Uraufführung Ende Januar 1817 im Theater an der Wien hieß es, "Es ging ein Rausch des Beifalls, aber auch des Entsetzens durch Wien". Das Stück kam, nach Aufführungen in München, Dresden, Hamburg und im Burgtheater, durch eine umfangreiche Tournee der Meininger als Repertoirestück des 19. Jahrhunderts zu ehren. Dann aber wurde es vergessen.

    Wer diese alte Scharteke ausgräbt, muss gute Gründe haben. Das langatmige, existenziell leidenschaftliche und von Gedankentragik überschwangere Stück atmet heute schon bei der der Lektüre unfreiwillige Komik. Es klappert laut in seinen Unheilsscharnieren, und seine vierfüßigen Trochäen helfen dem so hoch fahrend absichtsvollen klingenden Text eher nicht auf die Beine. Leider aber verrät uns Burgtheater-Intendant Matthias Hartmann mit seiner Inszenierung nicht, was ihn an diesem Stück interessiert. Weder nimmt er das Genre des Schauerdramas ernst, noch präsentiert er uns das Stück als konsequente Parodie des Genres, - und als Schicksalstragödie nimmt er es auch nicht ernst. Er umspielt nur den Text, sucht ihn unterhaltsam zu machen. So erleben wir ein buntes Allerlei von Theaterhandwerksmitteln. Doch der dramaturgisch und inszenatorisch unentschiedene Zugriff auf das Redestück lässt dies, obwohl kräftig auf zwei Stunden eingekürzt, noch immer zäh und langatmig wirken.

    Zwischen Säulen und vielen Kerzen stehen im Kasino Stühle hinter Vorlesepulten. Von ihnen aus führt Ignaz Kirchners Graf Borodin als spielender Vorleser, der die Regieanweisungen mitspricht, durchs Geschehen. So wird nicht Realismus geboten, sondern im Irgendwie von Stil und Bedeutung nach Unterhaltung gesucht. Kirchner spricht anfangs mit hoher Stimme auch die Sätze seiner Tochter Berta, bis diese, ausgestattet mit Mehrtagebart und bodenlangem weißen Glitzerkleid, von ihrem Darsteller Maik Solbach mit sanfter Stimme zum eigenständig komischen Gefühlsklischee entwickelt wird. Ihr darstellerischer Gegenpol ist Oliver Masucci als Jaromir von Eschen, als der Mann, der Berta vor den Räubern rettete. Nun lieben sich die beiden und werden einander vom Vater versprochen. Doch da Jaromir in Wirklichkeit der mörderische Räuberhauptmann ist, bewegt sich Masucci meist mit Bedeutungstremolo und expressiver Übersteuerung durch seine Rolle. Auch wenn er den Geist der Ahnfrau trifft:

    "(Jaromir): Aber wenn die finstre Macht in der tiefen Brust erwacht,
    Blut schreits dann in meinem Herzen,
    und der Nächste meinem Herzen ist der Nächste meinem Dolch.
    Drum schweig.
    (Ahnfrau): Wo ist dein Vater?
    (Jaromir): Hör, wer heißt mich dir Rede stehn?
    Wo mein Vater? Weiß ich selbst?
    Meinst du jenen bleichen Greis mit den heilgen Silberlocken?
    Sieh, den hab ich eingesungen.
    Und der schläft nun, schläft nun, schläft."

    Hier spielt jeder zwischen Ernst und Unsinn, wie es ihm gefällt. Während Kirchner des Grafen Verzweiflung ernsthaft gestaltet, hampelt sich die Ahnfrau bei ihren stummen Auftritten in eine ausdruckstänzerische Lächerlichkeit hinein. Natürlich gibt es auch etwas Video, und oft werden Texte zugleich von einem Darsteller erzählt wie von einem Musiker am Klavier gesungen, - irgendwie muss eben Atmosphäre her. Wenn sich Jaromir nicht nur als Räuber, sondern auch noch als Borotins tot geglaubter Sohn entpuppt, der seinen ihm unbekannten Vater mit dem historischen Dolch der Ahnfrau ersticht, dann erfahren wir endlich auch, warum sich im Hintergrund ein dekorativer Stuhlberg bis zur Decke türmt, - denn der tote Borotin schleudert seinen Stuhl dorthin, auf den Haufen seiner Vorfahren. Nur um später, mit dem ebenfalls toten Liebespaar, in neuer Stuhlreihe in der Gruft zu sitzen.

    Die eingesetzten Mittel in diesem Theater-Bastelabend wirken recht zufällig. Das Publikum hielt sich an die offenkundigen Gags und driftete sonst in interesselose Gelassenheit ab. Warum Matthias Hartmann diesen Text ausgegraben hat, verrät seine Inszenierung nicht. Sie liefert nur Betriebsamkeitstheater zwischen leichtem Unsinn und schwer verkrampfter Sinnhaftigkeit. Nichts mehr von einem Rausch des Beifalls und des Entsetzens wie bei der Uraufführung, nur geduldiger Applaus. Eben totes Theater.