Dienstag, 16. April 2024

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Fasten-Aktion der evangelischen Kirche
Wohlfühl-Christentum oder politisch relevant?

„Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus“, so lautet in diesem Jahr das Fastenmotto der evangelischen Kirche. Ist das "dümmliches Life-Coach-Gequatsche" einer staatsnahen Kirche - oder ein sinnvoller politischer Vorschlag in Zeiten des Schwarzsehens?

Alexander Grau und Andreas Main im Gespräch mit Monika Dittrich | 19.02.2020
Regen fällt aus einem Regenschirm auf einen Spaziergänger und der Himmel ist blau
„Sieben Wochen ohne Pessimismus“, so stellt sich die evangelische Kirche in diesem Jahr die Fastenzeit vor. (imago stock&people)
Bei der Fastenaktion der evangelischen Kirche gehe "vieles komplett durcheinander", sagte der Philosoph und Publizist Alexander Grau im Deutschlandfunk. Grau hat ein Buch über "Kulturpessimismus" verfasst. Zum einen könne man pessimistische Haltungen und Gedanken nicht einfach abstellen. Von daher sei das Fastenmotto schon "psychologisch fragwürdig", so Grau. Hinzu komme, dass dieser Fastenvorschlag am eigentlichen Sinn des Fastens vorbeigehe, kritisierte Grau. Fasten bedeute "Verzicht und Askese" von etwas, "was wir wollen: Essen, Trinken." Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verdrehe das um 180 Grad.
"Politisch und gesellschaftlich relevant"
Im Vorwort des Fastenkalenders heißt es unter anderem: "Wir kriegen das schon hin." Dazu sagte der Deutschlandfunk-Redakteur und Theologe Andreas Main, wenn Optimismus vorordnet oder vorgeschlagen werde, klinge das nach Staatskirche - auch, weil der Satz an Angela Merkels "Wir schaffen das" erinnere. Es wirke wie "die Christen-Wohlfühlblase evangelischer Kirchentage". Allerdings wolle und könne er, so Andreas Main, dem Fastenmotto auch Positives abgewinnen. Wenn zwei Millionen Menschen, denn so viele würden sich an der Fastenaktion der EKD beteiligen, lächelnd durch die Straßen gehen und aufs "Schwarzsehen verzichten" würden, dann wäre das "politisch und gesellschaftlich relevant".
"Ein unchristliches Fastenmotto"
Grau wies darauf hin, dass das Christentum in seinen Anfängen eine zutiefst pessimistische Religion gewesen sei. Hoffnung habe es ausschließlich mit Blick aufs Jenseits gegeben. Daher sei das Fastenmotto "unchristlich", weil es Hoffnung im Diesseits verorte. Auch seelsorgerisch sei die Aktion fragwürdig, so Grau weiter. Die optimistische Aussage "Ey, wird schon wieder", sei "einer christlichen Kirche zutiefst unwürdig." Grau wörtlich: "Das ist dümmliches Life-Coach-Gequatsche, das man an jeder Ecke bekommt von irgendwelchen Lebensberatern." Die eigentliche Aufgabe der Kirchen sei es hingegen, differenzierter an die Sache heranzugehen und den Blick frei zu machen auch für die negativen Seiten des Lebens - und wie man mit diesen umgehe.
Die vorösterliche Fastenzeit dauert im Jahr 2020 in der evangelischen und der katholischen Kirche vom 26. Februar (Aschermittwoch) bis zum 09. April (Gründonnerstag). Der Tagestischkalender "Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus" und ein enstprechendes Begleitbuch sowie weitere Materialien sind in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig erschienen.