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Fastenmonat
Zwangsregeln im Ramadan für alle Ägypter

Die Regierung unter Präsident Al-Sisi will eine neue islamische Moral verankern. Dazu stellt sie Ramadan-Regeln für alle Ägypter auf, ganz gleich, ob sie Muslime sind oder nicht. Die Fastenzeit nutzt der Staatschef auch, um weiter gegen die Muslimbrüder vorzugehen.

Von Elisabeth Lehmann | 07.07.2014
    Der Khan Khalili, der große Markt in Kairo, drei Uhr morgens. Männer, Frauen, Kinder schlingen große Mengen Essen. Sohour ist die letzte Mahlzeit vor Sonnenaufgang. Danach heißt es wieder fasten bis zum Abend. Ein Streit bricht aus. Die Ägypter sind gereizt in diesen Tagen. Der Fastenmonat ist anstrengend. Aber nicht nur für Muslime. Samaa Wagih ist Atheistin, doch Ramadan heißt in Ägypten auch für sie: Verzichten.
    "Ich bin wirklich genervt vom Ramadan. Wenn ich zum Beispiel Alkohol bestelle, bekomme ich keinen, weil ich Ägypterin bin. Sie interessiert nicht, ob ich Muslima bin, oder Christin oder überhaupt nicht an Gott glaube. Es geht nur darum, dass ich einen ägyptischen Pass habe."
    Vorgeschrieben wird das Alkoholverbot von der ägyptischen Regierung, erzählt Gamal, ein Kellner in einer Bar in der Kairoer Innenstadt. Er arbeitet seit 25 Jahren hier, seinen ganzen Namen möchte er nicht nennen:
    "Vor Ramadan hat die Polizei einen Zettel ausgeteilt, auf dem steht, dass es für alle Ägypter verboten ist, Alkohol zu trinken. Für andere, egal ob Araber oder Europäer, ist es erlaubt. Und wenn ich Bier an einen Ägypter ausschenke und die Polizei erwischt uns, müssen wir Strafe zahlen. Also, ich als Kellner und der Gast."
    Der Staat ist wachsam in diesen Tagen, wie die Menschen den Fastenmonat verbringen. Der Grund sind, wie so oft, die Muslimbrüder. Der neue Präsident Abdel Fattah al-Sisi wirft ihnen vor, die religiöse Moral im Land beschädigt zu haben - und versucht sie nun wieder hochzuhalten. Die strikten Regeln gelten dabei nicht nur für den Umgang mit Alkohol, sondern auch mit Worten.
    Pünktlich zum Beginn des Fastenmonats hat Religionsminister Mohamad Mokhtar Gomaa die Themenvielfalt für Predigten massiv eingeschränkt. Die Moscheen galten bisher als letzter Rückzugsraum für die Muslimbrüder. Hier haben sie ihre Anhänger mobilisiert. Das soll jetzt ein Ende haben, sagt Religionsminister Gomaa:
    "Die religiöse Rede wurde politisch missbraucht. Es gab nicht mehr genug Raum für moralische, Glaubens- oder Bildungsaspekte. Außerdem gab es einen ethischen Wandel. Und wir tun nun alles, um die Moral wieder herzustellen."
    42.000 Prediger mit Redeverbot belegt
    Politik ist damit tabu in der Moschee. Vorsorglich hat die Regierung seit vergangener Woche schon einmal 42.000 Prediger mit einem Redeverbot belegt - die meisten von ihnen Muslimbrüder.
    Das alles geschieht auf Geheiß von Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Er hat die Muslimbrüder zur Terrororganisation erklärt und verfolgt sie seitdem erbittert. In einer Rede zum ersten Jahrestag der Absetzung seines Vorgängers Mohamad Mursi beschuldigte er die Muslimbrüder, den Islam instrumentalisiert zu haben, und kündigte eine Korrektur des religiösen Diskurses an:
    "Die Geschichte wird sagen, dass Ägypten den Arabismus beschützt und den Islam bewahrt hat vor Intrigen gegen die Arabischen Nationen, gegen die Einheit ihrer Menschen und die Versuche, den Islam zu diffamieren, indem er mit Gewalt und Terrorismus verbunden wird."
    Al-Sisi spielt damit auf die Bombenanschläge und blutigen Demonstrationen an, die seit dem Sturz der Muslimbrüder den Alltag in Ägypten bestimmen. Dass der Staat sich in die religiöse Praxis der Bürger einmische, sei für die meisten Ägypter in Ordnung, meint Wagih Samaa:
    "Die Leute auf der Straße haben Angst, dass ihnen vorgeworfen wird, sie seien gegen den Islam, vor allem nach dem Sturz der Muslimbrüder. Deswegen akzeptieren sie, dass es Maßnahmen gibt, die beweisen, dass sie für den Islam sind. Die Leute sind in diesem Jahr besonders sensibel."
    Samaa begnügt sich deshalb diesmal mit Limonensaft an der Bar. Alkohol bekäme sie ohnehin nicht von Gamal, dem Kellner – ganz gleich, ob sie fastet oder nicht.
    "Aus Respekt vor der Religion. Wenn die Leute trinken wollen, können sie das zu Hause tun."
    Er selber achte den Ramadan, halte sich strikt an die Fastenregeln, erzählt Gamal. Das sei nicht immer einfach, aber so sei der Islam nun einmal.